In der Affäre um Spionage des Bundesnachrichtendienstes (BND) für den US-Geheimdienst NSA soll heute Bundesinnenminister de Maizière (CDU) im Bundestag Rede und Antwort stehen. Der frühere Kanzleramtsminister wird hierzu vom Parlamentarischen Kontrollgremium befragt. Auch der jetzige Kanzleramtsminister Altmaier (CDU) soll vor den Geheimdienstkontrolleuren aussagen. Zuvor findet eine Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestags mit Generalbundesanwalt Range statt. Dabei geht es um die Frage, inwieweit Range wegen der Ausspähaktionen des BND tätig wird. Am Nachmittag befasst sich das Bundestagsplenum in einer Aktuellen Stunde mit der Affäre und beleuchtet die Zusammenarbeit von BND und NSA. "Bis jetzt liegt ja vieles im Dunkeln", beklagt André Hahn, Vorsitzender des Geheimdienstkontrollgremiums. Die Frage sei, "wann Herr de Maizière durch wen informiert worden ist, was er gewusst hat, was er möglicherweise, wenn er es gewusst hat, dagegen unternommen hat, ob er bei den Amerikanern vorstellig geworden ist und versucht hat, es zu unterbinden".
Mindestens bis 2013 spähte der US-Geheimdienst NSA deutsche und europäische Ziele aus. Das bestätigte die Bundesregierung am 4. Mai in einem Geheimpapier, das das ZDF-Magazin "Frontal 21" einsehen konnte. Demnach stellte der BND noch am 26. August 2013 fest, dass die NSA aktuelle Mail-Adressen von europäischen Politikern, Ministerien europäischer Mitgliedsstaaten, EU-Institutionen, aber auch Vertretungen deutscher Firmen ausspähte. Bislang war bekannt, dass der BND im Jahr 2005 Spionage der NSA gegen europäische Firmen wie EADS und Eurocopter bemerkt und anschließend angeblich gestoppt hatte. Die amerikanische Spionage-Praxis habe gegen deutsche Interessen verstoßen, räumt das vom ZDF genannte Regierungsdokument ein. Es belegt zudem, dass die NSA-Wirtschaftsspionage auch nach 2005 weiterging - gegen deutsche Firmen.
In den Jahren 2008 und 2010 warnte der BND das Bundeskanzleramt vor Industriespionage durch die NSA. Von einer neuen, von NSA und BND gemeinsam geplanten Abhörstation außerhalb Deutschlands gehe Gefahr aus. "Dass die NSA weiterhin gemäß US-Interessen deutsche Ziele aufklärt, kann [...] nicht verhindert werden", heißt es in einer Orientierungsmappe des BND für den damaligen Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Günter Heiß. Der Ausdruck einer aktuellen Liste mit 12 000 deutschen und europäischen Suchbegriffen, so genannten Selektoren, liegt dem Bundeskanzleramt vor. Das Dokument mit Stand 6. März 2015 wird dem NSA-Untersuchungsausschuss bisher verweigert. Der US-Geheimdienst müsse erst konsultiert werden, heißt es aus Regierungskreisen. "Man fragt also die Amerikaner, die uns auspioniert haben, ob der Untersuchungsausschuss seine Arbeit machen kann. Den Täter fragen, ob man gegen ihn ermitteln darf. Das eine abstruse Welt", kritisiert Martina Renner, für DIE LINKE Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss.
Von der Bundesregierung, insbesondere von der Union, und den Geheimdiensten gibt es bisher nur Ausflüchte und Schutzbehauptungen statt Aufklärung. Schuldvorwürfe an Medien oder Politik, die sich um Aufklärung bemühen, sind das Letzte, was sich die Dienste und die für sie politisch Verantwortlichen jetzt leisten sollten. Hält die Bundeskanzlerin die vom BND unterstützte und offenbar auch für eigenen Zwecke verwertete NSA-Spionage gegen europäische und deutsche Institutionen und Unternehmen inzwischen offenbar für ein notwendiges Übel und will die Geheimdienstzusammenarbeit einfach fortsetzen? "Statt sich über Vorwürfe zu empören, sollten die Verantwortlichen in der BND-Affäre alle Fakten auf den Tisch legen. Nach zwei Jahren des Verschleierns, des Abwiegelns und der Auskunftsverweigerung hat die Kanzlerin jetzt die letzte Chance, eine Aufklärungsoffensive zu starten. Sonst fallen ihr Geheimdienstaffäre und Selektorenlisten genauso auf die Füße wie schwarze Konten und Spenderlisten einst ihrem Förderer. Angela Merkel ist dabei, im schlechtesten Sinne in die Fußstapfen Helmut Kohls zu treten", erklärt Fraktionsvize und Innenexperte Jan Korte.
"Dieser Spionageskandal kann einer der größten in der Geschichte der BRD werden", warnt Gregor Gysi. Er fordert die Vernehmung von Kanzlerin Merkel vor dem
NSA-Untersuchungsausschuss. "Sie muss aussagen, übrigens unter Eid", so Gysi.