Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken, hält verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für richtig, doch der Weg dahin sei nicht transparent. Es könne nicht sein, dass weiter nur „von oben regiert werde“, kritisierte er im Dlf. Stattdessen brauche man einen Prozess, der nachvollziehbar sei. Interview: Dirk Müller
Dirk Müller: Herr Bartsch, sind Sie auch ein Verschärfer?
Dietmar Bartsch: Ich bin weder Verschärfer, noch ein Lockerer. Wissen Sie, ich finde es furchtbar, wenn Politiker und möglichst jeder sich jede Woche äußert und immer einen Vorschlag macht, was man tun muss. Es ist doch völlig klar, dass wir alle Anstrengungen unternehmen müssen, dass das Virus eingedämmt wird. Das ist unbestritten. Aber was überhaupt nicht sein kann ist, dass nach 14 Tagen, wo jeder weiß, wo die Kanzlerin gesagt hat, wir können da noch gar nichts sagen, weil die Wirkung erst nach 14 Tagen abzulesen ist, dass trotzdem jeder etwas beitragen muss.
Und was mich noch gewaltiger stört ist, dass das, was heute beschlossen wird, in allen Medien zu lesen ist, dass die Ministerpräsidenten jetzt auch offensichtlich maximal noch abnicken und dass dann die Parlamente gar keine Chance mehr haben. So geht das nicht, weil man so Vertrauen in der Bevölkerung zerstört. Man kann ja noch so viel festlegen; wenn die Menschen nicht mitmachen, das ist unser höchstes Pfund, unser bestes Pfund, dann werden wir mit all diesen Dingen keine Effekte erreichen.
Müller: Sie sagen, das ärgert Sie, weil das stimmt, oder weil es nicht stimmt, dass es so kommen wird?
Bartsch: Es wird ja so kommen. Wissen Sie: Das was vorgelegt ist, da gibt es vielleicht noch die Entscheidung, dass die Kommafehler verändert werden, aber das ist dann auch alles. Und ich finde, so geht das nicht. Wir brauchen endlich eine mittelfristige und eine langfristige Strategie, was passiert bei welchen Zahlen, wie werden wir öffnen. Und dann möchte ich gerne auch eine logische Entscheidung, denn wir haben doch eine völlig irre Situation teilweise. Nehmen Sie nur die Tatsache, dass weiterhin im Fußball fragwürdige Länderspiele mit Reisen quer durch Europa stattfinden, dass wir bei Ikea weiterhin volle Hütte haben und dass Theater, Kinos, Gaststätten, obwohl sie behördlich genehmigte Hygienekonzepte entwickelt haben, viel investiert haben, zugemacht werden. Diese Unlogik, die leuchtet mir nicht ein.
Müller: Sie wollen das umgekehrt?
Bartsch: Ich will das nicht umgekehrt; ich möchte noch mal, ich wiederhole, ein mittelfristiges Konzept. Ich will wissen, was passiert bei welchen Zahlen. Wir müssen darum werben, dass die Bevölkerung mittut, denn wir sehen doch leider, dass die Akzeptanz der Maßnahmen nachlässt.
Ich bin voll dagegen! Ich habe beim letzten Mal viel kritisiert, aber wenn entschieden wird, dann mögen sich bitte alle Bürgerinnen und Bürger daran halten. Aber die jetzige Strategie, die wird Vertrauen zerstören, und das ist wirklich das Schlechteste, was eine Regierung tun kann.
Müller: Weil Ihnen – das haben Sie gerade gesagt, Herr Bartsch, wenn ich das richtig verstanden habe – die Orientierung fehlt, die Strategie fehlt? Das heißt, Sie würden im Grunde eine Art Zahlenkriteriumskatalog aufstellen und sagen, bei 10.000 das, bei 20.000 das, bei 25.000 das. Wie soll das ein probates Mittel sein?
Bartsch: Das ist zumindest etwas, wo man Menschen mitnehmen kann. Ich habe immer dafür geworben, dass wir ein höheres Maß an Transparenz haben. Wir kennen immer die täglichen Wasserstandsmeldungen vom RKI. Das ist mir, ehrlich gesagt, zu wenig. Ich möchte, dass ich auch nachvollziehen kann, was Virologen, Soziologen, Wirtschaftsfachleute beraten, und da ist ein Mehr an Transparenz für die Bevölkerung wichtig.
Ich bin Vorsitzender einer Oppositionspartei im Deutschen Bundestag. Ich erwarte, dass ich nicht via Medien die Papiere zugesandt kriege und heute dann um 16 Uhr mit der Kanzlerin telefonieren darf. Das ist kein demokratischer Prozess. Ich bin ja nicht derjenige, der es besser weiß. Wie gesagt, das stört mich sehr, dass jeder Politiker noch mal einen Vorschlag macht. Darum geht es nicht. Das sollen Fachleute vorschlagen, abwägen. Natürlich können wir mit den Entscheidungen nicht allen alles recht machen. Das ist doch völlig klar. Aber die jetzige Art und Weise, dass sozusagen von oben regiert wird und dass die Runde der Ministerpräsidenten jetzt auch zu einer Abnickrunde wird, das, finde ich, geht so nicht.