Von Inge Hannemann
„Nur wer arbeitet, soll auch essen!“, so der damalige Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) 2006 während einer Debatte um das Optimierungsgesetz zur Agenda 2010 in seiner Fraktion. Ein Satz, der die Emotionen hoch kochen lässt und gerne auch mal anders herum zitiert wird: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Auch nach zehn Jahren Hartz IV spiegelt der Satz das Sinnbild der Agenda 2010 wieder.
Ist die Koalition inzwischen eine andere, ist die Hartz-IV-Gesetzgebung keine andere. Über 70 Gesetzesänderungen, die mehrheitlich nur eine Verschärfung brachten, beförderten weder mehr überlebensnotwendige Arbeitsplätze noch den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Gerade die monatliche Arbeitslosenstatistik wird missbraucht, um die tatsächliche Arbeitsmarktlage zu verschleiern. Die Öffentlichkeit wird mit dem Wegrechnen von rund einer Million Erwerbslosen belogen. Schon längst steht nicht mehr der arbeitsuchende Mensch im Mittelpunkt, sondern der Zahlenfetischismus des Controllings innerhalb der Bundesagentur für Arbeit.
Hartz IV gleicht einem Verschiebebahnhof, der Erwerbslose unter einer massiven Drohkulisse aus Sanktionen und Existenzangst in atypische Beschäftigung, sinnlose Beschäftigungsmaßnahmen und in die Stigmatisierung des „faulen Hartzers“ drängt. Eine Chance des Entkommens ist diesen Menschen kaum möglich. Fehlen zum einen die notwendigen Arbeitsplätze, jagen zum anderen die Unternehmen, durch die neoliberale Politik unterstützt, der Gier und den Renditen hinterher. Schröders Grundgedanke der Eigenverantwortung im Rahmen der Agenda 2010 beinhaltete die legitimierte Abgabe der Verantwortung unseres Sozialstaates auf die Erwerbslosen und führte somit zur Explosion einer sozialen Schieflage. Steigende Armut, Lohnspreizung und Existenzängste prägen das Bild einer Gesellschaft, die heute und morgen bereits verloren hat.
Hartz IV als Motor der gewollten Armut, Ausgrenzung und Stigmatisierung vieler Millionen Betroffener – wo schlussendlich nur festgestellt werden kann: Ein Wille zur Umkehr war und ist in keiner Koalition zu erkennen und nicht gewollt. Berechtigte Kritik aus der Wissenschaft, der Politik, den Sozialverbänden, den Gewerkschaften und Betroffenen prallen auf eine Mauer des Schweigens und der Ignoranz. Die Folge daraus ist ein System voller innerer Widersprüche, welches die Menschen entrechtet, entmündigt und zur politischen Passivität anleitet. Um den sozialen Frieden nicht weiter zu gefährden, muss die Schlussfolgerung sein: Hartz IV muss weg!
linksfraktion.de, 22. September 2015