Gregor Gysi über den Neustart der Linken
Herr Gysi, Sie haben für die PDS einst das Licht angeknipst, jetzt machen Sie es wieder aus. Kommt da Wehmut auf?Na klar. So etwas ist immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge verbunden. Ich werde versuchen, Verständnis für das weinende Auge zu äußern, aber dazu aufrufen, es zu schließen. Und mit dem lachenden Auge werde ich voll in die Neubildung einer neuen linken Partei gehen. Ein Zwischenstadium endet - und ich hätte nicht gedacht, dass wir das hinkriegen.
Was werden Sie vermissen?
Die Gemütlichkeit. Ich habe die Partei auf ihrem jüngsten Parteitag in Dortmund ein wenig bewundert. Weil sie eine Souveränität ausstrahlte, von der bei der WASG überhaupt noch keine Rede sein konnte. Die WASG war eher hektisch, sie war eilig und nervös, wie junge Parteien so sind. Und da dachte ich mir, die Mischung ist nicht schlecht: Wir schlafen schon ein bisschen ein und die sind noch ganz lebendig. Das finde ich gut.
Auf was freuen Sie sich noch bei der WASG?
Die WASG bringt einen echten und keinen gespielten Gewerkschaftsflügel mit. Das sind alles gestandene westdeutsche Biografien. Und es handelt sich nicht um die im Westen Ausgegrenzten, die sich uns bislang häufig anschlossen. Da sind sehr erfolgreiche, gut verdienende Leute dabei, die linke Ideen mögen.
Ihr Traum war immer, die PDS einmal "westtauglich" zu machen. Ist die neue Linke schon so weit?
Ja klar. Die 4,9 Prozent im Westen bei der letzten Bundestagswahl waren der Durchbruch. Gleichzeitig haben wir in den neuen Ländern nicht verloren, im Gegenteil. Es ist schon irrational, dass diejenigen im Westen, die unsere linken Politikansätze akzeptieren, jetzt auf einmal auch unsere für sie schwierige Herkunft in Kauf nehmen können. Ohne Lafontaine und die WASG hätten wir das niemals geschafft. Jetzt sind wir dabei.
Wird es auch Ihr Wähler in Marzahn gutheißen, dass Sie jetzt nicht mehr vornehmlich ostdeutsche Klientelpolitik machen?
Das ist die Frage. Wir müssen es hinkriegen, denn sein Selbstbewusstsein wird durch die bundesweite Akzeptanz gestärkt. Wir werden im Herbst einen neuen Ostrenten-Antrag einbringen, bei dem wir alle besserstellen wollen, die benachteiligt worden sind - von den Kalikumpeln bis zu den Balletttänzerinnen. Wir werden uns im Bundestag vielleicht nicht durchsetzen, aber das Thema lassen wir nicht verschwinden.
Müssten Sie nicht im eigenen Interesse auch in westdeutschen Ländern Bündnisse mit der SPD anstreben?
Zuerst müssen wir dort einmal in die Landtage einziehen und das Handwerk lernen. Nach Bremen auch in einem westdeutschen Flächenland Fuß zu fassen, zum Beispiel in Hessen und in Niedersachsen, das wär's. Aber wenn es eine reale Möglichkeit gibt, Veränderungen in der Regierung durchzusetzen, muss man sie natürlich annehmen. Ich finde es drollig, wenn Kurt Beck nach jeder Wahl sagt: Mit denen nie! So etwas sagt man doch nur, wenn man Angst hat, erwischt zu werden. Ich selbst werde noch erleben, dass es anders kommt.
Würden Sie mit SPD-Chef Beck ähnlich harmonisch zusammenkommen wie mit seinem Vorgänger Lafontaine?
Na, ich weiß nicht, aber er isst wohl ganz gerne.
Das hört man.
Außerdem hat Beck etwas von einem Bürgermeister. Und ich rede gerne mit Bürgermeistern. Nee, lassen Sie den Quatsch, diese Frage steht gerade nicht ernsthaft an.
Was nach Ihrem Jubel-Parteitag ernsthaft ansteht, ist die Formulierung eines gemeinsamen Parteiprogramms. Drohen da nicht wieder all die alten Grabenkämpfe, die die PDS schon hinter sich hatte?
Ich halte es tatsächlich für kühn, das bis 2008 schaffen zu wollen. Das wird sicher anstrengend. Die einen denken, Ostdeutschland kommt nicht mehr genug vor, die anderen fürchten, sie gehen unter. Natürlich gibt es solche Sorgen. Das muss sich jetzt entwickeln. Vielleicht sollten wir uns etwas mehr Zeit lassen.
Was wird denn aus Gregor Gysi noch mal werden? Minister?
Ja, ganz bestimmt. Darauf bin ich echt scharf. Bundesinnenminister am besten. Oder Außenminister - und das ohne Fremdsprachen. Nee, im Klartext: Ich bin Fraktionsvorsitzender, und das werde ich auch bleiben. Ich bin diesbezüglich wirklich nicht mehr ehrgeizig.
Interview: Rouven Schellenberger und Jörg Schindler
Frankfurter Rundschau, 15. Juni 2007