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Maritimer Systemintegrator

Archiv Linksfraktion - Nachricht von Gregor Gysi,

Fünfter Tag der Gysi-Sommertour durch Mecklenburg-Vorpommern

 

Alarm in Halle A. Ein wenig am Rand von einer der beiden Straßen, die rechts und links neben dem Trockendock verlaufen, steht ein mittelalter Mann mit einer Vorrichtung, mit der man auch Segelflugzeuge fernsteuern könnte. Gregor Gysi, dem gerade das Herzstück der Nordic Yard Werft in Wismar gezeigt wird, geht auf den möglichen Modellflugzeugpiloten zu. "Was kann man denn damit machen", fragt Gysi, sein rechter Zeigefinger deutet auf die Apparatur. "Zeige ich Ihnen." Der Mann drückt einen der Knöpfe. Daraufhin dröhnt ein Warnsignal durch die gesamte Halle, das nichts anderes bedeuten kann als: Räumen Sie das Gelände! Gefahr im Verzug! Aber nein: Mit seiner Fernbedienung steuert der Kollege eine Kranvorrichtung, deren riesige grüne Stahlfüße an beiden Seiten bis unters Hallendach ragen und die auf Rollen längs der Halle nach bewegt werden kann. Der grüne Koloss setzt sich langsam in Bewegung - sehr langsam.

Der Besuch begann weniger aufregend, aber keineswegs uninteressant mit einem ausführlichen Gespräch mit dem Technik- und dem Finanzdirektor, dem Kommunikationschef und den Betriebsratsvorsitzenden der beiden Standorte - dem hier in Wismar und dem in Warnemünde. Die Werft gehört einem russischen Milliardär. Sein Vorgänger und Landsmann hat die Firma fast in den Konkurs getrieben. Mit entsprechender Skepsis begegnete die Belegschaft anfangs dem neuen Eigentümer. Bis heute scheint die Rechnung jedoch für beide Seiten aufzugehen: Die Werft hat sich strategisch neu aufgestellt, die Auftragsbücher sind gut gefüllt. Es gibt genug Arbeit, so dass Arbeitsplätze aufgestockt werden sollen.

Viele denken bei Werften an die Herstellung von Container- und Kreuzfahrtschiffen. Das letzte Containerschiff wurde in Wismar schon vor einigen Jahren gebaut. Die Zukunft für die Werft sind Offshore-Plattformen. Gerade fertigt Nordic Yards eine solche Plattform. Sie wird einmal 130 Kilometer vor der Küste in einem Park aus so genannten Offshore-Windrädern stehen. Diese Windräder produzieren Gleichstrom. Um diesen über die Riesenentfernung an Land transportieren zu können, muss er in Wechselstrom umgewandelt werden. In Europa gibt es gerade eine Hand voll Werften, in denen die Riesentransformatoren - ungefähr dreimal so hoch wie das Brandenburger Tor in Berlin - zusammengebaut werden können. Entsprechend optimistisch ist man in Wismar für den eigenen Standort. Und um das Ganze auch in eine dynamische Verpackung zu hüllen, nennt sich das Unternehmen nicht mehr Werft, weil das zu sehr nach Pleite klingt, sondern Maritimer Systemintegrator. Darauf ist Kommunikationschef Stefan Sprunk besonders stolz.

"Offshore bis 67 geht gar nicht", stellt Harald Ruschel klar. Der Betriebsratsvorsitzende aus Warnemünde spielt auf das heraufgesetzte Rentenalter an und schildert, dass der Bau der neuartigen Plattformen um ein Vielfaches härter ist für die Arbeiter als herkömmlicher Schiffsbau. Finanzdirektor Jürgen Wollny pflichtet bei. Im Vergleich zu den Offshore-Plattformen mit ihrem hochsensiblen Technikinnenleben seien Containerschiffe "Blecheimer". "Ich sage ja immer, dass man mit 90 vielleicht noch als Politiker im Bundestag herumduddeln kann. Aber mit 67 ein Dach decken? Das geht nicht", wirft Gregor Gysi ein.

Als Gregor Gysi am frühen Nachmittag auf dem Markt von Wismar ankommt, auf dem er eine Rede halten soll, ist natürlich die Bühne bereits aufgebaut, eine beträchtliche Schar interessierter Menschen, die ihn sehen und ihm zuhören will, ist auch schon da. Aber eben nicht da, wo die Organisatoren sie hin haben will - auf der Mitte des Platzes, sondern im Schatten unter den Bäumen am Seitenrand. Der Hochsommer ist auch im Nordosten der Republik zurück. Kurzerhand wird alles so umgebaut, dass das Publikum im Schatten bleiben kann. "Ich hoffe, es ist einigermaßen verträglich für Sie. Mir selbst macht ja Hitze nicht so viel aus. Nur die Deutsche Bank, die habe ich lieber vor mir. Jetzt habe ich sie im Nacken", beginnt Gysi seinen Vortrag. Durch den Umbau hat er jetzt hinter sich eine Filiale des Spekulationshauses.

Während der ersten zehn Minuten versuchen drei, vier Hanseln der Jungen Union, die Rede durch Pfeifen zu stören. Anders als wirklich laute Trillerpfeifenkonzerte gerät diese Aktion allerdings zu einer Parodie. Man schwankt zwischen Belustigung und Mitleid. Statt schriller Töne entrinnen den Pfeifen eher röchelnde Töne. Lag es an den Pfeifen oder an den Pfeifern? Hat niemand den Störenfrieden erklärt, wie sie kraftvoll in die Pfeifen zu blasen haben? "Kein Wunder, dass das mit der CDU nischt wird. Nicht mal pfeifen könnt ihr richtig", tröstet Gregor Gysi die Störenfriede. Als zwei Polizisten dem Merkelnachwuchs sagen, sie sollen das jetzt unterlassen, wirken diese irgendwie erleichtert. Die Abendrede von Gregor Gysi im vollbesetzten Landestheater in Parchim störte niemand. Selbst die Hitze störte die Anwesenden nicht. Der fotografisch dokumentierte Handventilator blieb die Ausnahme. So bleibt auch für den örtlichen Ordnungshüter nichts weiter zu tun, als seine volle Aufmerksamkeit auf das zu richten, was Gysi dem Publikum zu sagen hat.