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Kein Platz für den Geist von Schloss Meseberg

Archiv Linksfraktion - Im Wortlaut,

Was immer die Koalition von der Klausur verkündet: Mehr als »Durchwurschteln« ist nicht drin

Die schwarz-rote Koalition traf sich zur Klausur auf Schloss Meseberg. Halbzeit für die Koalition. Nach offizieller Lesart war das eine erfolgreiche Zeit für Deutschland.

Das Fremdwörterbuch aus der Duden-Werkstatt beschreibt Klausur so: Es handelt sich um eine »Tagung unter Ausschluss der Öffentlichkeit«. Auch dass der entsprechend auserwählte Bereich »eines Klosters« nur »für einen bestimmten Personenkreis zugänglich ist«, trifft im aktuellen Fall zu. Doch nun kommt Politik ins Spiel. Und die verkündet nach solchen Ereignissen für gewöhnlich etwas über einen speziellen »Geist«, der vom Tagungsort ausgehen würde. So war das unter Rot-Grün, als sich ein »Geist« von Neu-Hardenberg übers Land legen sollte. Auch einer, der sich vor einem Jahr von Genshagen verbreitete, war vermeldet worden. Gespürt wurde er nicht.

Man wolle, so tönte es diesmal aus Meseberg, über das Große der schwarz-roten Koalition reden, darauf könne man stolz sein. Doch viel mehr war auch nicht zu bereden - wenn man nicht die Zerstrittenheit des Regierungsbündnisses deutlich machen wollte. Und das war in Meseberg strikt untersagt.

Längst suchen die CDU-Kanzlerin und ihr SPD-Vize nicht mehr nach Gemeinsamkeiten. Die Partner begeben sich viel lieber in Stellungen, die eine gute Angriffsposition im kommenden Wahlkampf sichern. Auf ein neues? Kaum. Die Bilanz ist fatal. Bisherige Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat wurden nicht genutzt, um in Deutschland etwas - in welche Richtung auch immer - substanziell auf den Weg zu bringen. Mal abgesehen von unsozialen Maßnahmen, die Hunderttausende betreffen. Doch deren Grundlagen wurden bereits unter Rot-Grün gelegt. Zu viele Dinge sind danach unerledigt geblieben - auch aus Sicht der aktuellen Koalition. In der Innen- und Sicherheitspolitik klaffen tiefe Täler zwischen den Forderungen von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und den »Angsthasen« der SPD-Führung. Die im Grunde auch nichts lieber wollen, als die bürgerlichen Rechte einzuschränken - angeblich, um den Terrorismus abzuwehren. In der Klimapolitik sieht es nicht anders aus. Während der SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel seine Körperfülle zu gerne in politisches Gewicht »umgerubelt« hätte, um seinen (ge)wichtigen CSU-Widersacher, den Müllermeister Michael Glos, beispielsweise in Sachen Atom-Energie »auszuknocken«, muss die SPD der CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen durchaus zugestehen, breite Wählerschichten abgezogen zu haben.

Koalitionskontrovers geht es auch zu in Sachen Gesundheitspolitik. Noch verheerender ist die Bilanz auf dem Arbeitsmarkt. Mindest- oder Kombilohn - wie es in Genshagen vor einem Jahr noch hieß - ist ein nach wie vor ungelöstes Thema. Die Schere zwischen denen, die einen Job haben und jenen, die auch Sozialminister Franz Müntefering (SPD) nur als soziologischer Ballast erscheinen, weitet sich.

Über Verbraucherschutz wird kein Wort verloren, die Kriegs einsätze Deutschlands bleiben nicht hinterfragt. Nun hat die SPD auch noch Überlegungen zum Thema Wehrpflicht auf den Tisch gelegt. Völlig unpassend aus Sicht der Union, denn die hatte gerade erst den Sozialdemokraten zeitlichen Spielraum angeboten, um ihre Gefolgschaft zur Fortführung des deutschen Einsatzes in Afghanistan unter Beweis zu stellen.
Es zeigt sich immer mehr, dass die große Koalition kaum noch gemeinsame Ansichten, geschweige Projekte hat. Vorbei die Koalition der »neuen Möglichkeiten«, die nach dem knappen Wahlsieg über Rot-Grün urplötzlich gesehen wurden. Die Erkenntnis, dass die »andere Seite gar nicht so anders tickt«, ist von vorgestern. Was immer als »Geist von Meseberg« verkündet werden wird, es ist ein Hologramm und enthält keine Lösungen für Skandalöses. Beispielsweise solche, die verhindern, dass dank Hartz IV bundesweit 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche unterhalb der Armutsgrenze leben.

Meseberg liegt in Brandenburg. Allein in diesem Land sind 70 000 Kinder unter 15 Jahren - so wie ihre Eltern - von Armut betroffen. 2000 Schüler wissen in Brandenburg nicht, wie sie das notwendige Busgeld für den Schulweg aufbringen sollen. Eltern schließen sich zusammen, um den Ärmsten der Armen Schulbrote zu schmieren. Dabei ist ein Tagessatz von 0,93 Euro pro Tag für Nahrungsmittel ausreichend - meint die bayerische Landesregierung. All das zeigt: In Meseberg ist kein Platz für (einen) Geist, zumindest nicht für einen guten. Allenfalls herrscht ein Kobold in den alten Gemäuern, der die Devise »Durchwurschteln« ausgegeben hat.

Von René Heilig

Neues Deutschland , 25. August 2007