OSKAR LAFONTAINE und GREGOR GYSI stehen für Bündnisse mit der SPD bereit - in Berlin und anderswo. Ein Gespräch nach vermasselter Wahl
Haben Sie die Blackbox nach dem Absturz schon gefunden? Kennen Sie die Ursachen für den harten Aufschlag in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern?LAFONTAINE: Sicherlich sind Stammwähler zu Hause geblieben, weil wir in der Regierung Kürzungen mittragen mussten. Trotzdem ist es für die Linke wichtig, auch in schwierigen Zeiten zu beweisen, dass sie regieren kann.
Also einfach weiter so?
LAFONTAINE: Nein, unsere Handschrift muss deutlicher werden als bisher.
GYSI: Mal am Rande: Wir haben uns doch die Niederlage mit der SPD geteilt. Jeder hat rund zehn Prozent verloren - die SPD in Schwerin und wir in Berlin.
Warum war der Aufprall in Berlin heftiger?
GYSI: In Mecklenburg-Vorpommern war es schon die zweite Runde in der Regierung. Da haben wir zuerst viel Lehrgeld bezahlt, bevor es uns besser gelang, klarzumachen, was wir erreicht haben. In Berlin waren es eben die ersten fünf Jahre - mit den riesigen Schwierigkeiten nach dem Bankenskandal. Und es ging auch darum, im Westen akzeptiert zu werden.
Dafür sind viele im Osten daheim geblieben.
GYSI: Wir brauchen wieder mehr ostdeutsche Seele. Man muss in einer Koalition immer auch klar sagen, worin die Unterschiede zwischen den Partnern bestehen. Protestwähler wählen jetzt NPD.
LAFONTAINE: Zumindest in Mecklenburg-Vorpommern ist es uns nicht gelungen, sie davon abzuhalten. Dort fühlen sich eben viele Menschen ausgegrenzt, vergessen. Stellen Sie sich vor, Sie wären Hartz-IV-Empfänger, Ihr Sohn hat keine Lehrstelle, Ihrer Tochter können Sie den Schulausflug nicht bezahlen. Und dann kommt jemand und sagt: Gehen Sie zur Wahl! Das wirkt auf diese Menschen abgehoben und zynisch.
SPD-Chef Kurt Beck sprach von einem "Lafontaine- Malus", der Ihnen, Herr Lafontaine, persönlich zuzuschreiben sei.
GYSI: Davon träumt der. Auch davon, dass unsere Leute das glauben. Aber das ist blanker Unsinn! Oskar verschreckt doch keine Stammwähler. Im Gegenteil, die fühlen sich durch ihn ermuntert.
LAFONTAINE: Beck findet keinen Ausweg aus der babylonischen Gefangenschaft in der Großen Koalition. Er hat keine Strategie, er hat Angst vor einer Linken, die sich bundesweit bei zehn Prozent etabliert.
Und Sie haben Angst, dass der Streit um
Regieren oder Opponieren die Partei lähmt.
GYSI: Diese Diskussion haben wir doch immer. Die Frage ist nur, wer jetzt mit seinen Argumenten die Oberhand gewinnt. Und da meine ich, wenn wir in Berlin für die Menschen ein Stück mehr soziale Gerechtigkeit erreichen könnten, mit welchem Recht dürften wir dann sagen: Ihr habt uns zwar gewählt, aber jetzt sollen die Grünen mitregieren.
Klingt nach Regierungsbeteiligung.
GYSI: Man muss offen und souverän verhandeln. Entscheidend ist, was rauskommt. Und wenn das stimmt, sollten wir in Koalitionsverhandlungen gehen - sonst eben nicht. Wir können beides.
LAFONTAINE: Es gibt kein grundsätzliches Ja oder Nein zu einer Regierungsbeteiligung. Auch wenn vom Wahlergebnis her betrachtet das Mitregieren für die Partei nichts gebracht hat. Aber schon für manchen Hartz-IV-Empfänger, dem der Zwangsumzug erspart blieb - durch uns.
GYSI: So, wie er ein Sozial- oder Kulturticket, Letzteres für drei Euro, kriegen kann.
Bei den Verhandlungen mit der SPD können Sie in Berlin keine dicken Backen machen.
LAFONTAINE: Das sehe ich anders.
GYSI: Ich auch. Das Wahlergebnis zeigt uns doch gerade, dass wir konsequenter werden müssen.
Schwierig bei fast zehn Prozent Verlust.
GYSI: Ja, wenn es nur um uns ginge. Aber wir sind doch für andere da. Wir fordern doch kein besseres Bildungssystem, weil wir zur Schule gehen.
Schön, aber die Kassen sind leer.
GYSI: Demnächst entscheidet das Bundesverfassungsgericht darüber, ob Berlin in einer Haushaltsnotlage steckt und der Bund die Stadt unterstützen muss. Wenn ja, wäre das auch unser Erfolg - der uns politisch viel gekostet hat. Dafür mussten wir den Berlinern einige Sparmaßnahmen zumuten. Es wäre ärgerlich, wenn wir den anderen die Ernte überließen.
Sieht die Parteibasis das auch so?
LAFONTAINE: Wichtig ist, dass sich die Basis in der politischen Arbeit wieder findet - egal, ob in der Regierung oder in der Opposition. Wenn das Verhandlungsergebnis stimmt, zieht die Basis auch mit.
GYSI: Unsere Basis ist jedenfalls nicht scharf darauf, von den Grünen regiert zu werden. Oder gar von der CDU.
Wie wollen Sie denn künftig mit der SPD regieren?
GYSI: In einem Wort: konsequenter. Das kann auch klappen, denn die Landesverbände der SPD sind nicht so neoliberal wie die Bundesebene. Die sind näher dran an den Leuten. Die spüren, dass die Menschen mehr soziale Gerechtigkeit wollen. Dort ist eine Zusammenarbeit möglich, die man sich im Bund derzeit nicht vorstellen kann.
Das kann die SPD auch nicht. Vor allem, wenn Oskar Lafontaine 2007 Vorsitzender der dann fusionierten Linkspartei wird.
LAFONTAINE: Was wir im kommenden Jahr entscheiden, werden wir Ihnen dann mitteilen. Übrigens, ich würde mich jederzeit mit Beck, Müntefering und Struck an einen Tisch setzen, wenn dann der Mindestlohn eingeführt, Hartz IV zurückgenommen und die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen würde. Persönliche Animositäten haben zurückzustehen.
GYSI: Die Theorie, dass eine Koalition daran scheiterte, weil man jemanden nicht leiden kann, finde ich absurd.
Probleme mit der SPD wären also kein Argument gegen einen Parteichef Lafontaine. Und das Rumoren in der ostdeutschen PDS?
LAFONTAINE: Ach, wissen Sie, man muss sich aneinander gewöhnen. Das ist ein ganz normaler Prozess. Abgesehen davon, haben wir ja eine Doppelspitze vorgesehen - aus Ost und West. Wer dafür kandidiert, das werden wir dann sehen.
Aber Sie würden schon wollen.
LAFONTAINE: Ich entscheide mich erst im nächsten Jahr, wenn ich Programm und Satzung der neuen Partei kenne.
GYSI: Um es klar zu sagen: Ich bin dafür, dass Oskar Lafontaine einer der beiden Vorsitzenden wird. Wir brauchen ein Gesicht, das jedem bekannt ist - besonders in den alten Bundesländern. Bei ihm weiß doch jeder, wofür er steht. Außerdem war er nie in der SED, man kann ihm also schlecht deren Erblasten aufhalsen.
Sie, Herr Gysi, wollen ja nicht. Wäre nicht jeder andere Co-Chef an der Seite Lafontaines automatisch zum Vize degradiert?
GYSI: Da kann ich Sie beruhigen. Zwischen uns beiden funktioniert das so fair und gleichberechtigt, wie ich es vorher selbst mir nicht zugetraut hätte. Das klappt auch in anderer Besetzung.
In ihrem ersten Doppel-Interview im stern sagten Sie: "Wir haben uns gegenseitig nie beschissen." Jetzt scheint zwischen Sie auch kein Blatt Papier mehr zu passen.
GYSI: Bei uns stimmt das. Auch wenn wir sonst recht unterschiedlich sind. Zum Glück. Noch einen Gysi hielte ich nicht aus.
LAFONTAINE: Ich reiche mir auch einmal.
Interview: Dieter Krause und Jan Rosenkranz
stern, 28. September 2006