Bundestagsvizepräsidentin hält Doppelfunktion für nicht akzeptabel
Gerd Breker: Am Telefon begrüße ich nun die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau von der Linkspartei. Guten Tag, Frau Pau!Petra Pau: Guten Tag!
Breker: Frau Pau, was ist Ihre Meinung? Darf Reinhard Göhner sein Mandat behalten?
Pau: Ich finde, man kann zwei Vollzeittätigkeiten nicht nebeneinander ausführen. Entweder betrügt er seine Wählerinnen und Wähler, oder er betrügt seinen Arbeitgeber. Insofern ist es interessant, dass die Debatte jetzt mal in Gang gekommen ist, und ich wundere mich, dass sein Arbeitgeber das nicht schon längst angestoßen hat.
Breker: Nun ist es ja so, Frau Pau, dass Reinhard Göhner seit 24 Jahren, seit fast einem viertel Jahrhundert im Bundestag als Abgeordneter sitzt. Seit zehn Jahren ist er Hauptgeschäftsführer dieses Verbandes. Was hat sich mit der Causa Röttgen geändert?
Pau: Seit zehn Jahren kündigt der Abgeordnete Göhner auch an, dass er sich demnächst mal entscheiden wird. Das hat er immer noch nicht geschafft. Ich finde mit der Causa Röttgen hat er jetzt eine einmalige Chance, auch konsequent zu sein.
Interessant finde ich, dass viele Forderungen, die auch meine Fraktion schon lange erhebt, aber auch viele Verbände, offensichtlich jetzt mehrheitsfähig werden, nämlich erstens Offenlegung aller Abhängigkeiten und Nebentätigkeiten - wir wissen ja: es laufen auch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht, wo sich Abgeordnete der Union und der SPD dagegen wehren - und die Auseinandersetzung, wie weit eine Nebentätigkeit gehen kann.
Breker: Reinhard Göhner hat heute in der "Financial Times Deutschland" gesagt, er habe es noch nie erlebt in seiner Zeit als Abgeordneter, dass es irgendeinen Interessenkonflikt gegeben hätte. Kann man daraus lernen: was für die Arbeitgeber gut ist, das ist auch gut für Deutschland, gut für die Bürger?
Pau: Das halte ich für ein Gerücht, dass alles das, was für die Arbeitgeber gut ist, auch für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gut ist. Aber ich denke, da muss Herr Göhner eher in sich gehen, warum er da keine Interessenskonflikte spürt. Da halte ich es dann doch eher mit denjenigen, die Herrn Röttgen auch aufgefordert haben, sich zu entscheiden. Man kann nicht an der einen Stelle politische Entscheidungen einerseits beeinflussen, mittragen und am nächsten Tag diese vielleicht als Verbandspräsident kritisieren. Das macht nicht nur unglaubwürdig, sondern wirft auch die Frage auf, wer hat welchen Einfluss auf politische Entscheidungen.
Breker: Reinhard Göhner hat sogar gemeint, er sei ein Vorbild. Eigentlich müssten noch viel mehr Funktionäre in den Bundestag. Und wenn wir an die Gewerkschaftsseite denken, dann ist seinem Vorbild ja schon gefolgt worden.
Pau: Ich glaube, er verwechselt da was. Ich finde auch, dass der Bundestag den Querschnitt der Bevölkerung demonstrieren soll, das heißt aus ganz verschiedenen Berufsgruppen Vertreterinnen und Vertreter dort sein sollen, und im angemessenen Maß sind dann auch Nebentätigkeiten möglich. Aber Lobbyismus in dieser Weise, denke ich, kann nicht hauptamtlich im Bundestag vertreten sein. Insofern bin ich zum Beispiel ganz froh, dass die Gewerkschaftsvertreter in der Linksfraktion - das sind übrigens keine Bundesfunktionäre, sondern regionale Funktionäre - ihre Arbeitszeit mindestens halbiert haben oder wie im Fall von Ulla Lötzer aus Nordrhein-Westfalen sich beurlauben lassen für die Zeit ihres Mandates. Da sind die Verhältnisse dann klar.
Breker: Sie haben es schon angedeutet, wer alles im Bundestag vertreten ist und wer da sein sollte. Wir sagen ja bei anderer Gelegenheit immer, möglichst alle gesellschaftlich relevanten Gruppen sollen vertreten sein. Warum nicht auch die Arbeitgeber?
Pau:! Die Arbeitgeber sind schon vertreten dadurch, dass natürlich Menschen, die Firmen besitzen beziehungsweise Geschäftsführer sind, auch Bundestagsmandate haben. Aber beim BDI und beim BDA handelt es sich um eindeutige Lobbyisten, die versuchen, was ihr gutes Recht ist, Einfluss auf politische Entscheidungen im Vorfeld zu nehmen. Da müssen die Spielregeln sehr genau geklärt sein, dass dieser Einfluss von außerhalb des Parlamentes erwirkt und nicht im Parlament auch vertreten ist.
Breker: Funktionäre wie etwa Reinhard Göhner sind doch offen und ehrlich. Alle wissen um ihre Tätigkeit bei diesem Verband. Bei anderen, etwa bei Anwälten, ist es viel schwieriger herauszufinden, ob sie nicht ein Mandat haben von der oder der Industriegruppe oder welcher Gruppe auch immer.
Pau: Das mag ja offen und ehrlich sein, aber da komme ich wieder zu meiner Ausgangsbemerkung zurück. Herr Göhner konnte ja auch noch nicht erklären, wie man zwei Vollzeitjobs parallel ausüben kann und damit sowohl seinen Wählerinnen und Wählern, seinen Verpflichtungen in der Fraktion und andererseits seinem Arbeitgeber gerecht werden kann. Das ist, denke ich, übermenschlich. Man kann nur 24 Stunden am Tag arbeiten. Gelegentlich sollte man sich auch noch erholen und wieder neu auftanken.
Breker: Vielleicht hat man gute Mitarbeiter?
Pau: Das mag zwar sein, aber ich denke ein Mandat muss man schon selbst ausführen. Im Bundestag kann übrigens auch nur der Abgeordnete abstimmen oder sprechen und nicht etwa sein guter Mitarbeiter.
Breker: Nun wird Reinhard Göhner ja immer wieder wiedergewählt. Käme eine Mandatsniederlegung, also die Forderung danach, nicht auch irgendwie einem Berufsverbot ähnlich? Damit haben Linke doch eigentlich auch Probleme, oder nicht?
Pau: Ich habe Probleme mit Berufsverboten aus Gewissens- und anderen Gründen. Ansonsten, Herr Göhner wird sicherlich selbst entscheiden müssen, wie er jetzt mit dem Mandat umgeht. Ich denke aber, Wählerinnen und Wähler werden vielleicht auch sensibler in Zukunft darauf reagieren und nachfragen, was machst du eigentlich mit unserem Mandat.
Breker: Wie werden Sie eigentlich dem Kollegen Norbert Röttgen demnächst im Bundestag begegnen? Er hat ja auf sein Hauptgeschäftsführersein ab nächstes Jahr beim BDI verzichtet und sich für die Politik entschieden. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?
Pau: Ich werde ihm mit sehr viel Respekt begegnen und freue mich sicherlich auf manche Auseinandersetzung, aber auch manche politische Debatte, sowohl im Ältestenrat des Bundestages, wo wir uns regelmäßig treffen, als auch im Plenum.
Breker: Brauchen wir eigentlich einen neuen Katalog von Regeln, was Bundestagsabgeordnete sein dürfen, was sie tun dürfen, was sie offen legen müssen? Muss hier eine neue Klarheit geschaffen werden?
Pau: Was die Offenlegungspflichten betrifft, ist eigentlich im vergangenen Jahr dazu alles beschlossen und gesagt worden, nur dass das einige Abgeordnete bisher nicht akzeptieren. Deshalb läuft noch ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Ich finde Bundestagsabgeordnete sollten hier vorbildlich erstens ihre Einkünfte einschließlich Nebeneinkünfte offen legen, auch mögliche Abhängigkeiten, die man übrigens nicht nur durch solche Tätigkeiten haben kann. Ich lege auf meiner Internetseite auch Mitgliedschaften, ehrenamtliche Mitgliedschaften in Vereinen und Stiftungskuratorien offen, so dass sich Wählerinnen und Wähler, aber natürlich auch die politische Konkurrenz ein Bild machen können, welche Schwerpunkte ich setze. Ich würde mich, sollte es zu Abstimmungen im Bundestag kommen, die ganz konkrete Gegenstände dieser Kuratorien, Stiftungen oder Vereine betreffen, auch als befangen erklären und an bestimmten Dingen nicht teilnehmen. Ich denke, das sollte eigentlich genügen.
Breker: Im Deutschlandfunk war das die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Petra Pau von der Linkspartei. Frau Pau, danke für dieses Gespräch.
Pau: Gerne.
Deutschlandfunk, 24. Juli 2006