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Frauen sind Geringverdiener

Archiv Linksfraktion - Im Wortlaut,

22 Prozent weniger Lohn als Männer / Deutschland im EU-Vergleich weit hinten

EU-Kommissar Vladimir Spidla erteilte Deutschland für die ungerechte Entlohnung von Frauen und Männern eine Rüge. Rückendeckung gab es vom deutschen DGB-Vizevorstand Ingrid Sehrbrock, die das Ausmaß der Gehaltsunterschiede als Skandal bezeichnet.

EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla hat die großen Unterschiede bei den Gehältern von Frauen und Männern in Deutschland kritisiert. »In Deutschland liegt der durchschnittliche Stundenlohn von Frauen um rund 22 Prozent unter dem der Männer. Damit gehört Deutschland zu den Staaten mit der größten Ungleichheit bei der Bezahlung von Männern und Frauen«, sagte Spidla der Tageszeitung »Die Welt«. Studien belegen: In keinem anderen westeuropäischen Land sind die Gehaltsunterschiede so groß, nur Zypern, Estland und die Slowakei fallen noch dahinter zurück. Im Schnitt verdienen europäische Arbeitnehmerinnen 15 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.

Der EU-Kommissar verlangte eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr Frauen in Führungspositionen. »Gleichzeitig fordere ich die Arbeitgeber auf, das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit auch wirklich anzuwenden.« Den Arbeitgebern falle bei der Bekämpfung von ungerechtfertigten Lohnunterschieden in der EU »eine Schlüsselrolle« zu. Es sei »wichtig, dass sie die einschlägigen Rechtsvorschriften auch einhalten«.

Rückendeckung erhielt Vladimir Spidla, der Deutschland eine ähnliche Rüge schon vor etwa einem Jahr erteilt hatte, vom DGB. Dessen Vizevorsitzende Ingrid Sehr-brock bezeichnete gestern die großen Lohnunterschiede als Diskriminierung und Skandal. Als einen Grund für die klaffende Lohnschere nannte die Gewerkschafterin familienbedingte Auszeiten, die für Karriereunterbrechungen sorgen: »Bei mehrjährigen Auszeiten haben Frauen an bestimmten Lohn- und Gehaltsentwicklungen keine Teilhabe.« Jede dritte Frau arbeite zudem nur in Teilzeit und werde dadurch »für Posten mit mehr Verantwortung gar nicht erst vorgesehen«, so die DGB-Vize. »Aufstieg und damit höhere Gehälter bleiben ihnen verwehrt.« Sehrbrock sieht »politischen Handlungsbedarf«, um die Schere zu schließen. Notwendig sei ein »Dreiklang aus Entgeltgleichheit, Karrierechancen und Vereinbarkeit von Beruf und Familie«, sagte die Gewerkschafterin.

Nach Auffassung von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) ist es dagegen gemeinsame Aufgabe von Arbeitgebern, Betriebsräten und Gewerkschaften, die Lohnunterschiede abzubauen. »Es ist wichtig, dass diese weiter gemeinsam zur Gleichstellung von Frauen und Männer beitragen«, meldete sich Scholz vom Rande eines Treffens mit seinen europäischen Amtskollegen in Luxemburg zu Wort.

Scholz versuche, sich »um seine Verantwortung zu schummeln«, kommentierte Ines Grabner-Drews aus dem Ressort Geichstellungs- und Frauenpolitik beim DGB-Bundesvorstand auf ND-Nachfrage. Für die Arbeitgeber zahle sich die schlechtere Bezahlung noch immer zu stark aus, so Grabner-Drews. In der Realität zeige sich, dass freiwillige Vereinbarungen zu einer gerechten Entlohnung nicht genug Wirkung erzielten . »Es ist Aufgabe der Politik, Anreize für die Arbeitgeber zu schaffen.« Dazu sei es nötig, diesen »eine Handreichung zu geben«, die neben freiwilligen Vereinbarungen und nicht-diskriminierenden Tarifverträgen auch gesetzliche Vereinbarungen umfasst. Grabner-Drews verwies etwa auf ein noch fehlendes Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Auch beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, das Frauen gleiches Geld für gleiche Arbeit zusichere, gebe es »durchaus noch Nachholbedarf«. So seien die Strafen, die Arbeitgeber bei Verstößen zahlen müssten, im europäischen Vergleich zu niedrig.

Von Ina Beyer

Neues Deutschland, 10. Juni 2008