Jan Korte, Datenschutzbeauftragter der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Letzte Woche hat Google angekündigt, bis Ende des Jahres seinen Dienst Street View auch in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Spezialdienst des Google-Map-Dienstes und ermöglicht es Internetnutzern auf der ganzen Welt, Städte und Dörfer virtuell zu besichtigen. Vier Wochen hätten Hausbewohner und -besitzer jetzt Zeit, gegen die Nutzung der Aufnahmen ihrer Häuser Widerspruch einzulegen. Die kurze Frist, Ergebnis heftiger öffentlicher und interner Verhandlungen, legt die Vermutung nahe, dass Google die zu bearbeitenden Einsprüche gering halten will. Erreicht hat der Datensammelkonzern genau das Gegenteil: Nicht nur Datenschützer protestieren gegen das Hauruckverfahren. Auch Eigenheimbewohner, Mieter und andere nicht zwangsläufig zur Speerspitze der Bürgerrechtsbewegung Zählende wollen der Nutzung von Aufnahmen ihrer Domizile widersprechen. Google selbst versteht die Welt nicht mehr. Es sei doch alles nur im Sinne der Menschen.
Dabei kratzte schon im Mai ein Datenskandal am Image des Konzerns, der die unverfrorene, selbstherrliche Unternehmensphilosophie bloßlegte: Die Street View Fahrzeuge, die in Deutschland bereits seit geraumer Zeit Straßen und Fassaden abfotografieren, sammelten nebenher WLAN-Daten von Internet- und Telefonnutzern. Nicht nur die Kennungen ungesicherter Drahtlosnetzwerke wurden gespeichert, sondern auch Teile privater E-Mails. Das Vorgehen von Google zeugt leider nicht nur von einer schlechten PR-Strategie. Es zeugt von einem grundsätzlichen Unverständnis für das Recht auf Privatsphäre, von einem eklatanten Mangel an Respekt vor persönlichen Daten und einer vordemokratischen Unternehmensphilosophie.
Die Bundesregierung muss nun nicht nur feststellen, dass ihr Google selbst die Meinungsführerschaft über Street View aus der Hand genommen und nahezu alle Vereinbarungen zu Makulatur gemacht hat. Sie muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, in Sachen Datenschutz – nicht nur gegenüber Google – geschlafen zu haben. Google Street View gibt es nicht erst seit gestern. Das Angebot ist unter anderem für das Gebiet der USA und für einige europäische Staaten seit langer Zeit online.
Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner wollte sich an die Spitze der höflichen Bedenkenträger stellen. Doch statt für klare Regelungen zu sorgen und eine Reform des Datenschutzrechts im Bereich der Geodaten anzugehen, ließ sie sich von Googles Zusagen einlullen. Deren Einhaltung kann sie jetzt anmahnen, aber überhaupt nicht kontrollieren. Wieder einmal fehlt eine gesetzliche Grundlage zur Kontrolle eines Unternehmens.
Wie schnell haben die Regierungen gesetzliche Lücken geschlossen, wenn es um den Zugriff auf persönlichste Daten der Bürgerinnen und Bürger im Kampf gegen den Terrorismus ging. Nicht einmal die Einhaltung der von Google lauthals zugesicherten Widerspruchsverfahren auf dem normalen Postweg oder per Fax ist sicher. Ganz zu schweigen von der Frage, was Google eigentlich mit den anfallenden Daten der Widersprechenden macht und wer deren Verwendung kontrollieren soll. Es ist ja nicht einmal irgendwo vereinbart, nach welchen Kriterien Widersprüche entschieden werden sollen. Willkürlicher, paternalistischer kann mit Daten kaum umgegangen werden.
Bei der »Bürgerrechtspartei« FDP schlägt die Logik Kapriolen, wenn sie die Verbraucherministerin rügt, weil sie nicht erfüllbare Erwartungen geweckt habe. Im Sinne der Bürgerrechte wäre es gewesen, in der Regierung für die Erfüllung der ministeriellen Mindestforderungen zu sorgen.
Google gehört zu den innovativsten Internetunternehmen. Seine Angebote, seien es Such- oder Navigationsfunktionen, sind aus dem alltäglichen Gebrauch kaum noch wegzudenken. Aber Google ist kein gemeinnütziger Verein, sondern ein gigantischer Konzern mit einer riesigen Markt- und Kapitalmacht, der handfeste finanzielle Interessen mit seinen Diensten verfolgt. Wer sich mit seinen Liebsten per Google Mail darüber austauscht, wann der nächste Urlaub zu planen sei, bekommt passend dazu die Werbung auf den Bildschirm.
Die technischen Innovationen des Datensammelkonzerns finden allerdings nicht nur private oder kommerzielle Internetnutzer hilfreich: Zusammen mit diversen US-amerikanischen Geheimdiensten arbeitet Google unter anderem an Analyse- und Profiling-Programmen. Aus der Leitung des gemeinsamen Unternehmens »Recorded Future« (aufgezeichnete Zukunft) war Anfang August zu hören, schon jetzt könne man in Echtzeit Dossiers über beliebige Personen anfertigen. Eine Meldung, die weit weniger Medien auf den Plan brachte, als es bei der jetzigen Ankündigung des Starts von Street View in der Bundesrepublik der Fall war.
Wer Datenschutz und Bürgerrechte ernst nimmt, kann es nicht dabei belassen, auf Entwicklungen der Datenindustrie bloß zu reagieren. Notwendig sind gesetzliche Grundlagen, die Privatsphäre, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und demokratische Verfahren gegenüber Praktiken, wie sie Google anwendet, auch in der digitalen Welt sichern können. DIE LINKE fordert daher eine grundlegende Reform und Neufundierung des Bundesdatenschutzgesetzes, welche die Stärkung von Persönlichkeitsrechten in den Vordergrund stellt, ohne sich neuen Entwicklungen zu verschließen.
Google - die freundliche Besatzungsmacht
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Kolumne
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Jan Korte,