Heute wird in Karlsruhe über die Klage der Linksfraktion gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan verhandelt. Der Fraktionschef der Linken über ein ausgeschaltetes Parlament und gewisse Ähnlichkeiten mit der Sowjet-Besatzung am Hindukusch.
Herr Gysi, was genau erhoffen Sie sich von Ihrer Klage gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan?Es geht um die Frage, ob die Nato des Jahres 2007 noch die Nato des Jahres 1955 ist. Das Zustimmungsgesetz des Bundestages zum Nato-Vertrag ist nämlich 51 Jahre alt und seither nicht verändert worden. Wir glauben aber, dass sich die Nato erheblich verändert hat.
Mit welcher Folge?
Das Parlament wurde mithin ausgeschaltet, wenn es um Veränderungen in der Nato ging. Wir sprechen also über Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die parlamentarische Demokratie, die das Bundesverfassungsgericht jetzt zu klären hat. Das ist der juristische Streit zwischen der Bundesregierung und uns. Politisch geht der Streit natürlich viel weiter.
Der Staatsrechtler Ulrich Battis sagt, es gäbe keine stillschweigende Veränderung des Nato-Vertrags, sondern eine Veränderung des Völkerrechts. Ist das nicht die eigentliche Baustelle?
In Afghanistan gibt es zwei parallel arbeitende Operationen: Zum einen die ISAF, die der zivielen Entwicklung helfen soll und ein Uno-Mandat hat. Zum anderen die Operation „Enduring Freedom“, die ohne Mandat gegen den Terrorismus kämpft. Die USA stützen sich hier auf ein vermeintliches Selbstverteidigungsrecht nach den Anschlägen vom 11. September 2001.
Stimmt es nicht, dass sich die USA damals verteidigen mussten?
Die Lage ist zumindest heute eine andere. Es gibt keinen Staat, der die USA angreift. Die USA sind mit der afghanischen Regierung sogar befreundet. Unser Problem ist, dass die Aufklärungsfotos der Tornados jetzt sicher auch in dem Kampf gegen die Taliban eingesetzt werden - und der ist aus unserer Sicht völkerrechtswidrig.
Die Bundesregierung sagt, die Tornados seien der ISAF unterstellt.
Das ist, gelinde gesagt, Blödsinn. Der stellvertretende Chef des Uno-Einsatzes ISAF ist zugleich Chef von Enduring Freedom, also der Kampftruppen gegen die Taliban. Damit bekommt er alle Fotos, die von den Tornados geschossen werden. Wir müssen wieder zurückkommen zum Völkerrecht und zum Grundgesetz. Sonst könnte man sagen, wir machen überall mit - egal, ob die Rechtslage dafür oder dagegen spricht.
Der afghanische Regierungschef Karsai ist froh über die Tornados. Sie machten sein Land sicherer, sagt er.
Da wäre ich vorsichtig. Eine Abgeordnete der Grünen hat mir gesagt, die Mädchen dürften ja jetzt wieder in die Schule gehen. Da musste ich ihr sagen, die konnten auch zur Schule gehen, als die Sowjets da einmarschiert waren. Aber das rechtfertigt doch nicht den Einmarsch. Die Sowjets hatten damals auch eine Regierung in Kabul, die alles begrüßt hat, was die Sowjets in ihrem Land getrieben haben.
Wie würden Sie gegen die Terroristen vorgehen?
Natürlich ist der Kampf gegen den Terrorismus schwierig. Aber der Konflikt ist doch militärisch nicht lösbar. Ich bitte Sie, die Taliban hatten abgewirtschaftet. Und jetzt haben die wegen des Krieges wieder Zulauf. Unter Saddam Hussein gab es furchtbare Zeiten im Irak, das wird niemand bestreiten. Aber so furchtbar wie heute waren sie nicht. Jeden Tag sterben da viele Menschen.
Der militärische Kampf führt dazu, dass der Terrorismus zunimmt. Krieg ist die höchste Form des Terrorismus. Mittels Gewalt werden wir den Kampf gegen den Terrorismus nicht gewinnen.
Wie dann?
Wir brauchen neue Denkansätze. Wir müssen die Welt sozialer gestalten. Wir müssen über kulturelle Fragen, über Austausch, über Dialog nachdenken. Im Konkreten gibt es auch polizeiliche Maßnahmen. Aber Krieg hilft gar nicht.
Wollen Sie sich wie SPD-Chef Beck mit den Taliban an einen Tisch setzen?
Es gibt Situationen, in denen ich die Stärke des anderen zur Kenntnis nehmen und fragen muss: Ist es möglich, irgendeinen Ausgleich zu finden, damit zumindest das gegenseitige Töten aufhört? In Bezug auf die Taliban bin ich da aber nicht sachkundig genug. Der Beck kommt offenbar an mehr Informationen ran.
Sind Sie dafür, die Truppen in Afghanistan von heute auf morgen abzuziehen?
Ich bin jetzt erst mal dafür, dass die Tornados zurückkommen. Das ist auch im Interesse Deutschlands. Wir müssen uns nicht durch diesen Übereifer zur Adresse von Terrorismus machen. Prinzipiell bin ich natürlich für einen Rückzug, in angemessenen Schritten.
Niemand kann sagen, wie die politische Lösung aussehen soll. Im Kosovo ist das auch so. Ich frage, gibt es da einen Plan? Stehen wir da noch in 30 Jahren? Antworten habe ich von der Bundesregierung bis heute nicht gehört. Die erste Option soll ja immer eine militärische sein: Lass' mal die Generäle machen. Dann machen sie und hinterher weiß keiner mehr weiter. So kann man keine Politik machen.
Interview: Thorsten Denkler, Berlin
sueddeutsche.de, 18. April 2007