DGB-Anhörung zur Rentenreform: Ältere Beschäftigte sind selten
Beim gestrigen Aktionstag des DGB gegen die Rente mit 67 in Berlin waren Demonstrierende sowie die Referenten auf dem Podium einer Meinung: »Keiner kann bis 67 arbeiten, es geht hier nur um Rentenkürzungen.«Während im Bundestag die Anhörung zur Rentenreform lief, präsentierten die angereisten Gewerkschafter auf der Straße Plakate mit 50 000 Unterschriften gegen die geplante Gesetzesänderung. Die Hoffnungen, die Regierung noch umstimmen zu können, waren trotz allem nicht besonders groß. »Ich gehe davon aus, dass sie das in ihrer Ignoranz einfach durchziehen«, erklärte Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der IG Bau in Bezug auf die Bundesregierung. »Die Rente mit 67 ist sozial ungerecht und bringt nichts - außer den Unmut der Bevölkerung weiter zu schüren«, so der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Wiesehügel meinte, dass 73 Prozent der deutschen Bevölkerung nicht mit den Rentenreformplänen einverstanden seien.
Mit einer öffentlichen Anhörung von Betriebsräten machte der DGB deutlich, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon heute in den Betrieben die Minderheit bilden. Bei der Post seien nur etwa ein Prozent der Kollegen über 60, so der Betriebsrat Siegfried Gelzleichter. »Es gibt gar keine Möglichkeit mehr, bis 65 zu arbeiten.« Rolf Wiegand, stellvertretender Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Berliner Stadtreinigung, vertrat die Auffassung, dass die körperlich harte Arbeit in seiner Branche schon jetzt nur wenige bis zum regulären Rentenalter durchhielten. Viele hätten ihre Gesundheit durch die Frührente gerettet.
Zu seiner alternativen Anhörung hatte der DGB auch Ernst Kistler, Leiter des Instituts für Empirische Sozialforschung, und Simone Leiber vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung eingeladen. Kistler erklärte, für eine längere Lebensarbeitszeit müssten eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt werden, darunter die Gesundheit der Arbeitnehmer sowie ihre fortlaufende Weiterbildung und Motivation. Außerdem müssten die entsprechenden Arbeitsplätze für diese Menschen überhaupt vorhanden sein. Keine dieser Voraussetzungen sah Kistler derzeit als erfüllt an. Leiber machte auf den Unterschied aufmerksam, den die geplante Rentenregelung für Männer und Frauen bedeuten würde.
Von Seiten der Bundesregierung ist geplant, dass die Beitragszahler nach 45 Beitragsjahren ihre volle Rente erhalten sollen, unabhängig davon, ob sie das 67. Lebensjahr vollendet hätten. Laut Leiber können aber derzeit nur 30 Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen diese Beitragszeit aufweisen.
Sollte die Rentenreform in der geplanten Weise verabschiedet werden, müssten spezielle Arbeitsbedingungen für Ältere geschaffen werden, so die Podiumsteilnehmer. »Wir brauchen tarifvertragliche Regelungen, wie altersgerechtes Arbeiten aussehen kann«, sagte Siegfried Geltzleichter. »Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen gesund und kompetent alt werden«, betonte Kistler. Notfalls müssten Betriebe zu entsprechenden Maßnahmen gezwungen werden. Laut Kistler werde in 20 Jahren ein Drittel der Arbeitnehmer zwischen 55 und 64 Jahren alt sein. Im Allgemeinen gab sich die Gewerkschaftsspitze kämpferisch. »Das Grundübel bleibt, dass wir bis 67 arbeiten sollen und nicht können«, so Michael Sommer. Er kündigte an, die Rentenreform zum Thema für die Bundestagswahl 2009 zu machen. Ver.di-Chef Frank Brsirske sagte, die Auseinandersetzung um die Rente mit 67 werde in den nächsten Tagen und Wochen weiter geführt.
Neues Deutschland, 27. Februar 2007