Vier-Punkte-Papier der Bundestagsfraktion DIE LINKE zum Umgang mit dem Konflikt um das iranische Atomprogramm
Von dem Konflikt um das iranische Atomprogramm geht eine latente Kriegsgefahr aus. Seitens der Regierungen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union wird dem Iran in einer Weise mit militärischer Gewaltanwendung gedroht, die an die Zeit vor dem Angriff auf den Irak erinnert. Der iranische Präsident schürt den Konflikt seinerseits durch Drohungen gegen Israel.Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hält angesichts dieser Eskalation die Einberufung einer umfassenden Friedenskonferenz für den Nahen Osten durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für dringend geboten. Die Fraktion DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, sich gegenüber den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und innerhalb der Europäischen Union für die unverzügliche Einberufung einer solchen Konferenz einzusetzen.
Kein Staat der Region könnte die Teilnahme an einer vom UN-Sicherheitsrat einberufenen Nahost-Friedenskonferenz verweigern. Schon mit der Teilnahme ginge faktisch eine gegenseitige staatliche Anerkennung einher. Auf der Grundlage eines umfassenden Gewaltverzichts und einer Nichtangriffsgarantie gegenüber allen Staaten, sollte sich die Konferenz unter Beteiligung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates mit den ungelösten Problemen des Nahen Ostens befassen. Dazu gehören vorrangig die folgenden vier Punkte:
- Das Existenzrecht Israels darf von den Staaten der Region nicht mehr in Frage gestellt werden. Ziel der Konferenz sollte es deshalb sein, eine dauerhafte Einigung über die Grenzen Israels zu definieren und verbindlich anzuerkennen.
- Mit der Anerkennung der Grenzen Israels müssen auch die Grenzen eines lebensfähigen palästinensischen Staates definiert und verbindlich anerkannt werden. Ziel der Konferenz sollte es sein, die vollständige staatliche Souveränität Palästinas und dessen ökonomische Überlebensfähigkeit dauerhaft zu regeln.
- Die massive Truppenpräsenz im Irak verhindert dort keine gewalttätigen Auseinandersetzungen, sondern trägt zur politischen Radikalisierung im gesamten Nahen Osten bei. Aufgabe der Konferenz sollte es deshalb sein, eine Einigung über einen Fahrplan für den Abzug der ausländischen Truppen aus dem Irak zu erzielen.
- Mit einer gegenseitigen Anerkennung aller Staaten, einem Gewaltverzicht und einer Nichtangriffsgarantie gegenüber allen Staaten der Region entfällt ein Hauptmotiv für den Besitz von oder das Streben nach Atomwaffen. Ziel der Konferenz sollte es deshalb sein, auf der Grundlage von umfassenden Gewaltverzichtserklärungen und Sicherheitsgarantien der ständigen Mitglieder des UN Sicherheitsrates einen verbindlichen Fahrplan zur Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten festzuschreiben.
Die Bundestagsfraktion DIE LINKE ist aus den folgenden Gründen davon überzeugt, dass eine Nahost-Friedenskonferenz einen realistischen und dauerhaften Ausweg aus der explosiven Situation darstellt und die latente Kriegsgefahr abwenden kann:
- Eine militärische Intervention gegen den Iran, die weder von der US-Regierung noch von der deutschen Bundesregierung als Option ausgeschlossen wird, wäre mit kaum absehbaren Folgen für die Region verbunden. Auch für die Sicherheit Deutschlands hätten US Luftangriffe auf den Iran wahrscheinlich gravierende Konsequenzen.
- Insbesondere Israel muss sich durch die Perspektive von Atomwaffen in den Händen Irans bedroht fühlen. Die inakzeptablen Drohungen des iranischen Präsidenten gegen den Staat Israel sowie seine Äußerungen zur Leugnung des Holocaust haben dieses Gefühl noch verstärkt. Jede Gewaltanwendung gegen den Iran würde die Situation weiter eskalieren lassen und die Sicherheit Israels noch mehr gefährden. Israels Atomwaffenarsenal, zur Abschreckung konventionell gerüsteter Nachbarstaaten gedacht, kann seine Sicherheit nicht dauerhaft garantieren, wie auch Atomwaffen anderer Staaten der Region deren Sicherheit nicht garantieren können.
- Der Zugriff auf Atomwaffen wird dennoch von immer mehr Staaten als einzig wirksamer Schutz vor einem militärischen Angriff der USA und anderer Staaten betrachtet. Die Interventionen in Jugoslawien, in Afghanistan und im Irak haben erheblich zur Attraktivität von Atomwaffen beigetragen. Dem Iran bieten die militärischen Interventionsdrohungen der auch konventionell übermächtigen USA einen starken Anreiz, zumindest die Fähigkeit zum Bau einer Atombombe zu entwickeln.
- Die US-Truppenpräsenz im Irak trägt erheblich zum Gefühl der Demütigung in den Ländern der Region bei und hat offenbar dazu beigetragen, den Irak zu einem Zentrum der gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Region zu machen. Von benachbarten Staaten, wie dem Iran, kann die US-Militärpräsenz im Irak als Ausgangsbasis für militärische Interventionen betrachtet werden. Verstärkt wird dies durch die massive Militärpräsenz der USA, Deutschlands und anderer Nato-Staaten in Afghanistan - ein Militäreinsatz, der ebenfalls nicht zu einer dauerhaften Stabilisierung des Landes und der Region geführt hat.
- Die Gefahr weiterer Kriege in der Region des Nahen und Mittleren Ostens wird durch Konflikte um die knapper werdenden Ressourcen Rohöl, Erdgas und Trinkwasser weiter wachsen. Angesichts der Versäumnisse bei der Umsteuerung auf erneuerbare Energieformen werden die Kämpfe um Öl die internen Konflikte der Region weiter verschärfen.
- Die gewalttätigen Proteste nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen sind ein Indiz dafür, wie empfindlich die Bevölkerung in einigen islamischen Ländern auf das Geschehen in Europa und den USA reagiert. Sie lassen erahnen, wie schnell die politische Situation in den Ländern des Nahen und Mittleren Osten im Fall eines Angriffs auf den Iran außer Kontrolle geraten kann.
- Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen läuft Gefahr, die ihm von der UN-Charta zugewiesene Rolle bei der Bewahrung des Friedens zu verlieren. In dem Konflikt um das iranische Atomprogramm ist die Forderung nach Einschaltung des UN Sicherheitsrats zum Synonym für die Vorbereitung eines militärischen Angriffs geworden. Es darf keine innere Logik des Sanktionskatalogs aus Kapitel VII der UN-Charta geben, die auf militärische Zwangsmaßnahmen hinaus läuft, deren Umfang und Auswirkungen kaum kontrollierbar sind.
- Die Erfahrung mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zeigt, dass ein Gewaltverzicht und eine gegenseitige staatliche Anerkennung in Verbindung mit Gesprächen über Abrüstung, Handel, Menschenrechte und Kultur Perspektiven für einen gewaltfreien und demokratischen Wandel eröffnen können.