Im Bundestag formiert sich neue Mehrheit für Begrenzungen
Ein Tempolimit könnte schneller kommen als erwartet. Die drei Bundestagsfraktionen von SPD, Grüne und der LINKEN überlegen, sich »für die Umwelt« zusammenzutun. Druck macht außerdem das neue Bündnis »Pro Tempolimit«, das von der Deutschen Umwelthilfe initiiert wurde.Das hätten sich selbst optimistische Umweltschützer vor einem Monat nicht vorstellen können: Derzeit sieht es so aus, als ob der unbegrenzten Raserei auf deutschen Autobahnen bald das Handwerk gelegt werden könnte. Das, so sind sich Umweltschützer, Verkehrsexperten und Politiker aus SPD, Grünen und Linkspartei einig, könnte einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten. Durch ein flächendeckendes Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde (km/h) könnten laut Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) pro Jahr immerhin 2,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, bei einer Begrenzung auf 120 km/h, so errechnete der Verkehrsclub Deutschland (VCD), sogar mehr als drei Millionen Tonnen.
Den Stein ins Rollen brachte der SPD-Parteitag. Zum Schrecken der Union hatten sich die Sozialdemokraten in Hamburg doch zu Tempo 130 km/h bekannt. Mittlerweile ist eine Mehrheit im Bundestag für die Einführung von Tempolimits. Nun haben die Grünen, die für maximal 120 km/h eintreten, gestern dazu aufgerufen, »im Namen der Umwelt« einen fraktionsübergreifenden Gruppenantrag - ausdrücklich mit gewünschter Beteiligung der Linksfraktion - ins Plenum einzubringen. Der grüne Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn und seine Stellvertreterin Bärbel Höhn wollen nächste Woche einen Antrag für ein 130er Limit im Bundestag zur Abstimmung stellen. Die Linksfraktion hat Entgegenkommen signalisiert: »Da das auch unsere Forderung ist, werden wir uns selbstverständlich an einem Gruppenantrag beteiligen, wenn wir angefragt werden«, sagte gestern die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch auf ND-Nachfrage. Doch sie habe auch schon schlechte Erfahrungen gemacht: Oft genug seien die Unterschriften wieder von Anträgen gestrichen worden, wenn auch ohne sie die erforderliche Mehrheit zustande kam. Daher werde man parallel an einem eigenen Antrag weiterarbeiten. Der ist nicht der erste. Schon vor dem SPD-Parteitag war ein entsprechender Antrag der Linksfraktion abgeschmettert worden.
Sollten sich die drei Tempolimitbefürworter Grüne, SPD und Linkspartei nun auf einen Antrag einigen, könnte es im Bundestag endlich eine Mehrheit für ein gesetzliches Tempolimit geben, das auch dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung entspricht. Laut einer Forsa-Umfrage sind über drei Viertel der Deutschen für eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf Autobahnen.
Es gehe dabei, so Martin Mönnighoff, Polizeidirektor an der Hochschule der Polizei in Münster, nicht nur um die Einsparung von Schadstoffen und CO2, sondern auch um die Verkehrssicherheit. Die Zahl der Toten und Unfälle auf Deutschlands Straßen könnten so reduziert werden. »Durch hohe Geschwindigkeitsunterschiede entsteht ein schlechtes Verkehrsklima und die Unfallpotenziale steigen.« Plötzliche Bremsmanöver und Staus steigerten erheblich das Risiko schwerer Unfälle. Der Polizeidirektor gehört zu den Unterstützern der neuen Allianz »Pro Tempolimit«, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Ins Leben gerufen hat sie die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Deutschland sei das einzige Land in Europa, das keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen habe, meinte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. »Man erlaubt sich hier eine Sonderrolle, die im Widerspruch zu unseren Klimazielen steht - das ist unglaubwürdig.« Derzeit darf laut VCD auf über der Hälfte der deutschen Autobahnen ohne und auf 70 Prozent zeitweise ohne Limit gerast werden. »Das Tempolimit ist die einmalige Chance, ohne viel Geld und Bürokratie etwas für den Klimaschutz zu tun«, unterstrich auch VCD-Chef Michael Gehrmann, der ebenfalls zur Allianz gehört. Es gebe keine Gründe für den Erhalt, aber sehr viele für die Abschaffung freier Geschwindigkeit.
Das sieht die Autolobby natürlich anders. Der ADAC lehnt ein Tempolimit ab, da die CO2-Einsparung nicht nennenswert und der Verkehr auf hiesigen Autobahnen sehr sicher sei. Damit ist für den Club die Diskussion wieder erledigt.
Von Susanne Götze
Neues Deutschland, 6. November 2007