Die Bundesregierung will die Bahn an Privatinvestoren verhökern - zum Nachteil für Kunden und Beschäftigte, wie der Regisseur des Dokumentarfilms „Bahn unterm Hammer“, Herdolor Lorenz aufdeckt. Lesen Sie Auszüge aus dem Interview, das in der nächsten Klar-Zeitung der Fraktion DIE LINKE am 1. September 2007 erscheint.
Wann sind Sie zuletzt Bahn gefahren?Herdolor Lorenz: Heute Nacht. Der Zug hatte eine halbe Stunde Verspätung.
So gemütlich lässt es die Bundesregierung nicht angehen. Sie will die Deutsche Bahn so schnell wie möglich an die Börse bringen.
Lorenz: Ja, das Thema ist akut: Im Sommer will die Bundesregierung die Privatisierung im Kabinett beschließen. Im September möchte sie die Entscheidung noch vor dem SPD-Parteitag in Bundestag und Bundesrat durchpeitschen. Es ist höchste Eisenbahn!
Was bedeutet die Privatisierung der Bahn für Kunden und Beschäftigte?
Lorenz: Geht die Bahn an die Börse, sind Kunden und Beschäftigte die Gelackmeierten. Die Bahn dient dann nicht mehr dem Gemeinwohl, sondern privaten Profitinteressen. Bahnhöfe werden geschlossen, der Service nimmt ab, Schienen und Gleise werden kaum mehr gepflegt. (...)
Welche Rolle spielt Bahnchef Mehrdorn dabei?
Lorenz: Für Mehdorn existiert Bahnverkehr nur als ICE-Verkehr. Den Interregio-Verkehr hat er eingestellt, IC-Verbindungen ausgedünnt. Ein Beispiel: Zwischen München und Nürnberg hat die Bahn eine ICE-Strecke gebaut. Der Weg über Augsburg wäre zwar 20 Minuten länger gewesen. Aber man hätte alle bisher existierenden Anschlüsse erreicht. Und die Hälfte des Geldes gespart. So ist die Region um Augsburg mit 3 Millionen Menschen abgehängt worden. Dieser Wahnsinn wird aus Steuergeldern bezahlt.
Ist das die Botschaft des Films: Die Bahnprivatisierung erfolgt zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler?
Lorenz: Nach der Privatisierung erwarten die Investoren eine durchschnittliche Profitrate von mindestens zehn Prozent. Dazu muss die Bahn 9000 Kilometer Strecke und zahlreiche Bahnhöfe stilllegen. Das kann nicht im Interesse von uns Steuerzahlern sein, die die Deutsche Bahn jährlich mit 10 Milliarden Euro bezuschussen. Die Steuerzahler würden die Dividende der Aktionäre finanzieren.
Sie haben zahlreiche Beschäftigte interviewt. Welche Stimmung herrscht dort?
Lorenz: Sie sind deprimiert, zynisch. Sie haben miterlebt, wie jeder zweite eingespart wurde…
Eingespart heißt entlassen.
Lorenz: Ja, jeder zweite wurde in den letzten zehn Jahren entlassen. Das prägt die Stimmung.
Oskar Lafontaine sagt am Ende des Films: „Jede Privatisierung ist ein Verlust an Demokratie.“ In den Interviews fällt die Ohnmacht der Bürgermeister auf, in deren Städte und Gemeinden der Bahnhof oder der Fahrkartenschalter geschlossen werden.
Lorenz: Mehdorn wirtschaftet nur Richtung Börse, er nimmt keine Rücksicht auf lokale oder kommunale Interessen. Alle Bürgermeister, mit denen wir gesprochen haben, waren gegen die Privatisierung der Bahn - unabhängig vom Parteibuch. Sie merken, was das für ihre Region und für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet.
Es scheint kein rationales Argument für die Privatisierung zu geben. Kunden, Beschäftigte, Bürgermeister - sie alle sind gegen die Privatisierung.
Lorenz: So ist es. In England überlegen selbst die Konservativen, den Betrieb der Bahn wieder zu verstaatlichen, weil die Privatisierung den Steuerzahler zu teuer kommt ...
... während hierzulande der Kontrast zwischen den gläsernen Wolkenkratzern der Deutschen Bahn in der Hauptstadt und den maroden Bahnhöfen auf dem Land zunimmt.
Lorenz: Dieser Kontrast beleuchtet die Verhältnisse bei der Deutschen Bahn: Einerseits gibt sie Milliarden von Steuergeldern für Prunkbauten aus, andererseits kümmern sie sich nicht um den Bahnverkehr.
(...)
Ursprünglich sollte der Film eine Dokumentation des NDR werden ...
Lorenz: Ja, aber dann wurde das Projekt von oben gestoppt. Wir haben schließlich ein halbes Jahr Spenden gesammelt und den Großteil der Kosten für den Film, etwa 70.000 Euro, aufgetrieben.
Und es sogar bis in die Kinos geschafft?
Lorenz: Der Film ist bereits in 125 Kinos angelaufen. Aber uns ist vor allem die flächendeckende Verbreitung durch die DVD wichtig. Man kann den Film auch auf kleineren Veranstaltungen oder Betriebsversammlungen zeigen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Ruben Lehnert