Karlsruhe rügt, aber bestätigt Demo-Verbote
Das Verbot des für heute geplanten Sternmarschs zum Ort des G8-Gipfels in Heiligendamm ist ein Lehrstück, wie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit durch Versammlungsbehörden, Polizei und Verwaltungsgerichte ausgehebelt werden kann. Im gestrigen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem die Aufhebung des Verbots per einstweiliger Anordnung abgelehnt wurde, ist nachzulesen, wie das geht. Am 30. Oktober 2006 wurde der Sternmarsch angemeldet, der Eingang erst am 6. März 2007 vom Sonderpolizeistab Kavala »bestätigt« und mit der Bitte um »nähere Konkretisierung der Streckenführung« verknüpft. Dazu gab's am 10. Mai ein »Kooperationsgespräch« zwischen Vertretern des Sternmarsch-Bündnisses und von Kavala, bei dem letztere erklärte, in einem etwa 40 km² großen Bereich um das eingezäunte Heiligendamm dürften keinerlei Versammlungen stattfinden.Am 16. Mai erließ Kavala eine entsprechende »Allgemeinverfügung« und außerdem eine gesonderte Verbotsverfügung gegen den Sternmarsch. Den ließ das Verwaltungsgericht Schwerin am 25. Mai auf Klage der Anmelder unter Auflagen zu, doch das Oberverwaltungsgericht setzte am 31. Mai das Totalverbot wieder in Kraft. Mit juristischen Begründungen, die von den Bundesverfassungsrichtern als irrelevant zurückgewiesen wurden: das »Ansehen der Bundesrepublik« und die »Beziehungen des Bundes zu auswärtigen Staaten«, die nach Meinung der OVG-Richter eine »Schutzgut« sind, das Grundrechten vorgeht. Alle Rechtsexperten waren sich einig, dass das totale Demo-Verbot von Kavala und OVG Greifswald in Karlsruhe keinen Bestand haben kann.
In dieser Lage kam den Grundrechtsgegnern die Gewalt bei der Großdemonstration am 2. Juni in Rostock zu Hilfe. Allein darauf, nicht zuletzt auf überhöhte Zahlen verletzter Polizisten, stützen die Karlsruher Richter ihre Entscheidung, das ansonsten grundrechtswidrige Sternmarsch-Verbot nicht aufzuheben. In diesem Licht ist auch das Agieren der Polizei - in Zivil als Greiftrupp und trotz Unform vermummt mit Tränengas und Pfefferspray im Nahkampf - zu hinterfragen.
Offenkundig ist die Versammlungsfreiheit nicht nur »der sinnlosen Gewalt einer unpolitischen Hooliganszene zum Opfer gefallen«, wie Wolfgang Neskovic, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion, meint. Dafür spricht auch folgende Aktion: Am Dienstag wurde ein vom Aktionsbündnis gegen Militarisierung, Krieg und Folter eingerichteter Shuttle-Bus Richtung Rostock-Laage von rund 20 Polizeiwagen gestoppt. Die Beamten nahmen die Personalien aller 42 Insassen auf, darunter ein Kleinkind von 18 Monaten, durchsuchten den Bus, fanden einige Halstücher und Handschuhe - und brachten alle Fahrgäste unter dem Vorwurf der »Vermummung« zur Gefangenensammelstelle.
Von Claus Dümde
Neues Deutschland, 7. Juni 2007