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Optimistisch in die Zukunft

Archiv Linksfraktion - Im Wortlaut von Klaus Ernst, Gesine Lötzsch,

Hoffen Sie in Ihrer Amtszeit auf eine rot-grün-rote Perspektive im Bund?

Ernst: Wir hoffen vor allen Dingen auf Mehrheiten, die geeignet sind, die Situation der Menschen in unserem Land zu verändern. Auch im letzten Bundestag gab es schon eine rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit. Als Kurt Beck 2006 kurzzeitig SPD-Vorsitzender wurde, haben wir ihm angeboten, die Koalition mit der Union aufzugeben, er könne sofort Bundeskanzler werden. Unsere Bedingungen waren: Einführung des Mindestlohns, weg mit den Hartz-Gesetzen, Rückkehr zur Rente mit 65 und raus aus Afghanistan. Die SPD wollte sich auf keinen dieser Punkte einlassen. Damit will ich sagen: Die Perspektive einer rot-rot-grünen Mehrheit setzt voraus, dass die SPD wieder sozialdemokratisch wird. Sie muss sich fragen, was in ihrer Regierungszeit gut war und was schlecht. Müntefering meinte: Opposition ist Mist. Ich kann nur sagen: Die Regierungszeit der SPD war offenbar auch Mist. SPD und Grüne sind ihren eigenen Mitgliedern eine kritische Bestandsaufnahme schuldig. Ohne diese kann keine rechnerische rot-rot-grüne Mehrheit in eine Koalition umgesetzt werden.

Momentan umgibt sich Schwarz-Gelb mit viel Mist, wie lange geben Sie dieser Koalition noch?

Lötzsch: Vorgezogene Neuwahlen gibt es in Deutschland relativ selten, beim gegenwärtigen Zustand der Koalition sind sie aber nicht ausgeschlossen. Schwarz-Gelb hat sich einerseits sehr miteinander verhakelt, andererseits verfolgen Union und FDP sehr ähnliche Ziele: Sie wollen die Umverteilung von Unten nach Oben fortsetzen, sie wollen keine soziale Gerechtigkeit in unserem Land herstellen, sondern im Gegenteil die begünstigen, die schon begünstigt sind. Da sind sie sich trotz allem Geschrei, trotz aller gegenseitigen Beschimpfungen als »Gurkentruppe«, »Rumpelstilzchen« usw. relativ einig. Und sollten sie es nicht mehr sein: Wir LINKE ziehen gerne wieder in den Wahlkampf und tragen sehr gerne dazu bei, dass dieses Land sozialer und gerechter wird.

Aktuelle Umfragen sehen eher die Grünen als DIE LINKE im Aufwind, woran liegt das?

Ernst: Viele Wähler der FDP akzeptieren nicht mehr ohne Weiteres, dass es richtig war, die Hoteliers zu entlasten und gleichzeitig im Sozialbereich einen Kahlschlag hinzulegen. Sie suchen ihr Heil nun bei den Grünen, weil diese ihnen ideologisch näher sind. Mich freut allerdings, dass wir die Stärke der LINKEN bewahren konnten. Daran haben etliche Leute in den Medien gezweifelt. Sie prophezeiten, dass der Personalwechsel an der Parteispitze uns instabil machen würde. Das ist nicht der Fall.

Wenn die LINKE mögliche Neuwahlen einkalkuliert: Für welche Alternative werben Sie?

Lötzsch: Zunächst stimmt der alte Satz: Es gibt keine Koalition in der Opposition. Es ist unsere Aufgabe, möglichst viele Wählerinnen und Wähler von unseren Zielen zu überzeugen, diese aber auch so zu formulieren, dass die Leute sagen können: Ja, das betrifft mich in meinem persönlichen Alltag, das betrifft mich, wenn es darum geht, mein Leben zu gestalten und zu finanzieren. Es geht also um Druck für den Mindestlohn, für würdige Arbeitsbedingungen, für vernünftige Renten, für mehr soziale Gerechtigkeit - mit einem Satz: Es geht darum, dass DIE LINKE möglichst stark wird. Nur eine starke Partei ist auch ein akzeptierter Verhandlungspartner bei anderen Parteien. Gegen Schwarz-Gelb gibt es im Augenblick aber kein gemeinsames rot-rot-grünes Projekt, dafür fehlen viele Bedingungen. In der Vergangenheit sind etliche Chancen verpasst worden. Wir haben unsere Zusammenarbeit in wichtigen Punkten angeboten, bei Klarheit unserer zentralen Positionen. Augenscheinlich haben sich SPD und Grüne noch nicht entschlossen, was sie wollen. Sie müssen sich entscheiden, ob sie sich inhaltlich nach rechts oder nach links wenden wollen.

Hatten Sie als neue Parteivorsitzende schon Gesprächskontakte mit der SPD und den Grünen?

Ernst: Es gab Kontakte zwischen Gesine und Sigmar Gabriel wegen der Bundespräsidentenwahl. Aber ich möchte noch mal auf den Inhalt kommen: Wann und unter welchen Voraussetzungen wäre ein rot-rot-grünes Bündnis sinnvoll, und ist die Sozialdemokratie bereits soweit, dass sie das auf der Bundesebene überhaupt akzeptieren könnte? Die Strategie der SPD unterscheidet sich in den alten und neuen Bundesländern. Im Osten weiß sie, dass DIE LINKE eine starke Kraft ist, teilweise stärker als sie selbst. Deswegen verweigert sie Koalitionen mit uns nicht mehr. Im Westen jedoch will sie uns nach wie vor aus den Landesparlamenten heraushalten - das klappt zwar nicht, aber sie versucht es trotzdem weiter. Bevor sie diesen Verdrängungskampf nicht aufgibt, kann sie natürlich nicht an eine Zusammenarbeit denken. Aber die SPD verfängt sich in ihrer eigenen Strategie: Sie übernimmt manche unserer Forderungen, und wundert sich, wenn zunehmend mehr Menschen es für denkbar halten, dass man dann doch zumindest miteinander reden sollte. Übrigens schreiben alle bei uns ab und werden dabei nicht rot, dann hätten wir es leichter. Also, wenn wir von unseren berechtigten Forderungen nicht abgehen, werden sich die anderen verändern und dann gibt es eine Chance für Rot-Rot-Grün.

Sie sind jetzt fünf Wochen im Amt. Überwiegt immer noch die Freude oder haben Sie die Mühen der Ebenen schon erreicht?

Lötzsch: Wir sind sehr zufrieden, schauen optimistisch und konstruktiv in die Zukunft. Wir hatten von Januar bis zum Parteitag im Mai genügend Zeit, uns zu überlegen, was uns bevorsteht. Es gibt viele Hoffnungen und Erwartungen. Wähler, das ist meine Erfahrung, denken immer sehr praktisch. Schon wenige Tage nach der Wahl bin ich gefragt worden: Frau Lötzsch, Sie haben doch einen Mindestlohn gefordert - wann kommt der denn endlich? Nun, wir werden unsere Ziele so lange verfolgen, bis wir sie umgesetzt haben. Im nächsten Jahr haben wir mehrere Landtagswahlkämpfe zu bestehen. DIE LINKE sitzt inzwischen in 13 von 16 Landesparlamenten. In Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz wollen wir unseren Erfolg im Westen fortsetzen, dann bleibt nur noch unser Parlamentseinzug in Bayern für 2013. Sehr wichtige Punkte in der nächsten Zeit sind auch die Programmdebatte und der weitere Parteiaufbau. Heute Morgen auf diesem Fest haben unsere Bundesgeschäftsführerin Caren Lay und ich 100 Neumitglieder begrüßt. Es freut mich natürlich, dass Mitglieder aus verschiedenen Bundesländern gerne nach Berlin kommen und wissen wollen, wie es weitergeht.

Klaus Ernst hat in einem ND-Interview vor seiner Wahl gesagt, die Arbeit mit der Partei werde eines der wichtigsten Merkmale der neuen Vorsitzenden sein. Haben Sie schon Duftmarken setzen können?

Ernst: Naja, fünf Wochen sind noch eine kurze Zeit. Natürlich mussten wir zunächst die Arbeitsfähigkeit des neuen Vorstands organisieren. Aber wir wissen auch, wo die Probleme sind. Wir haben noch nicht überall in der Partei, auch nicht in allen Führungen, wirkliche Vereiniger. Wir haben nach wie vor riesige Unterschiede, in der Größe der Partei im Osten und im Westen, auch in der Erfahrung. Unsere Wahlergebnisse in den neuen Ländern mit 30 Prozent erfordern einen anderen Umgang als in Bayern, wo wir bei der Bundestagswahl 6,5 Prozent hatten. Daraus folgende Differenzen müssen wir überwinden. Es ist noch nicht jeder überzeugt, dass es wirklich richtig war, diese gemeinsame Linke zu machen, weil das für den einen oder anderen auch mit einem Verlust an persönlichem Einfluss und an Bedeutung verbunden ist. Gesine und ich werden in den nächsten Wochen und Monaten in alle Landesverbände reisen. Wir werden uns anhören, was den einen oder anderen konkret daran hindert, für diese LINKE mit Freude und Engagement einzutreten. Ich bin überzeugt, dass wir auf diesen Reisen dafür werben können, engagiert für die neue LINKE einzutreten.

Klaus Ernst, Sie geben Ihre Funktion als Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt wegen Ihrer neuen Aufgaben als Parteivorsitzender auf - fehlt Ihnen nun etwas?

Ernst: Dass ich diese Funktion zum 30. Juni wegen der neuen Belastung aufgeben muss, tut mir sehr leid, ich habe gerne für die IG Metall gearbeitet. Wenn ich in meiner Region als IGM-Bevollmächtigter auf Betriebsversammlungen war, habe ich dort 20 000 Leute in direkter Rede erreicht. Da kamen vielleicht 15 000 nur wegen mir, die anderen mussten mich hören, auch wenn sie vielleicht gar nicht wollten. Aber ich hatte damit die Möglichkeit, sie zu überzeugen. Dies war mit der Grund, warum ich in Schweinfurt bei der Bundestagswahl 16 Prozent der Stimmen holen konnte - man stelle sich vor: in Bayern, als Kandidat der LINKEN! Das ist fast eine Revolution. Die Gewerkschaftsarbeit ermöglichte mir, die alltäglichen Probleme hautnah zu erleben und konkret lösen zu helfen. Ich blicke auf diese schöne Zeit mit einem weinenden Auge zurück, und mit einem lachenden nach vorn für die neue Aufgabe.

Gesine Lötzsch, haben Sie Angst, dass etwas auf der Strecke bleibt, wenn Sie sich jetzt mehr um die ganze Partei, nicht nur um Ihren Wahlkreis kümmern müssen, für den Sie dreimal das Direktmandat holen konnten?

Lötzsch: Ich werde mich nach Kräften weiter in meinem Wahlkreis Berlin-Lichtenberg engagieren. Natürlich muss ich mich auch von bestimmten Dingen verabschieden. Zum Beispiel werde ich meine Tätigkeit im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung nicht fortsetzen können. Aber ich freue mich darauf, in meiner neuen Funktion viel Neues hinzuzulernen und vielleicht auch manches in Bewegung zu bringen.

Die Debatte um den Entwurf eines Grundsatzprogramms der LINKEN wird vom ND mit einer wöchentlichen Serie »Offene Fragen der Linken« begleitet. Was erwarten Sie sich von der Programmdebatte?

Ernst: Zunächst mal finde ich es toll, dass die Programmkommission ihren Programmentwurf einstimmig vorgelegt hat. Bedauert habe ich, dass einige - auch Spitzenfunktionäre - den Entwurf sofort, vor jeder Diskussion, mehr oder weniger verrissen haben. Nun erwarte ich aber, dass sich möglichst viele unserer Mitglieder an einem intensiven Diskussionsprozess beteiligen. Ich denke, wir werden im Wesentlichen zwei, drei strittige Fragen haben. Die eine ist, wie wir es mit dem Eigentum halten wollen, zum Beispiel mit den Banken. Meine Position ist klar: Die Banken müssen Dienstleister für die Realwirtschaft sein. Wenn sie das nicht sind, sondern Zocker-Institute, müssen sie unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt werden. Ein zweiter Punkt ist: Wir wollen, dass die Arbeitnehmer an ihren Unternehmen beteiligt werden. Momentan herrscht überall Angst vor Entlassungen oder Betriebsverlagerungen, Angst auch, sich dagegen und gegen sinkende Löhne zu wehren. Arbeitnehmer, die Miteigentümer ihrer Unternehmen sind, könnten in solchen Fragen mitentscheiden, sie könnten selbstbewusster und kampfbereiter sein. Das ist nicht nur von sozialem, sondern auch von wirtschaftlichem Nutzen.

Interview: Gabriele Oertel und Jürgen Reents

Neues Deutschland, 5. Juli 2010