Pau fordert Aufklärung über Sicherheitsmaßnahmen beim G8-Gipfel
Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Petra Pau (Linkspartei.PDS), hat eine parlamentarische Untersuchung der Sicherheitsmaßnahmen während des G8-Gipfels angekündigt. Es müsse geklärt werden, warum Bundeswehrpanzer in Heiligendamm gewesen seien, sagte Pau. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble warf sie vor, innenpolitisch aufzurüsten.Birgit Kolkmann: Gipfelkehraus und -nachlese: Bei eBay im Internet kann man bereits ein zehn mal zehn Zentimeter großes Stück des derzeit berühmtesten Zauns aus Heiligendamm ersteigern, und der Riesenstrandkorb ist auch schon abgebaut. Der kommt am 23. Juli noch mal zum Einsatz beim Tag der offenen Tür im Bundesrat und wird danach ebenfalls unter das Volk gebracht. Im Parlament dagegen soll es ein Nachspiel der anderen Art geben. Die Linsfraktion fordert eine Debatte über das Sicherheitskonzept, die umstrittene Käfigunterbringung von festgenommenen Globalisierungskritikern und die zunehmende Zahl von Demonstrationsverboten. Wir sind mit Petra Pau verbunden, der stellvertretenden Fraktionschefin der Linken und Mitglied im Innenausschuss. Schönen guten Morgen.
Petra Pau: Guten Morgen.
Kolkmann: Frau Pau, der Republikanische Anwaltsverein hat gestern in Rostock Strafanzeige wegen der angeblich menschenunwürdigen Unterbringung der Gefangenen in Käfigzellen gestellt. Ist das auch die Linie der Linksfraktion?
Pau: Unsere Aufgabe ist nicht, Strafanzeige zu stellen. Das müssen die Anwältinnen und Anwälte beziehungsweise die Betroffenen, die dort oftmals stundenlang ohne irgendwelchen anwaltlichen Beistand, ohne die Mitteilung, was ihnen eigentlich vorgeworfen wird, gehalten wurden, stellen. Unsere Aufgabe ist die politische Bewertung. Und dazu gehört zum einen, in wie weit die Maßnahmen, die dort von Polizei, Justiz oder vom wem auch immer, da stehen auch noch ein paar Fragezeichen, angeordnet wurden, mit dem Grundgesetz, mit unseren Gesetzen und den Bürgerrechten in Vereinbarung zu bringen sind. Und die zweite Frage, selbst wenn das damit übereinstimmt, ist, ob diese Maßnahmen alle sinnvoll waren. Wir werden uns morgen im Innenausschuss des Bundestages sicherlich nicht ein letztes Mal damit befassen.
Kolkmann: Sie sagten eben ein bisschen kryptisch, die Maßnahmen, die von Polizei oder Justiz oder von wem auch immer, das sei nachzuprüfen. Wen haben Sie denn da im Blick?
Pau: Was haben zum Beispiel Bundeswehrpanzer am Tagungsort und auf der Autobahn hin zum Tagungsort zu suchen? Wir haben eine strikte Trennung von Polizei, Bundeswehr, Geheimdiensten in der Bundesrepublik, und nur im Katastrophenfall kann die Bundeswehr zur Amtshilfe herangezogen werden. Was hatte also die Bundeswehr im Inneren dort zu tun? Es wäre zu klären, wer hat das wie angeordnet. Diese Fragen werden wir nicht nur im Innenausschuss, sondern auch im Verteidigungsausschuss stellen. Und sollte das in dieser Sitzungswoche nicht aufklärbar sein, schließe ich auch nicht aus, dass sich die Bundestagsfraktion DIE LINKE auch im Plenum des Bundestages damit befasst.
Kolkmann: Befürchten Sie, dass da der Innenminister, der ja dafür ist, dass die Bundeswehr im Innern eingesetzt wird, dafür aber noch keine rechtliche Grundlage hat, dieses möglicherweise befördert hat?
Pau: Das befürchte ich nicht nur, insofern kenne ich Wolfgang Schäuble wie auch seinen Vorgänger Otto Schily gut genug. In den letzten Jahren, egal ob etwas passiert ist oder ob jemand meinte, es könnte etwas passieren, wurde immer wieder das gesamte Arsenal der Begehrlichkeiten - das heißt Bundeswehr im Innern oder aber Fingerabdruckdatei, die neueste Variante ist nun eine Fingerabdruckdatei für alle Nicht-EU-Ausländer in der Bundesrepublik - herausgeholt, um innenpolitisch aufzurüsten. Ich verstehe ja, dass Sicherheitsbehörden gerne alles wissen wollen, aber wir haben im Grundgesetz aus gutem Grund den Schutz der Privatsphäre, die Bürgerrechte, den Datenschutz verankert. Und da sind Politikerinnen und Politiker nicht nur der Opposition immer wieder aufgefordert, die Balance zwischen den Bedürfnissen der Sicherheitsbehörden auf der einen Seite und den Grundrechten herzustellen.
Kolkmann: Sie haben es eben angedeutet, Niedersachsens Innenminister Schünemann wollte nun eine europäische Gewalttäterdatei bei Europol, weil ja viele der autonomen Randalierer aus dem Ausland gekommen seien. Gibt es da tatsächlich Defizite?
Pau: Ich kann kein Defizit entdecken. Außerdem: Sie wissen, dass rund um den G8-Gipfel zum Teil die Freiheit der EU-Innen- und Außengrenzen wieder außer Kraft gesetzt wurde, der Innengrenzen vor allen Dingen. Das heißt, offensichtlich haben die Sicherheitsbehörden auch in den EU-Staaten weder die Abreise noch die Vorbereitung anderer europäischer Gewalttäter irgendwo im Blick gehabt und dann ihren Kolleginnen und Kollegen signalisiert. Ich denke, man muss einerseits über Polizeitaktik reden, man muss auch darüber reden, mit welchen Konzepten man an ein solches Ereignis herangeht. Ich selbst bin Berlinerin und habe in den vergangenen Jahren erlebt, wie durch eine sehr gute Vorbereitung aber dann auch eine konsequente Durchsetzung der Verabredung zwischen Veranstaltern und Polizei und Stadtverwaltung vor Ort, zum Beispiel in Kreuzberg, in den vergangenen Jahren solche Gewaltrituale, die inzwischen ja völlig inhaltsleer sind und nichts mehr mit politischen Forderungen zu tun haben, nicht nur zurückgedrängt werden konnten, sondern denjenigen, die tatsächlich politisch etwas mitzuteilen haben, auch eine Bühne geschaffen werden konnte. Ich denke, dass ist sehr viel sinnvoller, als innenpolitisch weiter aufzurüsten.
Kolkmann: Das ist aber ein Beispiel für gelungene Kooperation. Der Attac-Mitbegründer Sven Giegold hat gestern gesagt, künftig würden die Globalisierungskritiker bei Großveranstaltungen einen eigenen Ordnerdienst stellen, um gewalttätige Ausschreitungen zu verhindern, weil man das der Polizei nicht überlassen könne, sie habe falsch reagiert. Das spricht aber überhaupt gar nicht für Kooperation.
Pau: Ich halte nichts von einer Ersatzpolizei in privater Hand. Aber richtig ist natürlich, dass Veranstalter von Demonstrationen, Festen oder von was auch immer auch dafür sorgen müssen, dass die eigenen Mitglieder über die Verabredungen vorher aufgeklärt werden. Ich halte manche Debatte, die in den letzen drei, vier Tagen geführt wurde, noch für zu überhitzt. Auch deshalb wollen wir jetzt einfach mal die Maßnahmen auf dem Tisch haben. Und natürlich auch, was hat wann wer wie verabredet und nicht eingehalten. Da wird sich manch einer kritische Fragen gefallen lassen müssen.
Kolkmann: Ist denn vielleicht auch die Diskussion um die sogenannten Käfigzellen etwas überhitzt, wenn sogar amnesty international sagt, die räumlichen Verhältnisse in den befristet genutzten Sammelstellen hätten den Anforderungen entsprochen?
Pau: Das ist jetzt zu prüfen. Deshalb, ich gebe kein vorschnelles Urteil ab, sondern wir haben die Bundesregierung aufgefordert, alles auf den Tisch zu legen, und dann werden wir das politisch bewerten. Allerdings habe ich noch nie in der Bundesrepublik eine solche "Unterbringung" in Käfige noch dazu unter diesen klimatischen Bedingungen gesehen. Es sind zumindest befremdliche Bilder. Wenn es dann heißt, dass viele der dort Beschuldigten inzwischen freigelassen werden mussten, ohne dass es eine Anzeige oder sonst etwas gab, dann stellt sich schon die Frage, warum so lange für sie die Bürgerrechte suspendiert wurden, der Zugang zu einem Anwalt, aber auch zu entsprechender Versorgung. Wie gesagt, kein vorschnelles Urteil, aber auch mit Sorge um den Rechtsstaat und die Grundrechte, wie Demonstrationsfreiheit, Meinungsfreiheit, muss das aufgeklärt werden und für die Zukunft auch wieder neu justiert.
Kolkmann: Petra Pau, die stellvertretende Fraktionschefin der Linken und Mitglied im Innenausschuss. Vielen Dank für das Gespräch.
Moderation: Birgit Kolkmann
Deutschlandradio Kultur, 12. Juni 2007