Lafontaine umwirbt Gewerkschafter für politische Aktionen
BERLIN. Oskar Lafontaine kann sehr realistisch sein. "Wir können hier mit unseren 53 Abgeordneten im Bundestag sitzen und tam, tam, tam machen, aber das reicht nicht", sagt der Fraktionschef der Linken. Das sehen seine Gäste genau so. An die 150 Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre sind der Einladung zur ersten Betriebsrätekonferenz der Linksfraktion gefolgt. Dicht gedrängt sitzen sie und lauschen Lafontaine, der die Strategien der Linken im Kampf gegen den Sozialabbau erläutert.Je radikaler er argumentiert, umso größer ist die Zustimmung. Kräftigen Beifall bekommt er für seine Forderung, in Deutschland das Recht auf einen politischen Generalstreik einzuführen. Er erinnert an die großen Demonstrationen gegen die Hartz-IV-Reformen. "Das war wunderbar. Aber was kommt dann?" Die Leute gingen nach Hause, als sei nichts geschehen, "und im Parlament stimmt die Mehrheit gegen die Mehrheit des Volkes". Da müsse ein politischer Streik als demokratisches Korrektiv her, fordert der frühere SPD-Vorsitzende.
Das sind Töne, die dieses Publikum gern hört. Es sind Gewerkschafter, die die vergangenen Jahre als eine einzige Kette von Niederlagen und von Verrat durch die Sozialdemokraten erlebt haben. Wer dieser Debatte folgt, versteht, weshalb ein Franz Müntefering auf dem DGB-Kongress ausgepfiffen und Oskar Lafontaine beklatscht wird. Hier sitzen viele ehemalige Sozialdemokraten aus dem Westen, aktive und bestens vernetzte Gewerkschafter, ein guter Teil des Kapitals, das Lafontaine mit der WASG in die neue Linkspartei einbringt.
Und die Sozialdemokraten in den Gewerkschaften werden sich auf einiges einstellen müssen. Man ist sich hier einig, die Einführung des Rechts auf Generalstreiks in vielen Gewerkschaftsversammlungen und Kongressen als Antrag einzubringen. Das bringt die SPD-Kollegen ebenso in Nöte wie Aktionen gegen die Rente mit 67. Im Januar tritt Das entsprechende Gesetz in Kraft, "dann muss es in der ganzen Republik hämmern", sagt einer. Der Betriebsratsvorsitzende der Hamburger Hafenarbeiter erinnert an den großen Streik im Januar, mit dem eine EU-Richtlinie zur Deregulierung der Hafenarbeit zu Fall gebracht wurde. Das ist der Stoff, aus dem hier die Hoffnung auf bessere, kämpferische Zeiten geschöpft wird.
Holger Schmale
Berliner Zeitung, 30. November 2006