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„Ich freue mich darauf, zu nerven“

Im Wortlaut,

Was Heidi Reichinnek mit Rosa Luxemburg und Nofretete verbindet und warum der Koalitionsvertrag eine gleichstellungspolitische Katastrophe ist, erklärt die Linksfraktionsvorsitzende im Interview mit der taz.

taz: Frau Reichinnek, noch vor kurzer Zeit galt Ihre Partei als ein Fall für den Insolvenzverwalter, jetzt hat sie so viele Mitglieder wie noch nie und sitzt mit 8,8 Prozent wieder in Fraktionsstärke wieder im Bundestag. Können Sie Ihr Glück eigentlich fassen?

Heidi Reichninnek: Was da passiert ist, kann ich immer noch nicht richtig glauben. Als wir unsere erste Fraktionssitzung hatten, saßen da mehr als 60 Abgeordnete. Das ist ein Riesenunterschied zu unserer kleinen Gruppe vorher. Wir werden ganz anders wahrgenommen. Einfach zu wissen, wir sind jetzt wirklich wieder eine politische Größe, mit der man rechnen muss, ist richtig klasse. Wir werden Union und SPD mit Themen nerven, die sie gern beiseiteschieben. Darauf freue ich mich.

taz: Es gibt einen regelrechten Personenkult um Sie. Im Bundestagswahlkampf standen junge Leute Schlange, um ein Autogramm von Ihnen zu bekommen. Wie fühlt sich das an?

Reichinnek: Irgendwie falsch, denn ich mag keinen Personenkult und will gar nicht ins Rampenlicht, sondern meine Arbeit machen. Auch wenn es mir keiner glauben mag: Ich bin durchaus schüchtern. Ich freue mich natürlich, dass ich es geschafft habe, gerade jungen Menschen eine Stimme zu geben und deren Themen anzusprechen. Aber ich möchte, dass die Menschen selbst aktiv werden, wenn sie die Möglichkeiten haben. Dazu will ich ermutigen.

taz: Befürchten Sie nicht, irgendwann abzuheben?

Reichinnek: Meine Partei sorgt schon dafür, dass das nicht passiert. Sie können auch sicher sein, dass ich auch künftig nicht die Flugbereitschaft nutzen werde. Ich habe ja eine Bahncard. Die Basis unserer Arbeit sind außerdem Haustürgespräche, unsere Sozialberatung, die Mietwucherapp, der Check zur Heizkostenabrechnung, also all diese konkreten Alltagshilfen und Begegnungen vor Ort. Dass wir die Themen ansprechen, die sonst unter den Tisch fallen, darum geht es mir. Und dass wir klare Kante gegen Rechts zeigen.

taz: Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD sind inzwischen die Arbeitsgruppenpapiere durchgesickert. Ist Ihnen dabei etwas besonders aufgestoßen?

Reichinnek: Schwangerschaftsabbrüche bleiben eine Straftat, das Ehegattensplitting bleibt, die Freistellung für das zweite Elternteil nach der Geburt kommt nicht – eine gleichstellungspolitische Katastrophe. Es gibt interessanterweise vernünftige Vorschläge für Kinder, Jugend und Familien, die Frage ist – was bleibt am Ende, wenn die angedrohten Kürzungen im Haushalt kommen?

taz: Als Fraktionsvorsitzende müssen Sie Generalistin sein und zu jedem Thema sprechfähig. Wie schwer fällt Ihnen das?

Reichinnek: Ich habe mich eh immer für vieles interessiert, daher funktioniert das schon ganz gut. Es ist klar, dass ich mich mit einigen Themen besser auskenne als mit anderen. Aber ich habe so viele tolle Kol­le­g:in­nen und Mit­ar­bei­te­r:in­nen in der Fraktion, deren Expertise ich wertzuschätzen weiß, dass ich das gut hinkriege.

taz: Als Sie 2021 erstmalig in den Bundestag eingezogen sind, war die Linksfraktion untereinander völlig zerstritten. Wie wollen Sie verhindern, dass sowas nochmal passiert?

Reichinnek: Die Leute, die jetzt reingekommen sind, tun das mit einem ganz anderen Verständnis von Zusammenarbeit. Sie haben gar kein Interesse daran, diesen destruktiven Stil von damals fortzusetzen. Der Fraktionsaufbau ist eine Riesenaufgabe. Wir sind ja eine bunte Mischung, die vom Kfz-Mechaniker über mehrere Pflegekräfte bis zum Forstwirt reicht. Als Fraktionsführung versuchen wir, kooperativ und maximal transparent zu sein sowie alle Schritte zu erklären. Ich bin noch mit den Kennenlerngesprächen mit den neuen Abgeordneten beschäftigt, aber bisher habe ich nur positive Rückmeldungen bekommen.

taz: Und wie steht es um das Verhältnis zur Parteiführung, das in der Vergangenheit ebenfalls desolat war?

Reichinnek: Mir ist wichtig, wie wir zwischen Partei und Fraktion zusammenarbeiten: Jan van Aken, Ines Schwerthner, Sören Pellmann und ich sprechen mit einer Stimme. Das war bei unseren Vor­gän­ge­r:in­nen früher leider nicht so. Das handhaben wir anders und so soll es auch bleiben.

taz: Welche Rolle werden die drei „Silberlocken“ in der neuen Fraktion spielen?

Reichinnek: Wenn ich dazu mal Dietmar Bartsch zitieren darf: „Ich bin ein Arbeiter im Weinberg des Sozialismus.“ So ähnlich haben es auch Gregor Gysi und Bodo Ramelow formuliert, und das unterstütze ich sehr. Bodo Ramelow ist jetzt Bundestagsvize, die anderen beiden werden sich in den Ausschüssen einbringen. Dass alle drei „älteren Herren“ eine etwas größere Öffentlichkeit haben, freut mich sehr. Dadurch verschaffen sie auch Mitgliedern der Fraktion Zeit, um erstmal anzukommen. Wir haben so viel zu tun, dass jeder seinen Arbeits- und Aufgabenbereich finden wird, da mache ich mir gar keine Sorgen.

Das komplette taz Interview finden Sie online.