Vorwurf: Die NATO wird schleichend zum »globalen Sicherheitsdiensleister«
Die Linksfraktion im Bundestag wirft der Bundesregierung vor, dass sie am Parlament vorbei an einer Veränderung der NATO mitgewirkt hat, die nicht mehr durch das Zustimmungsgesetz von 1955 gedeckt ist. Dadurch habe sie Rechte des Bundestages verletzt. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts muss prüfen und entscheiden, ob das zutreffend ist.»Die Linke klagt gegen Tornado-Einsatz in Afghanistan«, teilte die Fraktion vor fünf Wochen mit. Verhindern konnte sie ihn nicht. Das Gericht lehnte es ab, ihn per einstweiliger Anordnung zu stoppen. Falls der Tornado-Einsatz zur als verfassungswidrig gerügten »Fortentwicklung« des NATO-Vertrags beitrüge, sei diese »jedenfalls nicht irreparabel«.
So absolvieren seit dem Wochenende die Besatzungen von jeweils zwei der sechs Tornados Aufklärungsflüge über Südafghanistan. Damit werde die Bundeswehr, so warnte Fraktionschef Gregor Gysi Mitte März, in den »Antiterrorkampf« der USA - die Operation »Enduring Freedom« (OEF) - hineingezogen, der nicht vom Selbstverteidigungsrecht der UNO-Charta gedeckt ist. Der Tornado-Einsatz sprenge das Mandat des UN-Sicherheitsrates für die internationale Schutztruppe ISAF, da die Ergebnisse der Luftaufklärung auch der OEF zur Verfügung gestellt werden. Durch die Kriegsführung der USA werde »unterschiedslos die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen«. All das sei mit dem Völkerrecht und dem Grundgesetz unvereinbar.
In der Verlautbarung des Gerichts wird hingegen der verfassungsrechtliche Ansatzpunkt der Klage in den Vordergrund gerückt: Die Antragstellerin rügt eine Verletzung des Mitwirkungsrechts des
Bundestags gemäß Artikel 59, Absatz 2 Grundgesetz. Darin heißt es, dass »Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln«, der Zustimmung in Form eines Bundesgesetzes bedürfen. Die Bundesregierung habe nach Ansicht der Linksfraktion an einer Fortentwicklung des NATO-Vertrags mitgewirkt, die die Grenzen des durch das Zustimmungsgesetz abgesteckten Integrationsprogramms überschreite. Der Tornado-Einsatz verstoße wegen seiner Verbindung zu OEF auch gegen das in Artikel 24 Grundgesetz verankerte Friedensgebot.
Im Grunde sind das dieselben Vorwürfe wie in der Organklage der PDS-Fraktion von 1999 (siehe Kasten). Damals billigten die Richter der Bundesregierung aber einen sehr weiten Ermessungsspelraum zu. Sie »handelt nicht schon dann außerhalb des vom Zustimmungsgesetz zum NATO-Vertrag gezogenen Ermächtigungsrahmens, wenn gegen einzelne Bestimmungen des NATO-Vertrags verstoßen wird«, hieß es im Urteil. Und: Das Bundesverfassungsgericht könne »eine Überschreitung des gesetzlichen Ermächtigungsrahmens nur dann feststellen, wenn die konsensuale Fortentwicklung des NATO-Vertrags gegen wesentliche Strukturentscheidungen des Vertragswerkes verstößt«.
Dies sei »gegeben«, heißt es nun in der 80-seitigen Antragsschrift: »Die gundlegende Modifikation des NATO-Vertrages im Hinblick auf weltweit durchführbare und in keinem Bezug zur euro-atlantischen Region stehende ... Einsätze von Krisenreaktionskräften bedarf eines Zustimmungsgesetzes des Deutschen Bundestages.« Vom regionalen Militärpakt werde die NATO zum »globalen Sicherheitsdienstleister«, was insbesondere in der Erklärung des Rigaer NATO-Gipfels vom 29. 11. 2006 zum Ausdruck komme. Nach dem Karlsruher Urteil von 2001 schrieb der Verfassungsrechtler Georg Ress, die Bundesregierung habe zusammen mit ihren Partnern den NATO-Vertrag »auf Räder gesetzt«. Nun konstatieren die Kläger, die NATO sei ein Vertrag »auf Tornados« - »in grundlegender Hinsicht mit der NATO 1955 nicht identisch«.
Von Claus Dümde
Neues Deutschland, 18. April 2007