Verlierer der Arbeitsmarktreform sind vor allem die Langzeitarbeitslosen
Fünf Jahre Hartz-Gesetze: Ein Erfolgsrezept? Der Chef der Bundesagentur lobte sich gestern schon mal selbst.Beinahe auf den Tag genau fünf Jahre ist es her, dass ein Wort in die Welt trat, das die Bundesrepublik völlig umkrempelte: Hartz. Der Name des VW-Managers und Kanzler-Beraters, der inzwischen wegen gewisser unschöner Vorkommnisse bei VW selbst seinen Job verloren hat, steht heute für die größte Reform des bundesdeutschen Arbeitsmarktes. Am 16. August 2002 stellte die Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes ihre Vorschläge vor - die Hartz-Gesetze I bis IV. Überwiegend positiv fiel die Bilanz der Bundesagentur für Arbeit (BA) gestern dazu aus. Sozialabbau? Keine Spur, so BA-Chef Frank-Jürgen Weise. Die Menschen stünden in der großen Mehrzahl nicht schlechter als vor Hartz da und würden zudem intensiver betreut.
Besonders den derzeit 5,32 Millionen Empfängern von Arbeitslosengeld (ALG) II dürfte das wie Hohn vorkommen. Mit mageren 345 Euro (331 im Osten) mussten sie seit 2005 auskommen, wurden zu Bedarfsgemeinschaften zusammengefasst, mussten Sanktionen, Datenabgleich, Kontrollen über sich ergehen lassen - und oftmals auch Schikanen, Falschauskünfte, lange Schlangen und Bürokratie. Der Regelsatz eines ALG-II-Empfängers wurde inzwischen auf 347 Euro in Ost und West erhöht.
Vom Konzept des »Forderns und Förderns«, wie es der damalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder 2002 im Bundestagswahlkampf verkündet hatte, ist für die Langzeiterwerbslosen das Fordern übrig geblieben. Damit einher ging eine beispiellose Medienhetze, mit der eine ganze Bevölkerungsgruppe diskreditiert wurde. 2001 begann der Kanzler mit den Worten »Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft« eine Debatte über Arbeitsunwilligkeit, Drückeberger und Leistungsmissbrauch. 2003 befürworteten 63 Prozent der Bevölkerung eine Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln für Langzeiterwerbslose, so eine Studie der Bundeszentrale für politische Bildung.
Soziale Proteste konnte diese Debatte nicht verhindern. Hunderttausende trugen 2004 ihren Frust auf die Straße. Die Proteste bescherten vor allem Linkspartei und WASG großen Zulauf, Montagsdemos traten im Osten mit dem Slogan »Wir sind das Volk« auf. Doch die damals rot-grüne Koalition schien das wenig zu kümmern, unbeirrt zog sie Hartz IV durch. Inzwischen haben die Hartz-Gesetze der Prekarisierung des Arbeitsmarktes Tür und Tor geöffnet, meinen Kritiker.
Insgesamt 6,242 Millionen Menschen erhalten Leistungen, 3,150 davon sind als arbeitslos registriert. Von den ALG-II-Empfängern sind derzeit 2,515 Millionen arbeitslos gemeldet. Im Oktober 2006 zählte die BA unter den restlichen 2,813 Millionen ALG-II-Empfängern 602 000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte »Aufstocker« - nicht zuletzt eine Folge der mit den Hartz-Gesetzen einhergehenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Auch das vollmundig verkündete Ziel, die Zahl der Erwerbslosen in drei Jahren um die Hälfte zu reduzieren, ist gescheitert. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum ALG II schnellte die Statistik in die Höhe: Von 3,8 Millionen Erwerbslosen im Jahr 2002 auf zwischenzeitlich 5,2 Millionen. Zwar hat sich der konjunkturell bedingte Aufschwung inzwischen auch auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Ganz vorn bei den Branchen, die boomen, liegt bezeichnenderweise die Zeitarbeit.
Manche der einst hoch gelobten Hartz-Instrumente sind seither still in der Versenkung verschwunden. Wer erinnert sich noch an die Leiharbeitsfirmen PSA? Wer weiß noch, was ein Job-Floater war? Selbst die Ich-AGs wurden inzwischen von einem anderen Existenzgründungszuschuss abgelöst. Andere waren erfolgreicher: Für Ein-Euro-Jobs spendierte der Staat allein im Jahr 2005 einem Prüfbericht des Rechnungshofes zufolge 1,1 Milliarden Euro - ein gigantischer Billiglohn-Sektor.
15 Personen saßen seinerzeit in der Hartz-Kommission: Gewerkschafter, Sachverständige, Arbeitgeber, Unternehmensberater, Kommunalpolitiker. Einige Bevölkerungsgruppen waren unterrepräsentiert: Mit Isolde Kunkel-Weber vom ver.di-Bundesvorstand gab es nur eine einzige Frau. Und im Gremium saß kein einziger Erwerbsloser.
- Seit Juli 2007 beträgt der ALG-II-Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen 347 Euro, für ein Kind bis 14 Jahre 208 Euro, einen Jugendlichen ab 14 Jahre 278 Euro.
- Partner und Ehepartner im gemeinsamen Haushalt erhalten 90 Prozent des Regelsatzes, also 312 Euro.
- Der Regelsatz ist eine pauschalierte Leistung, das heißt, es gibt keine Extra-Zahlungen wie beispielsweise für eine neue Waschmaschine.
- Einmalig gezahlt wird für die Erstausstattung einer Wohnung, Kleidung oder Klassenfahrten.
- Berechnungsgrundlage ist die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes. Die letzte EVS wurde 2003 erhoben.
Von Anke Engelmannn
Neues Deutschland, 14. August 2007