Der Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi, macht sich auch nach der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten keine Illusionen über einen radikalen Politikwechsel in den USA. Die Einflussmöglichkeiten des Präsidenten seien begrenzt, da sich Armee und Geheimdienste durch die Wahl nicht verändert hätten, sagte Gysi. Gleichwohl setze er Hoffnungen auf eine \\"kulturelle Veränderung\\" in den Vereinigten Staaten.
Noch einmal zu Barack Obama. Kommt ein Politikwechsel nach diesem haushohen Wahlsieg des Demokraten? - Das wollen wir nun wissen von Gregor Gysi, Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag. Guten Morgen!
Schönen guten Morgen, Herr Müller.
Herr Gysi, haben Sie Obama geraten, jetzt nach links zu rücken?
Noch hatte ich keine Gelegenheit, ihm Ratschläge zu geben, und ich weiß auch gar nicht, ob er meine Ratschläge annähme. Aber er weiß schon, dass große Erwartungen in ihn gesteckt werden, dass er die Welt wirklich - sagen wir es mal ganz global - etwas besser gestaltet. Es geht ja um mehrere Fragen, die er zu lösen hat. Lösen wir Konflikte künftig friedlich oder weiter mittels Kriegen? Wie geht er um mit der internationalen Finanzkrise? Was machen wir gegen die zunehmende Armut auf unserer Erde auch in den USA? Was machen wir gegen die Klimakatastrophe? Das sind ja auch alles Themen, die er anpackt, die er unterschiedlich sieht. Aber das erste ist, glaube ich, mal, dass es eine gewaltige kulturelle Veränderung ist, dass Obama gewählt worden ist. Sie haben das in den Gesichtern gesehen. Ich bin ja selten in der Politik gerührt, aber als ich in die Gesichter gesehen habe, diese alten schwarzen Frauen, wie denen die Tränen rollten, dass sie so etwas noch erleben, dass wir das alle noch erleben, dass wirklich ein Schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird, das darf man überhaupt nicht unterschätzen, welche kulturelle Veränderung das mit sich bringt.
Demnach gibt es auch sympathische Kapitalisten?
Ja. Erstens gibt es die sowieso. Das mit der Sympathie erfolgt ja nie so, wie man denkt. Da gibt es Leute, die haben meine Ideologie, aber die sind mir nicht sympathisch. Dann gibt es andere, die haben die gegenteilige, die sind irgendwie sympathischer. Das kann man sich ja nicht aussuchen. Das läuft ja sehr verschieden. Aber das hat gar nichts damit zu tun. Er strahlt natürlich eine andere Herangehensweise aus. Wenn Bush sagt, der Iran muss bombardiert werden, dann sagt er, er will mit der Führung reden, um sie zu einer anderen Politik zu bringen. Das ist erst mal schon ein ganz anderer Stil. Bush hat dafür gesorgt, dass die US-Amerikanerinnen und Amerikaner das Unbeliebteste sind, was es auf der Erde gibt. Ich kenne einen alten Mann aus Chicago, der leider Bush gewählt hat. Wir haben uns furchtbar gestritten. Der hat mich angerufen und hat gesagt, er wählt Obama. Darauf habe ich gesagt, wieso denn das, das machst du doch nicht, um mir einen Gefallen zu tun. Nein, sagt er. Natürlich nicht, aber ich reise viel und ich bin es leid. Überall wo ich aussteige, können die Leute mich nicht leiden. Ich möchte endlich mal einen Präsidenten haben, der dafür sorgt, dass man mich wieder normal behandelt, mich vielleicht sogar mag. Selbst solche Einstellungen gab es und gibt es.
Herr Gysi, könnte das dennoch politisch naiv sein zu denken, dass Barack Obama ein internationaler Amerikaner ist?
Ein bisschen naiv ist es deshalb, weil US-Außenpolitik ist immer Innenpolitik. Zweitens: Er kriegt ja die Substanz nicht verändert. Wenn er Präsident wird, hat er das gleiche Militär, die gleichen Geheimdienste, die gleiche Administration, die gleichen Banken, die gleiche Wirtschaft. Das kriegt er ja alles gar nicht ausgewechselt. Die Möglichkeiten eines Präsidenten sind etwas beschränkter, als manche bei uns glauben. Aber immerhin: Er hat Möglichkeiten und die Frage wird sein, in welche Richtung nutzt er das ganze. Ich finde es sehr richtig, dass er heraus will aus dem Irak. Ich finde es falsch, dass er die Truppen in Afghanistan verstärken will. Ich finde es richtig, dass er auch die Bestverdienenden mit höheren Steuern heranziehen will. Diesen Weg muss man auch in den USA gehen. Ich glaube auch, dass er die Finanzwelt regulieren will, denn wenn wir sie nicht regulieren, dann wiederholen sich die Katastrophen, die wir jetzt gerade erlebt haben. Aber wie weit er damit kommt, wie weit er seinen ganzen Apparat auch dazu bringt, das ist schwierig.
Ich habe ihn übrigens so verstanden, dass er so ein bisschen natürlich auch ein Versöhnler ist. Er will immer alle mitnehmen. Er wird aber nicht immer alle mitnehmen können. Die Erfahrung kenne ich ja aus der Politik. Da gibt es eben welche, die haben einfach eine andere Auffassung. Da musst du dich auch durchsetzen. Aber er strahlt Würde aus. Ich hatte nie den Eindruck, dass er einfach so zurückweicht, weil die Situation schwierig wird. Bloß ich will mich nun auch keinen Illusionen hingeben. Das möchte ich natürlich auch allen anderen sagen. Deshalb habe ich ja gesagt, er erntet den gleichen Apparat. Wir können jetzt auch keine Weltwunder erwarten. Aber Veränderungen!
Was kann ein engagierter Linker in politischer Verantwortung wie Sie, Herr Gysi, an den USA gut finden?
Ich habe doch kein anderes Verhältnis zur Bevölkerung der USA als zu anderen Bevölkerungen. Ich verstehe auch gar nicht immer so den Vorwurf des Antiamerikanismus. Bei mir ist das sowieso blöde, aber bei anderen auch. Was wir kritisieren ist die Art der Weltmachtpolitik. Da hat Bush das extrem betrieben. Er hat gesagt, das Völkerrecht ist er. Er hat es verletzt. Er hat Kriege völkerrechtswidrig geführt, er hat den Sicherheitsrat nicht mehr befragt. Und immer, wenn man seine Stärke so maßlos ausnutzt, bezahlt man letztlich dafür teuer. Dafür bezahlt im Augenblick die US-Bevölkerung. Übrigens war Bush auch jemand, der für die Deregulierung der Finanzmärkte war, deshalb natürlich mit verantwortlich war für die ganzen Seifenblasen, die jetzt geplatzt sind, aber die ja vorher erst mal entstanden waren. Ich kenne ja die Situation. Ganz klein übersetzt haben wir bei der deutschen Vereinigung ähnliche Fehler begangen. Eine Stärke, die man hat, soll man nutzen, aber man soll sie nie missbrauchen. Wenn man sie missbraucht, dann verändert man Grundlagen. Ich habe die Hoffnung, dass der Obama da einen anderen Weg geht, dass er sagt, er wird das Völkerrecht auch dann respektieren, wenn er stärker ist, es verletzten könnte.
Aber Obama, Herr Gysi, trägt ja auch den Leistungsgedanken, auch den amerikanischen Leistungsgedanken. Tragen Sie den auch mit?
Nein, natürlich nicht, nicht so einfach. Verstehen Sie, ich bin schon dafür, dass sich Leistung auch lohnt. Ich will ja auch nicht, dass die begabte Sängerin dasselbe kriegt wie die unbegabte faule Sängerin. Verstehen Sie, da machen wir schon Unterschiede. Aber ich möchte, dass das immer alles angemessen ist. Bei uns wird es maßlos. Das Verhältnis zwischen einer Grundsicherungsrente und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank hat nichts mehr miteinander zu tun. Verstehen Sie, da liegen Tausende Welten dazwischen und das muss nicht sein. Das kann angemessen sein. Wenn er es angemessen macht, ist es okay. Wenn es maßlos wird wie unter Bush und unter anderen, dann ist es völlig schief. Aber um das auch klar zu sagen: Wenn Obama meine Politik macht - ich habe doch auch gar keine Hemmungen, ihn zu kritisieren, wenn es nötig ist. Aber jetzt habe ich erst mal Hoffnungen und die will ich mir auch nicht so schnell nehmen lassen.
Gregor Gysi heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk, der Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Das Gespräch führte Dirk Müller
Deutschlandfunk, 6. November 2008
"Wir können jetzt auch keine Weltwunder erwarten"
Archiv Linksfraktion -
Im Wortlaut
von
Gregor Gysi,