Die Linkspartei setzt die SPD bei der Forderung nach Mindestlöhnen mit einem Trick unter Druck. Am Donnerstag lässt die Linksfraktion im Bundestag über einen Antrag abstimmen, der wörtlich der SPD-Unterschriftenaktion zum Mindestlohn gleicht. Die SPD mache sich "völlig unglaubwürdig", wenn sie ihre eigene Unterschriftenaktion ablehne, sagte der Fraktionschef der Linkspartei, Oskar Lafontaine, der "Welt am Sonntag". "Im Bundestag gibt es eine Mehrheit für die Einführung von Mindestlöhnen. Aber die SPD ist drauf und dran, dies zu verspielen", sagte Lafontaine.
Die SPD-Fraktion wollte den Vorgang nicht kommentieren. Der SPD-Spitzenkandidat in Niedersachsen, Wolfgang Jüttner, sagte, der Linkspartei gehe es nicht um Inhalte, sondern nur darum, die Sozialdemokraten vorzuführen. Die SPD hat mit Gewerkschaften bisher einige 10 000 Unterschriften für gesetzliche Mindestlöhne gesammelt. Zu den Erstunterzeichnern ihres Aufrufes gehören Vizekanzler Franz Müntefering und SPD-Fraktionschef Peter Struck. Zum Ärger der SPD haben die Aktion auch die 53 Abgeordneten der Linksfraktion unterzeichnet.Die SPD steckt beim Mindestlohn in einer Zwickmühle. Einerseits wird sie von der Linkspartei durch den früheren SPD-Chef Lafontaine mit Maximalforderungen überholt. Auf der anderen Seite wird sie in der Regierung von ihrem Koalitionspartner, der Union, ausgebremst.
Die Große Koalition will am 18. Juni definitiv entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Form es Mindestlöhne geben soll. Sollte sich die Koalition nicht einigen, will die SPD den Mindestlohn zu einem Topthema bei den nächsten Landtagswahlen machen. Dies kündigten die SPD-Spitzenkandidaten in Niedersachsen, Hessen und Hamburg an.
"Wir werden das Thema Mindestlöhne im Wahlkampf ganz oben auf die Tagesordnung setzen", sagte der Niedersachse Jüttner der "Welt am Sonntag". Die Union müsse sich bewegen. "CDU und CSU blockieren das Thema seit Monaten." Jeder mit einem Vollzeitjob müsse von seiner Arbeit auch menschenwürdig leben können: "Wir dürfen nicht zulassen, dass bei uns 2,5 Millionen Menschen für weniger als 50 Prozent des Durchschnittslohnes arbeiten."
Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti wird den Mindestlohn im Wahlkampf gegen Ministerpräsident Roland Koch 2008 ins Zentrum rücken. Hamburgs SPD-Kandidat Michael Naumann sagte: "Die Hamburger SPD wird sich im Wahlkampf für das Prinzip Mindestlohn stark einsetzen." Millionen Arbeitnehmer erhielten menschenunwürdige "Jammerlöhne", sagte Naumann. "In 20 europäischen Ländern existieren gesetzlich festgelegte Mindestlöhne - in Großbritannien über 7,50 Euro."
Das Manöver der Linkspartei im Bundestag soll die SPD-Wahlkämpfer in den Ländern Glaubwürdigkeit kosten. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder warnte die SPD davor, mit dem Mindestlohn Wahlkampf zu machen. "Dann spielt die SPD ein Thema, das allein der Linkspartei nutzt. Das sollte sich die SPD gut überlegen", sagte Kauder der "Bild am Sonntag". Die Union lehnt branchenübergreifende gesetzliche Mindestlöhne strikt ab. Sie setzt auf je nach Branche unterschiedliche Lösungen sowie ein Verbot sittenwidrig niedriger Löhne.
Von Martin Lutz
Welt am Sonntag, 10. Juni 2007