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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit geschlossenen Augen spreizt drei Finger der rechten Hand © picture alliance/Flashpic|Jens KrickFoto: picture alliance/Flashpic|Jens Krick

Lauterbachs »Reform« ist unseriös

Archiv Linksfraktion - Im Wortlaut von Kathrin Vogler, Rosa Luxemburg Stiftung,

Wie die Krankenkassen gerechter finanziert werden könnten (und dabei noch für fast alle günstiger würden). Gastbeitrag für die Rosa Luxemburg Stiftung von Kathrin Vogler, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE für Gesundheitspolitik, und Marek Voigt, wissenschaftlicher Mitarbeiter.

Es hört sich erstmal wenig an: Im Januar wird der Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um 0,3 Prozent steigen. Das bedeutet aber, dass gesetzlich Versicherte im Durchschnitt 16,2 Prozent ihres Einkommens für die Krankenversicherung bezahlen müssen. Der Grund: Im Haushalt der gesetzlichen Krankenkassen klafft nach Schätzung der Bundesregierung im nächsten Jahr ein Loch von 17 Milliarden Euro.

Gesundheitsminister Lauterbach hat ein Gesetz vorgelegt, das diese Lücke angeblich überwiegend durch "Hebung von Effizienzreserven" schließen will: "85 Prozent der Deckungslücke […] wird abgedeckt durch Maßnahmen, die den Beitragszahler nicht belasten", erklärte der Minister stolz bei der Vorstellung des Entwurfs.

Lauterbachs Rechnung, dass die Beitragszahler:innen nur 15 Prozent des Kassenlochs zahlen, ist allerdings eine bewusste Irreführung. In Wirklichkeit stopfen mal wieder hauptsächlich die Beitragszahler*innen und Versicherten das Loch in den Kassenfinanzen.

Den Löwenanteil der Reform tragen die Beitragszahler:innen durch Beitragserhöhungen in Höhe von 5 Milliarden Euro und die Versicherten durch die Plünderung der Rücklagen und Reserven von Krankenkassen und Gesundheitsfonds (6,4 Milliarden Euro). Denn auch wenn sich "Rücklagen und Reserven" vielleicht abstrakt anhören mag – diese Gelder wurden von den Beitragszahler:innen eingezahlt und es sind Gelder, aus denen eigentlich die Gesundheitsversorgung der Versicherten sichergestellt werden soll.

Die Beitragszahler:innen in der aktuellen Situation, in der die Menschen bereits durch Inflation und Energiekrise belastet sind, mit dieser Zusatzbelastung zu konfrontieren, ist nach Ansicht der LINKEN schlicht ungerecht. Wahrscheinlich ist das auch der Regierung aufgefallen, die deshalb die Pflicht der Krankenkassen, ihre Mitglieder wegen der Erhöhungen anzuschreiben, kurzerhand ausgesetzt hat.

Lauterbachs Reförmchen ist aber nicht nur ungerecht, es ist auch keineswegs zukunftssicher. Wegen der wirtschaftlichen Verwerfungen nach Russlands Überfall auf die Ukraine kann niemand sicher sagen, dass das Defizit in Höhe der von der Regierung prognostizierten 17 Milliarden bleibt. Inflation und Rezession werfen Risiken für die Einnahmenseite der Krankenkassen auf, auf der Ausgabenseite ist überhaupt nicht einkalkuliert, dass Krankenhäuser, Praxen und andere Leistungserbringende dramatische, teils existenzgefährdende Mehrkosten haben, die noch weiter steigen werden und unbedingt ausgeglichen werden müssen. Und selbst wenn die günstigen Prognosen eintreffen sollten, basiert das Gesetz auf Einmaleffekten. Für das Kassenloch im Jahr 2024 und den darauf folgenden Jahren ist fast nichts unternommen worden, außer, dass dann auch noch die Rücklagen fehlen. Dieses Durchwursteln der Ampel ist alles andere als nachhaltig, schon 2024 drohen weitere Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen, obwohl doch Karl Lauterbach diese immer wieder ausgeschlossen hat. Der schöne Titel GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zeigt sich damit als dreister Etikettenschwindel, denn stabil werden die GKV-Finanzen so nicht.

Wie unseriös die Ampelkoalition vorgeht, zeigt ein besonderer Taschenspielertrick, nämlich ein staatlicher Zwangskredit über 1 Milliarde Euro an den Gesundheitsfonds, aus dem die Kassen ihre Mittel zugewiesen bekommen. Wie der eigentlich jemals wieder zurückgezahlt werden soll, weiß nicht einmal die Bundesregierung. Was sie allerdings festgelegt hat: Die Rückzahlung erfolgt erst im Dezember 2026, also nach der nächsten Bundestagswahl.

Die einzigen, die von dieser Art von Reform wirklich profitieren, sind die Bezieher:innen hoher Einkommen. Sie können sich freuen, denn im Zwei-Klassen-Gesundheitssystem mit Beitragsbemessungsgrenze und privater Krankenversicherung müssen sie weiterhin prozentual weniger zur Finanzierung beitragen als normale und geringe Einkommen.

Die Anträge der LINKEN[1] zeigen konkret auf, wie man die Finanzlöcher der Kassen ohne Belastung der niedrigen und mittleren Einkommen stopfen und dabei die Finanzierung des Gesundheitswesens gerechter und nachhaltiger gestalten kann. DIE LINKE fordert, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, die Beitragszahlung für ALG-II-Beziehende durch den Bund zu erhöhen und die Mondpreise für neue patentgeschützte Arzneimittel effektiver anzugehen. Außerdem soll die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel abgesenkt werden, das allein würde 5 Milliarden Euro einsparen und könnte damit die Anhebung des Zusatzbeitrags für die Versicherten ersetzen.

Noch im Wahlkampf hatten SPD und Grüne versprochen, die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung gerechter zu gestalten. Leider haben SPD und Grüne in den Koalitionsverhandlungen dieses Versprechen aus dem Wahlkampf aufgegeben. Dabei wäre gerade das die Antwort auf die gigantischen Herausforderungen für unser Gesundheitswesen. In diesen Zeiten ist die Solidarität der Gutverdienenden dringlicher denn je. Wenn die Versicherungspflichtgrenze und die Beitragsbemessungsgrenze wenigstens wie von der LINKEN gefordert auf das Niveau der Rentenversicherung angehoben würde, brächte das etwa 13 Milliarden Euro jedes Jahr und die Beiträge für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen bräuchten nicht zu steigen.

Dieser Vorschlag ist aus Sicht der LINKEN aber nur der Einstieg in eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung. Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze würde etwa 13 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen generieren, die zur raschen Stabilisierung der Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung und zur Verhinderung von höheren Belastungen bei niedrigen und mittleren Einkommen beitragen. Dadurch könnte der größte Teil des zu erwartenden Defizits abgefedert werden. Das ist alles bereits durchgerechnet: In dem Gutachten "Beitragssatzeffekte und Verteilungswirkungen der Einführung einer Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung" stellen Prof. Dr. Heinz Rothgang und Dominik Domhoff fest, dass auf Basis der Daten von 2019 dadurch 12,65 Milliarden Euro an zusätzlichen jährlichen Einnahmen generiert werden würden. Da die dem Gutachten zugrundeliegenden Einkommensdaten 2023 bereits vier Jahre alt sein werden, ist sogar von höheren Mehreinnahmen auszugehen. Diese Mehreinnahmen entstehen nur bei Einkommen oberhalb von 5.362,50 Euro (Stand 2022), alle unter diesem Betrag werden nicht belastet. Einkommen oberhalb dieser Summe zahlen bislang einen geringeren Prozentsatz ihres Einkommens an die Krankenkasse als die Einkommen darunter. Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze bringt also nicht nur mehr Einnahmen, sondern beseitigt auch eine Ungerechtigkeit zumindest teilweise.

Um die gesetzliche Krankenversicherung mittel- und langfristig zu stabilisieren ist es allerdings notwendig, ihre Finanzierung nicht wie bisher nur auf Löhne und Renten zu stützen, sondern auch auf sonstige Einkünfte, insbesondere Kapitaleinkünfte und Gewinne aus Vermietung und Verpachtung auszuweiten. Bei freiwillig gesetzlich Versicherten ist dies bislang schon der Fall. Es ist aber auch innerhalb der Gruppe der Pflichtversicherten ungerecht, wenn eine Person mit 1.000 Euro Arbeitseinkommen und 3.000 Euro Kapitaleinkommen nur ein Viertel des Beitrags einer Person mit 4.000 Euro Arbeitseinkommen zahlt, denn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beiden ist dieselbe. Nach dem oben erwähnten Gutachten von Rothgang und Domhoff würde das auf Basis der Daten von 2019 rund 11 Milliarden Euro an zusätzlichen Beitragseinnahmen bedeuten. Durch die geringere Abhängigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung von Löhnen und Renten würde als Nebeneffekt die Finanzierung verlässlicher.

Die solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung würde zusammen mit den anderen Maßnahmen, die DIE LINKE im Zusammenhang mit der Reform der GKV-Finanzierung vorgeschlagen hat, ein Plus von 31 Milliarden für die gesetzlichen Kassen bedeuten. Genug Geld, um auch noch die Leistungskürzungen der letzten «Reformen» im Gesundheitswesen zurückzunehmen und die Zuzahlungen abzuschaffen. Ob die Ampel dazu bereit ist, sich für diese Verbesserungen mit den Besserverdienenden anzulegen, darf bezweifelt werden. Wir werden die spätestens im nächsten Jahr wieder aufkommende Diskussion um die Gesundheitsfinanzierung dazu nutzen, den Druck für eine solidarische und nachhaltige Gesundheitsfinanzierung zu erhöhen.


[1] Antrag DIE LINKE: Kassendefizite solidarisch überwinden – Erhöhung der Beitragssätze durch die Krankenkassen verhindern, Antrag DIE LINKE: Mehrwertsteuer auf Arzneimittel absenken – Anhebung der Zusatzbeiträge für gesetzlich Krankenversicherte verhindern

Rosa Luxemburg Stiftung,