Das Bundesverfassungsgericht verhandelt heute darüber, ob der Tornado-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gegen das Grundgesetz verstößt. Der Völkerrechtler Michael Bothe räumt der Klage der Linkspartei Chancen ein.
Professor Bothe, die Linkspartei argumentiert in ihrer Organklage, aus dem Verteidigungsbündnis Nato sei inzwischen ein globaler Sicherheitsdienstleister geworden, dieser Umwandlung habe der Bundestag jedoch nie zugestimmt. Hat dieses Argument Gewicht?
Durchaus. In seiner letzten einschlägigen Entscheidung im Jahr 2001 befand das Bundesverfassungsgericht, das neue strategische Konzept von 1999 halte sich noch in dem Rahmen des Nato-Vertrages, wie ihm der Bundestag 1955 zugestimmt hatte. Zwei Punkte waren für diese Beurteilung entscheidend: Aufgabe der Nato war weiterhin allein die Gewährleistung der Sicherheit des euro-atlantischen Raums, zweitens war das traditionelle Verständnis des völkerrechtlichen Gewaltverbots - Herzstück der Satzung der Vereinten Nationen - nicht angezweifelt, das einseitige militärische Gewaltausübung auf Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff beschränkt. Die Erklärung zum Nato-Gipfel in Riga im November 2006 sieht ganz anders aus, insbesondere ist die Beschränkung des Nato-Einsatzgebiets auf den euro-atlantischen Raum offensichtlich aufgegeben worden.
Mit anderen Worten, Sie räumen der Klage in Karlsruhe Chancen ein?
Ja, natürlich. Chancen sehe ich durchaus.
Die Linkspartei argumentiert, mit der Entsendung der Tornados würden der Einsatz der Nato-geführten Isaf-Truppen und der Einsatz der US-geführten Anti-Terror-Operation Enduring Freedom vermischt. Ist das nicht eine außenpolitische Frage, die auch von der Politik, nicht vom Gericht zu beantworten ist?
Nicht unbedingt. Natürlich hat das Verfassungsgericht nicht über außenpolitische Fragen zu entscheiden. Die Frage ist aber, ob die behauptete Vermischung der beiden Einsätze nicht die zentrale juristische Frage dieses Verfahrens berührt. Denn eben aus dieser Vermischung könnte geschlossen werden, dass die Nato ihr überkommenes Konzept aufgegeben hat, dass sie sich sich nunmehr als globaler Sicherheitsdienstleister versteht und es mit der Beschränkung auf Selbstverteidigung nicht mehr so genau nimmt. Insofern ist diese Frage durchaus nicht nur politisch, sondern in diesem Verfahren juristisch relevant. So ganz, glaube ich, werden die Verfassungsrichter jedenfalls an dieser Frage nicht vorbeikommen. Das sehen die Richter offenbar auch selber so, denn sie haben das Problem auf die Tagesordnung gesetzt.
Unterstellt, das Bundesverfassungsgericht teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken, welche Konsequenzen hätte eine entsprechende Entscheidung für den Tornado-Einsatz?
Darüber wird heute in der mündlichen Verhandlung gesprochen werden, auch diese Frage hat der Zweite Senat in die Tagesordnung aufgenommen.
Was wären denn aus Ihrer Sicht die möglichen Konsequenzen?
In diesem Fall müsste der Einsatz der Tornados abgebrochen werden. Danach hätte die Bundesregierung ein revidiertes Zustimmungsgesetz zum Nato-Vertrag vorzulegen, dem die Mehrheit des Bundestages zustimmen müsste.
Aber könnte Karlsruhe nicht trotz Feststellung der Verfassungswidrigkeit den Tornado-Einsatz weiterlaufen lassen?
Auch das wäre denkbar. Aus anderen Gebieten - denken Sie an das Steuerrecht oder an den Strafvollzug - sind Entscheidungen bekannt, die eine Regelung für verfassungswidrig erklärten, aber dem Gesetzgeber lediglich eine Frist setzten, die verfassungswidrige Lage zu beseitigen. Innerhalb dieser Frist konnte es bei der alten Lage bleiben. Ob das im vorliegenden Fall sinnvoll wäre, weiß ich nicht - hier betreten wir Neuland.
Das Gespräch führte Christian Bommarius.
Berliner Zeitung, 18. April 2007
"Hier betreten wir Neuland"
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