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40-jähriges BAföG-Jubiläum für soziale Weiterentwicklung nutzen

Archiv Linksfraktion - Rede von Nicole Gohlke,

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

das BAföG hat am 1. September seinen 40. Geburtstag gefeiert, und auch die Fraktion DIE LINKE gratuliert dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zu seinem Jubiläum – war doch das BAföG das erste Mal in der Bundesrepublik der Versuch, die Hochschulen für die Breite der Gesellschaft nach sozialen Kriterien zu öffnen. Ein Studium nicht mehr nur noch für die Kinder von Rechtsanwälten und höheren Beamten - sondern auch für die Söhne und endlich auch vermehrt die Töchter von Fabrikarbeiterinnen oder Bäckern.

So richtig feierlich will es einem dann zu diesem Jubiläum aber nicht zumute werden, wenn man sich das BAföG heute anschaut, denn die Ausbildungsförderung wird ihren ursprünglichen Zielen immer weniger gerecht, sie ist eigentlich nur noch ein Schatten ihrer selbst!

In der Gesetzesbegründung von 1971 wurde der Anspruch formuliert, durch das BAföG [ich zitiere] „soziale Unterschiede […] auszugleichen und durch Gewährung individueller Ausbildungsförderung auf eine berufliche Chancengleichheit der jungen Menschen hinzuwirken“ [Zitat Ende]. Diesem Anspruch wurde das BAföG nie völlig gerecht, aber es gab eine positive Entwicklung – eine Entwicklung, von der wir heute weiter entfernt sind denn je, obwohl diese Regierung hier angeblich eine „Bildungsrepublik“ befördern will:
Wie sind die Fakten:

In den 60er Jahren, vor Einführung des BAföG, lag der Anteil an Studierenden aus so genannten "sozial niedrigen Hurkunftsgruppen" unter StudienanfängerInnen bei durchschnittlich 6 Prozent - 1982, nach Einführung des BAföG, war der Anteil dieser Gruppe auf 23 Prozent gestiegen. Und heute? - Im Jahr 2009 hatten wir einen Rückgang auf nur 15 Prozent!

Oder eine andere Zahl: Nach der Einführung 1971 wurden 44 Prozent der Studierenden mit dem BAföG gefördert – und heute? Heute sind es nur noch knapp 20 Prozent.

Und war das BAföG in seinen ersten Jahren für viele Studierende eine bedarfsdeckende Finanzierung, deckt das BAföG heute nur noch 15 Prozent bei der Gesamtfinanzierung der Studierenden ab - zwei Drittel der Studierenden müssen parallel zum Studium arbeiten, um ihr Leben und ihr Studium bestreiten zu können. Nicht einmal der Höchstsatz erlaubt es den Studierenden bei den heutigen Mietpreisen und Lebenshaltungskosten, ohne Nebenjob auszukommen.

Und: Das BAföG war in seiner ursprünglichen Konzeption einmal ein Vollzuschuss. Die Regierung Kohl hatte es komplett auf ein Darlehen umgebaut - ein Fehler, den leider auch die nachfolgenden Regierungen nicht mehr vollständig korrigiert haben; seit 1990 ist es zur Hälfte ein Darlehen und zwingt seitdem die Studierenden, sich zumindest teilweise zu verschulden.

All diese Zahlen machen deutlich, wie sehr die derzeitige Ausgestaltung des BAföG an dem vorbei geht, was die Studierenden brauchen. Und das ist für diese selbsternannte Bildungsrepublik der eigentliche Skandal!

Und in dieser Situation lässt Frau Schavan vermelden, dass die BAföG-Erhöhung des Jahres 2010 bereits das „vorgezogene Geschenk” zum 40jährigen Jubiläum gewesen sei, und dass sie weitere, von vielen Seiten dringend geforderte Erhöhungen ablehne. Als Ausgleich - das ist statt dessen ihr Vorschlag - könnten die Studierenden ja noch ein Darlehen aufnehmen. Also weitere Verschuldung statt Förderung.
So ein Vorschlag, so ein Umgang mit den Studierenden ist aus meiner Sicht wirklich zynisch und lebensfern! Denn bereits die Verschuldung, die heutzutage mit dem BAföG verbunden ist, schreckt einen großen Teil der jungen Menschen ab!

Auch diese Regierung muss irgendwann mal zur Kenntnis zu nehmen, dass die berufliche Realität von jungen Menschen, auch die von jungen Akademikern und Akademikerinnen schon seit Jahren nicht mehr so ist, dass alle nach ihrem Studium tolle und hochbezahlte Jobs finden und dann nach wenigen Monaten ihre Schulden, die sie während des Studiums gemacht haben, zurückzahlen können! Muss man dieser Regierung wirklich erklären, dass – auch hierzulande, nicht nur in Spanien oder Griechenland oder England – dass auch hierzulande viele HochschulabsolventInnen in Praktika oder in befristeten Beschäftigungsverhältnissen landen, oder dass sie sich erstmal lange mit irgendwelchen mies bezahlten Jobs, die gar nichts mit ihrem Abschluss oder ihrem Studienfach zu tun haben, über Wasser halten müssen.

Deswegen haben junge Menschen Angst vor der Verschuldung – weil sie nicht wissen, ob und wie schnell sie in der Lage sein werden, ihre Schulden zurückzuzahlen.

Frau Schavan - hören Sie auf mit dem Hintergrund einer gut dotierten Bundesministerin jungen Menschen, die keine klare berufliche Perspektive haben, eine Verschuldung zu empfehlen, und bauen Sie stattdessen das BAföG so aus, dass junge Menschen sorgenfrei studieren können!

Die LINKE fordert, dass das BAföG endlich wieder als Vollzuschuss gewährt wird, denn nur so kann man junge Menschen – vor allem aus sogenannten „sozial prekären Herkunftsgruppen“ - ermutigen, ein Studium aufzunehmen.

Wir fordern die sofortige Anhebung des BAföG um 10%, eine jährliche Anpassung an die Lebenshaltungskosten und eine deutliche Ausweitung des Berechtigtenkreises.
Und wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler der Oberstufe endlich wieder BAföG beziehen können – denn die soziale Auslese, die das deutsche Bildungssystem dramatisch durchzieht, beginnt in der Schule. Und das muss endlich durchbrochen werden!

Dabei hat die schwarz-gelbe Regierung mit der Veröffentlichung der neuesten OECD-Studie doch gerade wieder einmal die Quittung für ihr sozial diskriminierendes Bildungssystem bekommen: die Studie stellt fest, dass in Deutschland nur 26% einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss bzw. einen Meisterbrief machen, während der Durchschnitt der westlichen Industrieländer insgesamt bei 37% liegt. Die Anzahl der Hochqualifizierten und der HochschulabsolventInnen in der Bundesrepublik wächst also unterdurchschnittlich.

Und in dieser Situation hat Schwarz-Gelb nichts anderes zu tun, als mit dafür zu sorgen, dass dann auch noch Jahr für Jahr Tausende von Bewerberinnen und Bewerbern von den Hochschulen abgewiesen werden, weil sie keinen Studienplatz erhalten: Tausende junge Menschen haben ihr Abitur gemacht, haben also vielleicht mühevoll ihr Recht auf ein Studium erlangt, aber können von ihrem Recht keinen Gebrauch machen, weil es nicht genug Studienplätze gibt.

Und mittlerweile unterliegen die meisten Studiengänge in Deutschland lokalen oder bundesweiten Zulassungs- und Zugangsbeschränkungen: im Wintersemester 2010/11 waren rund 51% örtlich zulassungsbeschränkt, bei den Masterstudiengängen sind es mindestens 37%. Für die meisten Studiengänge reicht schon lange nicht mehr die Abiturnote aus – nein: es gibt Eignungs- und Sprachtests, es werden Praktikumsnachweise oder Motivationsschreiben verlangt, und jede Hochschule, jeder Studiengang entwickelt eigene Ranking- und Auswahlsysteme.

Diese für die BewerberInnen katastrophale Situation ist nicht neu - doch sie wird seit Jahren hingenommen, obwohl der Bund seit 2006 für die Hochschulzulassung zuständig sein kann - man kann also das Thema nicht einfach den Ländern in die Schuhe schieben.

Doch die Regierung schaut beim Zulassungschaos zu: Im Moment bewerben sich Tausende von Studierenden doppelt und dreifach auf Studienplätze aus Angst sonst überhaupt keinen Studienplatz zu erhalten. Weil es über diese Mehrfachbewerbungen aber keinen bundesweiten Überblick gibt, bleiben trotz eigentlichem Studienplatzmangel auch noch Studienplätze unbesetzt; im letzten Jahr waren es über 16.000.
Die Lösung für dieses Problem sollte das „Dialogorientierte Serviceverfahren“ werden. Eine Stelle wo alle Studienplätze und alle Bewerber registriert und abgeglichen werden. Doch Software- und Schnittstellenprobleme verhindern dessen Einführung seit Monaten.

Aber sind wir mal ehrlich: das eigentlich Problem sind doch nicht Software- oder Technik-Fragen - das Grundproblem sind schlicht und ergreifend fehlende Studienplätze und die mangelnde öffentliche Finanzierung des Hochschulsystems:

Derzeit kommen auf rund 1,1 Millionen ausfinanzierte Studienplätze 2,2 Millionen Studierende: die gesamte Infrastruktur der Hochschulen, die Bibliotheken, Räume, Studentenwohnheime und Mensen sind eigentlich nur für die Hälfte der derzeitigen Studierenden ausgelegt. Das ist doch die eigentliche Katastrophe!

In der Praxis sieht das dann so aus, dass Studierende vor Hörsälen schlafen, um noch einen Platz bei der Vorlesung zu bekommen, oder dass Kirchen und Kinosäle angemietet werden, um das Raumproblem der Hochschulen zu lösen.

Die, die studieren dürfen, studieren unter erschwerten, oft unzumutbaren Bedingungen. Ein Zustand unter dem übrigens nicht nur die Studierenden, sondern natürlich auch die Lehrenden und HochschulmitarbeiterInnen leiden. Und Tausende BewerberInnen erhalten überhaupt keinen Studienplatz: dieses Wintersemester werden es wohl bis zu 50.000 sein.

Im Hochschulpakt II wurden zwar 275.000 Studienplätze geschaffen, um die doppelten Abiturjahrgänge auszugleichen. Und dann hat die Regierung die Zahl der Studienplätze im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht auf 334.000 Plätze erhöht - benötigt werden allen seriösen Quellen zufolge allerdings mindestens 500.000.

Die LINKE will, dass ALLE, die studieren möchten, auch tatsächlich studieren können.
Die, die studieren wollen, wissen selbst am besten, für welches Fach sie sich entscheiden, welche Hochschule am besten für sie geeignet ist; sie kennen ihre Neigungen, Wünsche, individuelle Lebensplanung und Qualifikationen.

Dass sie, die Studierenden und ihr Auswahlrecht und nicht das der Hochschulen endlich in den Mittelpunkt gerückt werden, ist nicht nur ein Ziel an sich, es ist auch Voraussetzung für gutes Studieren!

Und das gilt auch für das Masterstudium. Die Entscheidung, ob man nach seinem Bachelorabschluss noch ein Masterstudium anhängen möchte oder direkt in den Beruf gehen möchte, sollen die Studierenden selbst treffen können - diese Entscheidung muss ihnen nicht durch die Hochschule oder irgendwelche Zulassungshürden oder durch die ständige Mängelverwaltung im Masterstudium aufgedrückt werden.

Die LINKE fordert deswegen:

einen Ausbau der Studienplätze um 500.000 - um endlich jedem und jeder Studierwilligen das Recht auf einen Studienplatz zu sichern,

wir fordern ein Bundesgesetz, das die transparente und koordinierte Vergabe von Studienplätzen regelt anstatt diesem wahnsinnigen Zulassungschaos

und wir fordern das Recht auf einen Masterstudienplatz für alle BachelorabsolventInnen!

Eine Hochschulpolitik, die wie die schwarz-gelbe Politik mit dem realen Leben der Studierenden nichts zu tun hat, und stattdessen in alter Ständepolitik verharrt, muss scheitern!

Und ich habe große Sympathie für alle diejenigen Studierenden und Schülerinnen und Schüler, die vielleicht im kommenden Wintersemester wieder einmal auf die Straße gehen, um auf ihre Situation und Interessen aufmerksam zu machen!

Vielen Dank.