Interview mit Mascha Madorin, Ökonomin aus der Schweiz
Wie verfolgen Sie als Ökonomin diese Finanzkrise? Inwieweit ist die Welt finanzmäßig bereits aus den Fugen geraten?
Ich verfolge die Entwicklung des internationalen Finanzsektors und habe beruflich sehr lange dazu gearbeitet in einer kritischen Institution. Diese Finanzkrise wurde ja schon vor etwa drei Jahren mit verschiedenen Szenarien diskutiert.
Ich bin der Meinung, dass es eine sehr große Krise ist und alle sich Gedanken darüber machen sollten, wie mit dieser Krise umgegangen werden soll. Es geht zum einen um zentrale Fragen des Neoliberalismus, zum andern aber auch um eine Akkumulationskrise des westlichen Kapitalismus, die meiner Ansicht nach anfangs der 1970er Jahre begonnen hat und dank Globalisierung, zahlreichen Finanzkrisen vor allem in Ländern des Südens auf andere abgewälzt wurde und zuletzt jetzt als sehr große Krise bei uns, in den Zentren des westlichen Kapitalismus, gelandet ist. Für mich ist im Übrigen überhaupt nicht entschieden, dass das neoliberale Konzept des Staates vorbei ist oder vielleicht kommt auch eine neue Form von Staatskapitalismus. Das, was Paulsen vorgeschlagen hat, war eigentlich wovon alle Neoliberalen träumen, dass der Staat sich möglichst nicht in die Wirtschaft einmischt und wenn etwas schief läuft, dafür sorgt, dass es wieder in den alten Bahnen weitergeht. Einer der Chefideologen des Neoliberalismus in der Schweiz brauchte das Bild des Fußballfeldes: Der Staat soll dafür sorgen, dass das Fußballfeld bereit ist für die Austragung der Fußballspiele der Wirtschaft. Wir sind zum Pfeifen und Klatschen verdammt.
Aber das würde bedeuten, dass der Staat dann in dem Fall auch die Leiden zu ertragen hat, wenn mehrere wichtige Banken völlig krachen gehen und damit die Leute ihr Geld verlieren…
Ja klar. Das ist die Frage, dass, wenn der Staat von Banken solche Geldanlagen, Kredite und Schulden übernimmt, dann müssen die Löhne des Managements gesenkt werden. Ich halte das für eine richtige Forderung. Es ist allerdings die harmloseste. Ich halte diese Geldgierdebatte für einen konservativen Mist.
Aber völlig klar, die sollen nicht noch Milliarden verdienen, wenn der Staat eingreifen und Verluste übernehmen muss. Sie sollen überhaupt nicht so viel verdienen. Wozu auch.
Welchen Vorschlag machen Sie also diesbezüglich?
Der Staat muss das Recht haben, die Aufsicht über die Banken zu verschärfen und er muss möglich viele Verluste nach und nach auf die Banken abwälzen, durch Aktienbesitz oder andere Maßnahmen Es geht nicht um Geldgier, sondern es geht um Macht und Kontrolle.
Wogegen sich die Banken nämlich wehren, ist die öffentliche Kontrolle und Regulierung, die Transparenz. Es gibt nichts, was Neoliberale mehr scheuen, als das. Die Linke sollte zudem ein Wirtschaftsprogramm entwickeln, das die Menschen weniger von Einkommen aus Gewinnen respektive vom Coupon schneiden, wie es Marx sagen würde, abhängig macht. Altersrenten sollten beispielsweise nicht mit Kapitalfonds finanziert werden, sondern durch Steuern oder direkte Umlageverfahren. Die riesigen zu verzinsenden Vermögen von Pensionsfonds sind Teil des heutigen Problems.
Alle schauen auf die USA als Verursacher der Krise. Sie auch?
Ich habe lange zur Globalisierung gearbeitet, über Weltwirtschaftsordnung, über die Machtkämpfe in der Welt. Die Hegemonie der USA ist das Eine und ist jetzt in der Tat sehr in Frage gestellt. Was Europa besonders anbelangt, war ja die USA auch sozusagen die keynesianische Maschine für Europa. Also das europäische Projekt wäre nicht möglich gewesen, ohne das irre Verschuldungsprojekt der USA. Das wäre mit der Wirtschaft hier sonst anders gelaufen. Wahrscheinlich sehr viel schwieriger, wenn es nicht immer diese USA gegeben hätte, als Markt. Die USA haben in den letzten dreißig Jahren einmal mehr exportiert als importiert.
Also ich bin der Überzeugung, dass diese Finanzkrise deswegen sehr viel länger geht, weil da noch ganz andere Fragen zur Debatte stehen, das gesamte weltwirtschaftliche System und die Rolle der USA in der Weltwirtschaft, auch gegenüber Europa.
Welche Rolle spielt das Geld derzeit?
Wir haben ja ein Finanzsystem, das eine riesige Menge von Geld geschaffen hat und in dem sich seit vielen Jahren die Anforderung durchgesetzt hat, dass Profitraten von 20 Prozent und mehr zu erwirtschaften sind Das ist aber nur mit Finanzspekulation, Geldwäscherei, Menschenhandel, Drogenhandel, Zuhälterei oder illegalem Giftmüll- und Waffenhandel möglich, nicht mit gewöhnlicher Produktion. Diese Profitraten haben einfach irgendwie keinen Bezug mehr zur sogenannten realen, einigermaßen legalen Wirtschaft. Doch das Geld ist eben sehr real. Zum einen ist Geld Verfügungsmacht und macht die Leute, die darüber verfügen auch sehr mächtig. Plötzlich muss es nun eine riesige Vernichtungsaktion geben, wenn das System irgendwie stabilisiert werden soll. Und da stellt sich natürlich die Frage, auf wessen Kosten? Auf Kosten der Mächtigen, deren Macht auf diesem bisher enorm profitablen Reichtum beruht? Europa hat etliche Kosten für vergangene Krisen getragen aber auch davon profitiert. Diesmal werden die Kosten sehr hoch sein.
Sie hatten kürzlich darauf Bezug genommen, dass die soziale Marktwirtschaft unter Beweis stellt, dass die Begriffe \\"Sozial\\" und \\"Marktwirtschaft\\" eigentlich nicht zusammengehören und nicht funktionieren. Warum?
Also ich meine, das historische Modell - das Modell der sozialen Marktwirtschaft nach dem Krieg, ist eng mit den USA verbunden und mit der Ausplünderung der Dritten Welt. Ich möchte unbedingt betonen, dass es bessere Regelungen gibt, die diese höllischen Krisen, die wirklich sehr gefährlich sind, eindämmen oder kleiner machen könnten. Also Kapitalismus und Marktwirtschaft heißt immer, dass es periodisch Krisen gibt. Bei einer sozialen Marktwirtschaft wären diese Krisen - vielleicht - kleiner. Aber die Frage der Akkumulationskrise, die ab den 1970er Jahren begann und die zur aggressiven Globalisierung und Spekulation führte, ist damit nicht geklärt. Ich denke wir müssten in unseren Analysen genauer werden. Die heutige Krise irgendwelchen Charakterschwächen von Bankern zuzuordnen, halte ich einfach wirklich für eine konservative Verwirrung.
Da sind wir bei der Theorie von Marx, der immer von der zyklischen Krise sprach, die immer wiederkehrt. Ist der Beweis in diesen Tagen erbracht?
Ja, das ist eine Rehabilitation der Marxistischen Theorie bis zu einem gewissen Punkt. Da kann man sagen: Wir haben Recht gehabt, wir Linken. Aber das nützt ja nichts. Was mich interessiert an dieser ganzen Krise ist: Was ist das Besondere bei der heutigen Krise? Wie groß ist sie und worin besteht sie genau? Denn es geht ja darum, mal zu verstehen, in welchen Feldern und auf welche Art und Weise diese heutige Krise auftritt. Was ja hier auftritt, ist ja eine Krise der USA, die sehr viel mit den Konstellationen der Weltwirtschaft und sehr viel mit Europa zu tun hat. Bei dieser Nachkriegsentwicklung, diesem Tandem zwischen Westeuropa und den USA, wird es Veränderungen geben.
Wie wird das in Europa diskutiert?
Da bin ich noch nicht so sicher, ob da wirklich die Dimension dieser Krise überhaupt so verstanden wird. Was mich stört an der Debatte ist, dass man es sozusagen als Überschäumen, also irgendwie als Fehlentwicklung eines Teils des Bankensektors versteht und es vor allem der Bush-Regierung anlastet, obwohl die europäischen Regierungen in den internationalen Organisationen wie WTO oder IWF nie etwas anderes vertreten haben, als die Neoliberalen der USA. Man versteht nicht, dass eigentlich dies eine Krise von sehr viel mehr ist. Es ist eigentlich die Krise der Banken der Welt des westlichen Teils der Weltmarktelite, zu denen die großen Konzerne, aber auch unter anderem die politischen Eliten und ihre wissenschaftlichen Weltinterpreten gehören. Alle diejenigen, die sich jeweils im Weltwirtschaftsforum von Davos treffen.
Denken Sie, dass die Analyse und die Schwerpunkte bei dieser Analyse von Frauen anders vorgenommen werden als von Männern?
Ich denke, dass gewisse Fragen einfach ausgeblendet werden, auch in der linken Diskussion. Schon Mitte der achtziger Jahre haben linke Feministinnen von drei Krisen geredet: von der Akkumulationskrise des Kapitals, der Ökokrise und der Krise dessen, was sie damals reproduktive Ökonomie nannten - heute würde ich dies eher die Krise der Care Ökonomie nennen. Ich denke dieser Dreiklang ist sehr nützlich als Ausgangspunkt für eine feministische Analyse. Die Linke hat bis heute nicht verstanden, wie wichtig der letzte Punkt ist. Bei der Kapitalismuskritik wird beispielsweise immer wieder die Frage der unbezahlten Arbeit ausgeblendet und ihre Auswirkung auf den Lebensstandard. In den USA hat beispielsweise die Erwerbsarbeit der Frauen seit Reagan enorm zugenommen, gleichzeitig sind die Realeinkommen der meisten Haushalte gesunken oder haben stagniert, gleichzeitig sind auch die Ersparnisse der Haushalte gesunken und ihre Verschuldung massiv gestiegen. Die Kosten der Haushalte sind auch deshalb gestiegen, weil ein Teil der vorher unbezahlt erbrachten Dienstleistungen eingekauft werden müssen. Das wird in den makroökonomischen Analysen nicht analysiert und verstanden. Weniger Zeit und weniger Geld: das ist das Muster aus dem die Krise der Care Ökonomie gestrickt ist. In der Schweiz beträgt grob geschätzt der Wert der Arbeit, die Frauen unbezahlt für das Aufziehen von Kindern und für die Unterstützung und Pflege von kranken und behinderten Erwachsenen aufwenden, rund fünf Mal mehr als was der Staat an Steuern von der Privatwirtschaft einnimmt. Dieser Wert ist auch höher als der Wert sämtlicher Renten, die aus der staatlichen Altersvorsorge und den für alle LohnbezieherInnen obligatorischen Pensionskassen ausbezahlt werden.
Es gibt international eine sehr interessante Debatte zu Geschlechterverhältnissen und öffentlichen Finanzen. Eine läuft unter dem Label \\"Public Goods and Public Bads\\". Also, dass der Staat immer mehr ausgeben muss für die Sanierung, für das Flicken im Fall von Katastrophen. Die ökologischen Katastrophen kosten sehr viel, Kriege kosten sehr viel und jetzt die Bankenkrise. Die Finanzkrise kostet den Staat in den USA noch mehr, als der Krieg im Irak. Die wirklich entscheidenden Krisen¬produzenten sind praktisch alles Männer. Und das Problem ist, dass Frauen immer dafür zuständig sind, irgendwie die Krisen abzuwenden, im privaten wie auch im öffentlichen Bereich. Sie arbeiten, sind erwerbstätig vor allem in den sozialen Bereichen. Es wird gespart im Gesundheitswesen, es wird gespart bei den Löhnen, vor allem bei denjenigen, die im Gesund¬heitswesen arbeiten. Es wird gespart bei den Haushaltseinkommen, also Stichwort Hartz IV zum Beispiel und so weiter. Also es wird dann immer dort gespart, wo eigentlich wesentliche Bedingungen der Zukunft des guten Lebens produziert werden.
Also auch Frauen dann dadurch besonders betroffen sind…
Ja, es geht stärker auf Kosten der Frauen als auf Kosten der Männer. Das war im Übrigen schon bei der Schuldenkrise der dritten Welt, also in den 80er Jahren so, ganz klar. Da begann auch diesbezüglich eine neue feministische Debatte über Neoliberalismus. Man könnte es auch noch anders sehen: Der Staat spielt sozusagen jetzt gegenüber dem Bankensektor die konservative Mutter und Ehefrau, die immer dafür sorgt, dass es auch in Krisenfällen noch klappt - um dieses Bild zu bedienen und die Welt in Ordnung bleibt. Der Staat ist sozusagen dafür da, um das wieder ein bisschen gut zu machen, was übermütige Söhnchen oder Männer angerichtet haben. Und dann ist er noch für die Überwachung, Bestrafung und Kriege da, die alte und älteste Patriarchen-Funktion des kapitalistischen Staates. Die öffentliche Kontrolle, wie der Staat mit der Krise umgeht, finde ich deshalb eine zentrale Frage - auch aus feministischer Sicht.
Sollte man demnach Frauen in hohen Positionen mehr vertrauen, als Männern?
Also das ganze Finanzsystem beruht tatsächlich auf Vertrauen auf eine gewinnbringende Zukunft und die Frage ist: Wie wird eigentlich dieses Vertrauen gesellschaftlich produziert? Und was hat das mit hegemonialer Männlichkeit, wie Definitionsmacht zu tun? Die Weltmarktelite ist wesentlich eine Elite von Männern. Ich denke, dass selbst Karrierefrauen immer noch wesentlich weniger Teil dieses kapitalistischen Vertrauenssystems und deshalb meistens weniger realitätsblind sind. Das Irre an der ganzen Sache ist, dass darüber, was jetzt passiert, vor drei Jahren schon in der Financial Times geschrieben wurde. Es wurden andere Szenarien dargestellt, die zu opti¬mistisch waren und sogar noch eines, was wahrscheinlich pessi¬mistisch zu bewerten ist. Aber wenn Sie sich die Medien an¬schauen, wenn Sie sich die Debatten anschauen und die Verlautbarungen der Ökonomen irgendwie so richtig daran glauben mochten nur ziemlich wenige, dass das wirklich eintreffen wird. Und das, finde ich, ist doch eine interessante Frage auch des Politik Machens.
Wie gehen Sie mit dieser Krise in der Finanzwelt um?
Also ich habe weniger Angst vor der Geldgier als vor der Neigung, Katastrophen zu produzieren, eine Art systemische Katastrophengeilheit. Ich denke, dass diese Neigung bei Männern stärker entwickelt ist als bei Frauen Vor allem aber haben die großen Konzerne und Banken Europas und Nordamerikas sehr stark von vergangenen Wirtschaftskatastrophen profitiert. Es war ein wesentliches Vehikel ihrer globalen Expansion und ihrer Politik. Die Stärkeren sind eben meist die Krisengewinnler. Ich bin fast sicher, dass dies das Kalkül führender Banker auch jetzt war, nur ist es diesmal schief gelaufen.
Aber ich möchte unbedingt sagen: Der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Geschlechterverhältnissen, auch das, was wir vielleicht als männliche Verhaltensweise oder Männlichkeit diskutieren, müsste ja sehr viel genauer analysiert werden. Kapitalismus ist ein mächtiges Sozialisierungssystem, ein soziales System, das Werte des Egoismus, des Wettbewerbs und der Rücksichtslosigkeit unaufhörlich praktiziert und gesellschaftlich durchsetzt - zunehmend auch im Staat, in den Spitälern und den Schulen Und Männer sind sehr viel stärker als Frauen und seit Generationen diesem asozialen Sozialisierungssystem untergeordnet als Arbeiter, Angestellte oder auch als Manager Mit ihren Einkommen können sie Verfügungsmacht über die Frauen erwirtschaften - wenn sie genug und mehr als Frauen verdienen. Also ich möchte nicht auf irgendwelche biologistische Theorien zurückgreifen. Ich halte die Sozialisierung im Arbeitsleben, im Vereinsleben, im Militär und im Sport für wesentliche Sozialisierungsfaktoren bei Männern. Bei uns zum Beispiel in der Schweiz habe ich Folgendes ausgerechnet: Wenn Sie in der Schweiz die unbezahlte Arbeit und die Erwerbsarbeit im Bereich von Erziehung, Gesundheit, Sozialwesen, im Gastgewerbe und Detailhandel zusammenzählen, dann arbeiten Frauen zu etwa 80% in diesen Bereichen der personenbezogenen Dienstleistungen, bei denen immer auch Beziehungsarbeit im Spiel ist. Das verlangt andere Fähigkeiten und eine andere Sozialisierung als wenn sie Hedge-Fond Managerinnen sind. Männer sind sehr viel mehr in der Güterproduktion oder unternehmensorientierten Dienstleistungen. Und ich denke, wir müssen über diesen Kapitalismus und die Sozialisierung der Männer dabei vielleicht mal ernsthaft reden und politische Konsequenzen ziehen. Dazu kommt eine weitere Frage, die in der theoretischen feministischen Debatte kaum entwickelt ist - auch nicht in der marxistischen Debatte oder höchstens im Begriff des Warenfetischismus: Geld ist im Kapitalismus eine Projektionsfläche menschlichen Begehrens. Es geht um die Frage, wie Frauen und Männer Geld mit dem eigenen Begehren verbinden. Es geht um die gesellschaftliche Produktion von Affektivität und Emotionalität, um einen wesentlichen Aspekt der symbolischen Ordnung. Aber das läßt sich hier so kurz nicht darstellen. Es gab mal in Frankreich, ich glaube in den 1960er Jahren, ein Buch von Marxisten und Psychoanalytiker mit dem Titel: Gott, Phallus, Gold. Höchste Zeit, auch darüber wieder nachzudenken. Die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Luce Irigaray ist soweit ich informiert bin die Einzige, die dieses Thema aus feministischer Sicht weiter entwickelt hat. Aber auch das ist schon lange her.
Frauen zur Hälfte in alle Etagen der Macht
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