Gregor Gysi über Strömungen in der neuen Linkspartei, alte Ideale und den Kampf gegen Neonazis.
Herr Gysi, wird die neue linke Partei unter dem Druck der WASG linker sein als es die PDS war?Wir werden auf jeden Fall eine pluralistische Partei bleiben. Ich sehe da vor allem drei Strömungen: Die eine nenne ich die Außerirdischen. Die vertreten die Reinheitslehre, die hat aber mit dem Leben der Leute wenig zu tun. Dann haben wir auch eine Gruppe, die haben sich so angepasst, dass sie sich kaum noch von anderen Parteien unterscheiden. Das entscheidende aber ist das Zentrum, das immer beides im Kopf haben muss: Die Frage nach der längerfristigen Alternative zum Kapitalismus und die Interessenvertretung hier und heute.
Wird die Politik dazu künftig in der Opposition gemacht? Die Grundsätze der neuen Linkspartei, die im Gründungsmanifest aufgestellt werden, schließen Regierungsbeteiligungen ja praktisch aus.
Nein. An dem Dokument wird noch gearbeitet. Meine Partei kommt um die Bereitschaft zu einer Regierungsbeteiligung nicht herum. Aber nicht eine prinzipienlose. Da geht es nicht um Wunder oder den Aufbau des demokratischen Sozialismus auf kommunaler Ebene. Aber wir müssen gegen die Privatisierung von Einrichtungen öffentlicher Daseinsvorsorge, gegen Deregulierung und gegen Sozialabbau sein.
Aber lässt sich das in einer Koalitionsregierung durchsetzen?
Ja, und das sind unsere Hauptziele. Wenn aber eine Gemeinde, die in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, gezwungen ist, irgendwelche Gebühren zu erhöhen, dann ist das nicht automatisch Sozialabbau. Wichtig ist uns: Die Leute müssen sich darauf verlassen können, dass wir eine Partei der sozialen Gerechtigkeit sind, die selbst unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen für eine soziale Ausgewogenheit kämpft. Man darf nie vergessen: Linke werden immer gewählt, wenn Städte arm sind, nicht wenn sie reich sind. Damit kommt die Linke regelmäßig in schwierige Situationen.
Was bedeutet das für Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo im Herbst zwei rot-rote Koalitionen zur Wiederwahl stehen?
In Mecklenburg-Vorpommern wie in Berlin ging es damals um Tabubrüche. In der Hauptstadt war der besonders groß. Hier mussten wir Ängste abbauen. Die Menschen in West-Berlin hatten mit unserer Partei vornehmlich die Mauer verbunden. Das darf man nicht vergessen. Hätte es die tiefe Krise durch den Bankenskandal nicht gegeben, es wäre gegen unsere Regierungsbeteiligung demonstriert worden. Jetzt wird gegen einige Inhalte unserer Politik demonstriert. Das ist ein ungeheurer Fortschritt. Es stört die meisten Menschen nicht mehr, dass wir in der Regierung sitzen, sondern ob wir diese oder jene Politik machen.
Ist es heute also gar nicht mehr so wichtig, dass die Linkspartei weiter in Berlin mitregiert?
Es ist keine existenzielle Frage mehr. Wir sind zur Opposition, aber auch zur Fortsetzung der Koalition bereit. Sollte Berlin durch das Bundesverfassungsgericht die Bundeshilfe erhalten, reizt es uns schon, in der dadurch leichteren Situation mitzuregieren. Aber wenn es wieder zu Verhandlungen kommen sollte, würden sie anders verlaufen als die ersten. Meine Partei hat inzwischen ein anderes Selbstbewusstsein. Es geht nicht mehr um den Abbau von Ängsten oder den Tabubruch. Der war uns damals so wichtig, dass wir dafür vielleicht ein paar Kompromisse gemacht haben, die wir heute so nicht mehr machen würden.
Das heißt, Sie werden ein schwierigerer Verhandlungspartner für die SPD sein?
Etwas mehr Konsequenz kann für die anderen auch leichter sein.
Die Linke wird also ihren Regierungsanspruch im Osten auch nach der Vereinigung mit der WASG nicht aufgeben?
Nein, natürlich nicht. Wir werden künftig unterschiedliche Anforderungen haben. Die Fünf-Prozent-Partei im Westen müsste die Regierungsbeteiligung der 25-Prozent-Partei zum Beispiel in Sachsen-Anhalt verkraften können, und die Regierungsbeteiligte dort muss auch verkraften, wie ein Landesverband in Hessen oder Niedersachsen Politik machte. Das heißt, die Widersprüche werden bleiben. Die Fünf-Prozent-Kraft wird aber viel mehr Ansprüche stellen. Es wird Reibereien geben. Aber das ist normal.
Wenn Sie die Linkspartei als Volkspartei im Osten beschreiben - hat sie dann angesichts des wachsenden Rechtsradikalismus dort versagt?
Ehe ich darüber diskutiere, wollen wir doch mal festhalten, dass die CDU in Sachsen 14 Jahre allein regiert hat, bevor die NPD in den Landtag gekommen ist. Über diesen Zusammenhang redet niemand. Aber ich gebe Ihnen Recht: Alle größeren Parteien, auch wir, müssen sich fragen, welche Fehler wir gemacht haben.
Nämlich?
In Sachsen-Anhalt hatten die Rechten bei der vorletzten Wahl in solchen Plattenbauvierteln Erfolg, in denen wir gar nicht mehr vorkamen, es gab dort keine Angebote der PDS. Das war unverantwortlich. Bei den Hartz-IV-Protesten war das dann anders, und das war lebenswichtig, sonst wäre die Wut darüber ganz woanders gelandet.
Als sich vor Jahren schon einmal eine Welle rechtsradikaler Gewalt entwickelte, gab es den "Aufstand der Anständigen", angeführt von Politikern. Sollte es so etwas wieder geben?
Schon. Aber am besten wäre es, man müsste so etwas nicht organisieren. Ich wünsche mir einen Zeitgeist, der sich konsequent gegen Ausländerfeindlichkeit und rechte Gewalt stellt. Dafür müssen wir vor allem die Bildung anders gestalten, beginnend bei den Kindertagesstätten. Entscheidend ist die berufliche Perspektive für die Jugendlichen, oder ob die in der sechsten Klasse schon vor dem Aus stehen und dann Zuflucht in solchen rechten Gruppen suchen. Dort reicht es schon, Deutscher zu sein, um sich überlegen fühlen zu können.
Das Gespräch führten Mira Gajevic und Holger Schmale.
Berliner Zeitung, 29. Mai 2006