Die hessische Linke will am Montag in Frankfurt/Main gemeinsam mit Migrantenorganisationen auf die Straße gehen. Gespräch mit Sevim Dagdelen
Sevim Dagdelen ist migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im BundestagKurz vor Neujahr startete Hessens Ministerpräsident Roland Koch seine Kampagne gegen ausländische Jugendliche. Am Donnerstag haben sich Migrantenverbände massiv mit einem offenen Brief dagegen zur Wehr gesetzt - warum haben sie sich das anderthalb Wochen lang so gefallen lassen?
Das war natürlich nicht die erste Reaktion von Migrantenseite. Aber die erste wirklich organisierte - immerhin haben etwa 100 Verbände den Brief unterzeichnet. Aber es sollten sich auch andere zu Wort melden, es ist die »Zivilgesellschaft« gefragt, von der Politiker immer so gerne schwafeln.
Teil dieser Zivilgesellschaft sind auch die Linkspartei und ihre Faktion im Bundestag. Bisher hat man aus dieser Ecke nur verhaltene Proteste vernommen ...
Auch ich hätte mir gewünscht, daß wir etwas stärker in die Debatte eingreifen. In der öffentlichen Wahrnehmung reduziert sich der Konflikt ja im wesentlichen auf einen Streit zwischen Union und SPD. Aber immerhin - meine Fraktion hat sich aus verschiedenen Blickwinkeln dazu geäußert: rechts-, innen- und migrationspolitisch. Auch unser Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine hat sich eingeschaltet. Erklärungen allein bringen aber nichts, Solidarität muß immer konkret sein.
Es gibt daher auch Gegenaktionen: Die Genossinnen und Genossen in Hessen planen für Montag eine große Protestkundgebung, die um 19 Uhr zusammen mit Migrantenorganisationen vor dem Frankfurter Römer stattfinden soll. Wie Sie sehen, geschieht schon einiges, aber ich würde mir dennoch wünschen, daß alle Organisationen und Verbände, die gesellschaftliche Verantwortung tragen, sich gegen die Kochsche Ausländerhetze zur Wehr setzen. Da wären vor allem auch die Gewerkschaften gefragt.
Zurück zur Linkspartei: Wie eng arbeitet sie mit Migranten-Organisationen zusammen? Allein in Hessen hat angeblich jeder vierte Einwohner ausländische Wurzeln.
Ich selbst gehöre auch dazu, ich bin Geschäftsführerin einer Selbstorganisation von Migranten. Allerdings will ich eines betonen: Die Linkspartei hat ihre Einsicht noch nicht ausreichend in konkrete Politik umgesetzt, daß Migrantenorganisationen natürliche Bündnispartner sind. Wobei der türkische Unternehmerverband oder gar die ultrarechten »Grauen Wölfe« selbstverständlich ausscheiden.
Wie wird die Ausländerhetze in Migrantenfamilien aufgenommen?
Sie nehmen das als Diffamierung wahr. Koch betreibt ein brandgefährliches Spiel. Ich habe das 1999 als Studentin im Wahlkampf in Marburg erlebt, als es um die Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ging, um den sogenannten Doppelpaß. Die Menschen sind scharenweise zu den Infoständen der CDU gegangen - mit der Begründung, dort könne man gegen die Ausländer unterschreiben. Solche Kampagnen spalten die Gesellschaft.
Was sollte die Partei Die Linke dagegen tun?
Sie muß erstens versuchen, denjenigen das Handwerk zu legen, die diesen rassistischen Wahlkampf vorantreiben. Zweitens sollte sie stärker darüber aufklären, daß die Behauptungen falsch sind, Jugendliche mit Migrationshintergrund seien eine Gefahr. Und drittens muß sie dazu beitragen, daß den Menschen Ausbildungs- und Arbeitsplätze angeboten werden. Soziale Ungerechtigkeit ist das Grundübel, von dem sich die meisten gesellschaftlichen Probleme ableiten.
Schön und gut. Das alles reduziert sich auf Presseerklärungen und Stellungnahmen für die Schublade. Was will die Linkspartei konkret machen?
So, wie die Linkspartei sagt, »keinen Fußbreit den Faschisten«, sollten wir alle aufstehen und sagen: »Keinen Fußbreit dem Rassismus von Roland Koch!« Die Linke muß Motor sein bei einer antirassistischen und antinazistischen Bewegung in Hessen. Die Landtagswahl findet nämlich am 27. Januar statt - und das ist der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Dieser Tag wird international als Gedenktag für die Befreiung vom Faschismus begangen.
Interview: Peter Wolter
junge Welt, 11. Januar 2008