Am 16. Juni 2008 standen im Ausschuss Arbeit und Soziales drei Anträge zur Existenzsicherung durch das SGB II - bekannt als Hartz IV - zur Debatte mit externen Sachverständigen. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE fordert, den Regelsatz auf 435 Euro anzuheben, die Fortschreibung dieses Wertes an den Lebenshaltungskosten auszurichten sowie die Übernahme der Kosten für besondere Mehrbedarfe (insbesondere Lernmittel) zu regeln (16/7040). Zwei Anträge von Bündnis 90/ Die Grünen gingen in eine inhaltlich ähnliche Richtung.
Die Stellungnahmen der eingeladenen Expertinnen und Experten bestätigen teilweise die Kritik der LINKEN an der Leistungshöhe und begründen sehr detailliert, warum der Regelsatz sogar gegenüber der gültigen Rechtslage zu gering ausfällt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Sachverständige Irene Becker weisen auf massive Mängel des so genannten Statistikmodells - mit diesem Verfahren wird der Regelsatz ermittelt - hin. Technische Details der Berechnungen sollen hier nicht ausgeführt aber ein resümierender Satz soll zitiert werden: " In der Regelsatzverordnung von 2004 nahmen diese Eingriffe (der Regierung) Formen an, die, in der Sache z.T. nicht mehr nachvollziehbar, dass alleinige Ziel des Begrenzens von Leistungsansprüchen und Ausgaben kaum mehr kaschierten" - so der Paritätische. Vom Ergebnis her bestätigt der Paritätische die Forderung der LINKEN nach einer Regelsatzhöhe von 435,- als "sachgerecht". Wohlgemerkt: Diese Forderung ergibt sich bereits aus einer sachgerechten Umsetzung des geltenden Rechts.Um die derzeitige Abwärtsspirale von Niedriglöhnen und Grundsicherungsniveau zu stoppen, sei neben der Erhöhung der Regelsätze auch ein gesetzlicher Mindestlohn zu fordern - so der Vertreter des DGB in der Anhörung. Ein Mindestlohn verhindert weitgehend, dass vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ergänzend Hartz IV beziehen müssen.
Fast durchgängig wird in den Stellungnahmen der Anpassungsmechanismus der Leistungen kritisiert. Derzeit wird der Regelsatz durch eine statistische Erhebung - die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe EVS - ermittelt, die lediglich alle fünf Jahre vorgenommen wird. Zwischenzeitlich orientiert sich die Anpassung der Regelleistung an der Entwicklung in der Rentenpolitik. Dies mag in den 90er Jahren noch ein geeigneter Maßstab gewesen sein, in der Zwischenzeit ist aber die Entwicklung des aktuellen Rentenwerts politisch reduziert worden, so dass kaum noch Steigerungen stattfinden. Dies bedeutet eine massive Entwertung des realen Werts. Das Bundesministerium selber gesteht in einem Bericht zu, dass seit 2003 ein Wertverlust von 5 Prozent stattgefunden hat - allerdings ohne daraus einen Handlungsbedarf abzuleiten (http://www.harald-thome.de/media/files/Gesetzestexte%20SGB%20II%20+%20VO/
Optimierungsgesetz/Ueberpruefung_RS_BReg_Nov07.pdf). Fast alle Stellungnahmen kritisieren daher den Anpassungsmechanismus massiv (DGB, Parität, BAGFW, Deutscher Sozialgerichtstag, DV, Irene Becker). So schreibt etwa der Sozialgerichtstag: " Die jährliche Anpassung der Höhe der Regelleistung gem. § 20 Abs. 4 S.1 SGB II an die Entwicklung des aktuellen Rentenwerts ... ist sachwidrig“. Die Verbände und Sachverständigen fordern daher - ebenso wie die LINKE - die Orientierung an der Entwicklung der Lebenshaltungskosten. Das soziokulturelle Existenzminimum darf nicht durch unzureichende Anpassung noch weiter gesenkt werden.
Im Zentrum der Stellungnahmen und der Anhörung stand der Bedarf von Kindern und Jugendlichen. Die Forderung nach einer eigenständigen Bedarfsbemessung wird ebenso wie die Kritik an dem bestehenden Verfahren - die Leistungshöhe wird als Prozentsatz vom Erwachsenenregelsatz abgeleitet - als „sachfremd“ zumeist geteilt (DGB, Deutscher Sozialgerichtstag e.V., Parität, BAG FW; Deutscher Verein, Irene Becker). Kalkulationen aus den Stellungnahmen des DGB sowie von Irene Becker zeigen, dass der Kinderbedarf deutlich höher angesetzt werden muss als bisher. „Die heutige Festsetzung des Regelsatzes [für Kinder und Jugendliche]... lässt eine auch nur annähernd überzeugende Festsetzung von - wenn auch nur pauschal - festgelegten Regelleistungen für die Personengruppen nicht erkennen“ - so wiederum der Sozialgerichtstag.
Die Pauschalisierung der Leistungen ist zu weit gegangen. Die Annahme, dass Leistungsbeziehende ansparen könnten, um besondere einmalige Bedarfe zu finanzieren, ist eine Illusion. Es bedarf insofern insbesondere bei den Kindern und Jugendlichen der Anerkennung von Sonder- und Einmalbedarfen sowie der Einführung einer generellen Öffnungsklausel in das SGB II.
Von Andreas Aust