Gregor Gysi über die Vorstellungen seiner Partei für eine sozialere Politik
Eine sozial gerechtere Politik für die Arbeitnehmer, aber auch für die sozial Schwachen und Benachteiligten in der Gesellschaft fordert der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi. Finanzieren will er eine solche Politik durch mehr "Steuergerechtigkeit". Unser Redakteur Arn Strohmeyer sprach mit Gysi.Frage: Bremen hat durch seine Schulden große Probleme. Was sagt Ihre Partei den Bürgern dieser Stadt, wie diese Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen sind?
Gregor Gysi: Die Bürger machen sich zu recht Sorgen, weil die Schulden die nächste Generation belasten werden. Die Hoffnung von Union und SPD, dass das Bundesverfassungsgericht eine Bundeshilfe beschließen wird, halte ich nicht für real. Das heißt: Wir müssen im Verhältnis zwischen den Bundesländern und dem Bund neu über die Finanzierung nachdenken. Denn nach dem Grundgesetz müssen überall in Deutschland gleiche Lebensverhältnisse herrschen. Vielleicht könnten so verschuldete Länder wie Bremen, Berlin und das Saarland in diesem Fall zusammengehen, um darüber zu sprechen, wie man die Finanzierung gestalten will. Da geht es dann um Steuergerechtigkeit und vieles mehr. Aber die Bürger hier sollten dennoch optimistisch in die Zukunft schauen.
Bremen hat aber große soziale Probleme. Hier leben viele Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und 1-Euro-Jobber. Was kann Ihre Partei, die ja mehr soziale Gerechtigkeit fordert, diesen Menschen anbieten?
Wir haben hier einen ganz anderen Ansatz. Hier hat Rot-Grün auf Bundesebene eine völlig falsche Politik gemacht. Wir hatten eine Arbeitslosenversicherung, deren Auszahlungen nach der Zeit der Einzahlung von Beiträgen berechnet wurde. Das ist alles gekürzt worden und das macht im Einzelfall bis zu zwei Drittel aus. Das ist beim besten Willen nicht hinnehmbar. Wir sind eine reiche Gesellschaft. Wir müssen das mit neuen Ansätzen gerechter gestalten.
Versprechen Sie den Menschen nicht zu viel? Ist das nicht Sozialpopulismus?
Man darf natürlich nichts versprechen, was man, wenn man in die Verantwortung kommt, nicht halten kann. Das ewige Gerede der anderen Parteien, dass es keinen anderen Weg gebe als den, dass man die Kranken, die Rentner und die Arbeitslosen benachteiligt, ist falsch. Seit Jahren werden Steuergeschenke nur an Kapitalgesellschaften gemacht. Die kleinen und mittleren Unternehmen haben so gut wie gar nichts davon. Hier wäre eine Förderung mal angebracht. Es gibt andere Ansätze - wir brauchen etwa eine Vermögenssteuer. Schweden hat eine solche Steuer, aber deshalb kommen doch die Reichen von dort nicht hierher, weil wir keine haben. Wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit, dann werden die Dinge auch finanzierbar.
Nun wird dem entgegenhalten: Die Globalisierung ist Realität und Verteilungsgerechtigkeit hilft nicht weiter.
Globalisierung darf aber nicht heißen, dass man alles nach dem Profit orientiert. Die sozialen, die ökologischen, die kulturellen und andere Fragen werden leider immer bedeutungsloser. Die Politik muss sich entscheiden: Entweder sie akzeptiert ein Primat der Wirtschaft, dann machen wir die Demokratie fragwürdig. Oder wir kämpfen um ein Primat der Politik über die Wirtschaft, dann wird die Demokratie wieder wichtig. Das brauchen wir aber nicht nur in Deutschland, sondern in der EU. Ich wünsche mir, dass Bremen auch im Bundesrat mal eine andere Rolle spielt, d.h. bundespolitisch eigenständig agiert.
Gibt es in Deutschland zur Zeit eine Sehnsucht nach mehr sozialer Gerechtigkeit und profitiert Ihre Partei davon?
Bundeskanzler Schröder hat den Sozialstaatskompromiss in einer Weise aufgekündigt, wie es sich Helmut Kohl nicht getraut hatte. Daraus entstand erstmals nach 1949 in den alten Bundesländern das Bedürfnis, eine Partei links von der Sozialdemokratie zu organisieren und zu wählen. Auf der einen Seite normalisieren wir uns in dieser Hinsicht europäisch. Andererseits ist es Ausdruck dafür, dass Menschen das Gefühl haben, es geht nicht gerecht zu. Das hängt übrigens auch damit zusammen, dass Schröder die Steuergeschenke an die Kapitalgesellschaften gemacht hat und zeitgleich Kranken, Rentnern und Arbeitslosen erklärte, dass er für sie nichts mehr habe. Das geht im Kopf nicht zusammen. Das ist doch ein Widerspruch.
Aber wecken Sie bei vielen Menschen nicht zu große und falsche Hoffnungen?
Ich will ein Beispiel nennen. 2005 im Bundestagswahlkampf haben Oskar Lafontaine und ich vom gesetzlichen Mindestlohn gesprochen. Alle haben uns erklärt, das sei ökonomischer Unsinn. Keiner hat damals mitgemacht. Jetzt tut die SPD so, als ob sie den Mindestlohn erfunden hätte! Ich hätte ja nichts dagegen, aber sie beschließt ihn nur nicht im Bundestag. Trotzdem - wir haben etwas verändert.
Die SPD steht nach Umfragen nicht gut da. Empfinden Sie da Schadenfreude?
Die SPD sackt ab, weil sie als sozial und demokratisch nicht mehr zu erkennen ist. Das ist ihr Problem. Man kann es so sehen, dass man uns als Konkurrenz begreift - das sind wir ja auch - und darunter leidet. Aber darin besteht doch auch eine Chance, dass die SPD eines Tages wenigstens wieder sozialdemokratisch wird. Wir sind mindestens ein Korrekturfaktor. Und es ist wichtig, dass der funktioniert.
Weser Kurier, 10. Mai 2007