Justizministerin versprach Gesetz zur Rehabilitierung von Opfern der Nazimilitärjustiz. Nun folgt Ernüchterung. Ein Gespräch mit Jan Korte
Justizministerin Brigitte Zypries hat im Juni öffentlich verkündet, eine gesetzliche Grundlage für die Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter auf den Weg zu bringen. Was war der Anlaß für ihre Ansage?Sie hatte die Ausstellung »Was damals Recht war ... Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht« eröffnet. Wir waren selbst sehr überrascht von ihrer Ankündigung. Vielleicht hatte es auch mit dem Publikum zu tun: Der bekannte Deserteur Ludwig Baumann und andere Vertreter der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz waren anwesend. Zuvor hatte auch der evangelische Kirchentag eine Resolution in diesem Sinne verfaßt, was eine Rolle gespielt haben kann.
Ministerin Zypries bezog sich auf eine neue Studie von Professor Wolfram Wette. Wer waren demnach für die Faschisten »Kriegsverräter« und wurden deshalb Opfer der Militärjustiz?
In der wissenschaftlichen Arbeit wird anhand vieler Einzelbeispiele die Dimension des sogenannten Kriegsverrats deutlich. Wette hat noch einmal herausgearbeitet, wie weitreichend der Paragraph gewesen ist, der zum tragenden Terrorinstrument im Militärstrafgesetzbuch der Nazis wurde. Schon wenn ein Soldat russische Kriegsgefangene nicht schlecht behandelt hat, ihnen Brot gegeben hat, konnte das als Kriegsverrat geahndet werden. Wette zeigt auch auf, daß gegen die Verurteilten fast durchweg Todesstrafen verhängt wurden. Das traf Soldaten, die sich dem Vernichtungskrieg entzogen haben oder entziehen wollten. Diese Widerständigen waren die Hauptbetroffenen, die verurteilt wurden.
Momentan kann eine Rehabilitierung immerhin im Einzelfall geprüft werden ...
Das ist für die Überlebenden und Angehörigen völlig inakzeptabel. Was soll da im Einzelfall geprüft werden? Was soll unehrenhaft daran gewesen sein, einen faschistischen Vernichtungskrieg zu verraten und damit auch im kleinen Maße für die Verkürzung des Krieges gekämpft zu haben? Die Konservativen argumentieren, daß dadurch die eigenen Truppen in Gefahr gebracht wurden. Die eigenen Truppen während des Zweiten Weltkriegs? Es kann doch nicht sein, daß diejenigen, die den Alliierten geholfen haben, den Krieg zu beenden, jetzt die Schuldigen sind. Es kann doch nicht sein, daß diese Leute, denen eigentlich Ehre und Anerkennung zuteil werden müßte, auch von staatlicher Seite, daß die sich heute einer Prüfung unterziehen müssen.
Sie haben nachgefragt, was aus dem von Zypries in Aussicht gestellten Gesetzentwurf geworden ist. Am Dienstag haben Sie eine Antwort der Bundesregierung bekommen. Nämlich welche?
Die Antwort war äußerst ernüchternd. Die Bundesregierung teilt mit, daß sie die Auffassung der Bundesjustizministerin teilt. Aber gleichzeitig will sie nichts dafür tun, das Unrecht endlich zu beseitigen. Auf meine Frage, ob die Bundesregierung bereits eine entsprechende Gesetzesänderung erarbeite, heißt es schlicht: Nein. Sie hat also noch gar nicht angefangen. Das ist schon absurd. Aber es kommt schlimmer. Die Regierung sieht keine Eilbedürftigkeit. Das muß man sich vorstellen: Mehr als 60 Jahre nach den Naziurteilen sehen sie keine Eilbedürfigkeit. Das ist eine Verhöhnung der Opfer, der Überlebenden und der Angehörigen.
Ein Gesetzentwurf der Linkspartei, der die pauschale Rehabilitierung fordert, liegt seit Mai des Jahres vor. Wie ist die erste Lesung dazu verlaufen?
Die Lesung ging nur zu Protokoll. Was da zu lesen war, war erhellend und schlimm. Es war wie ein Zeitsprung in die antikommunistische BRD der 50er Jahre. Wer Kriegsverrat beging, habe in einer verbrecherischen Weise den eigenen Kameraden geschadet, kommentierte zum Beispiel Norbert Geis von der CDU. Die einzigen, die unseren Gesetzentwurf offen unterstützt haben, waren erfreulicherweise die Grünen. Die SPD lavierte und lehnte ab. Die FDP schloß sich der CDU-Rechtsaußen-Position an. Da war nichts zu erwarten, deswegen war ich dann auch so überrascht, daß Zypries auf der Ausstellungseröffnung diesen Vorstoß gemacht hat.
Was wollen Sie weiter tun?
Wir bleiben parlamentarisch am Ball. Es wird nun zur zweiten Lesung unseres Gesetzentwurfes kommen. Und da bin ich wirklich gespannt, was die SPD zu tun gedenkt, nachdem die eigene Ministerin angekündigt hat, daß eine Gesetzesvorlage sinnvoll und richtig ist. Es wird interessant, ob sie den Worten ausnahmsweise Taten folgen lassen. Andernfalls entpuppt sich der Auftritt der Ministerin als reiner Werbegag.
Interview: Wera Richter
junge Welt, 1. August 2007