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»Eine Diktatur ist mit uns nicht machbar«

Archiv Linksfraktion - Im Wortlaut von Gregor Gysi,

Gregor Gysi im Gespräch: Der Bundestagsfraktionschef äußert sich über den Wandel der Linken von einer „Art komischer westpolnischer Partei“ zu einem „wichtigen Korrekturfaktor“ der Sozialdemokraten, über Grüne, die täglich konservativer werden - und die angebliche antitotalitäre Läuterung der Genossen zwanzig Jahre nach dem Mauerfall.

Im Saarland ziehen die Grünen eine Koalition mit CDU und FDP Rot-Rot-Grün vor, weil sie Angst vor Oskar Lafontaine haben. Können Sie das verstehen, Herr Gysi?

Nicht im Geringsten. Aber es ist so gekommen, wie wir es im Saarland plakatiert haben: Wer Grün wählt, wird sich Schwarz ärgern.

Lafontaine hat doch mit dem Rückzug vom Fraktionsvorsitz im Bundestag den Grünen eine Vorlage geliefert.

Blanker Unsinn. Herr Ulrich, der Grünen-Chef im Saarland, wusste immer, dass Lafontaine der Wahlsieger ist und keinesfalls beabsichtigt, aus dem Saarland zu verschwinden. Warum hat er überhaupt Sondierungsgespräche geführt? Nur aus einem Grund: um vor der Bundestagswahl keine grünen Wähler zu vergraulen. Dabei wollte er von Anfang an „Jamaika“.

In Thüringen will die SPD nicht mit der Linken. Schafft es Ihre Partei nicht, Vertrauen mit Konkurrenten zu schaffen?

In Thüringen hat Christoph Matschie verstanden, dass er entweder mit uns nicht Ministerpräsident werden konnte oder es mit der CDU nicht werden kann. Mit uns hätte er aber 80 Prozent seines Programms durchsetzen können. Nun geht er mit der CDU, weil es für ihn bequemer ist. Die Folge ist: Herr Matschie macht in Thüringen die SPD kaputt. Auch er wollte das gleich von Anfang an und hat auf die Bundestagswahl gewartet.

In Brandenburg wird es zu einer rot-roten Landesregierung kommen. Ein Trostpflaster?

Weit mehr. Rot-Rot in Brandenburg ist eine Chance für dieses Bundesland. Für uns als Partei ist es zudem wichtig, dass wir nicht nur in Berlin regieren - auch mit Blick auf die Verhältnisse im Bundesrat.

Die SPD zeigt sich nach ihrer Wahlniederlage offen für Kooperationen mit der Linken. Sie haben gesagt, dass sich auch die Linke bewegen muss. Wo?

Die SPD muss erst einmal Klarheit schaffen, was sie will. Wir sind nicht unfähig zum Kompromiss. Aber wenn wir unsere Prinzipien aufgäben, wenn wir ja sagten zum Krieg in Afghanistan, zu Rentenkürzungen oder zu Hartz IV, dann könnten wir unsere Sachen packen.

Beim Thema Europa hat sich die Linke als antieuropäische Partei profiliert. Bei der Europawahl hat sie dafür die Quittung bekommen. Manche in der Partei fordern, den Lissabon-Vertrag zu verteidigen. Sie auch?

Wir sind nicht europafeindlich. Ich will ein integriertes Europa. Aber ich will ein Europa der Bevölkerungen und nicht ein Europa der Eliten. Wenn der Lissabon-Vertrag bedauerlicherweise in Kraft treten sollte, werden wir die positiven Teile, wie die Stärkung des Europaparlaments, nutzen. Und wir werden den Vertrag dann natürlich akzeptieren.

Der große Satan vieler Linker sind die Vereinigten Staaten. Gegen George W. Bush zu sein war leicht. Nun regiert Barack Obama. Wie bewerten Sie seine Politik?

Politisch ist Obama ein riesiger Fortschritt im Vergleich zu Bush, auch wenn ich vieles - zum Beispiel den Afghanistan-Einsatz - von ihm nicht teile. Aber dass er sagt: Raus aus dem Irak oder Schluss mit Guantánamo, ist zu würdigen, auch wenn es langsam vorangeht. Für manche, auch bei uns, wird es schwieriger.

Ihr Ziel war eine gesamtdeutsche Partei links von der SPD. Nun haben Sie im Westen 8,3 Prozent erreicht. Ist die Linke dort schon etabliert?

Die Hemmung, uns zu wählen, ist im Westen beachtlich überwunden worden. In Bayern haben uns 6,5 Prozent gewählt, in Bremen mehr als 14 Prozent. Wir sind nicht mehr eine Art komischer westpolnischer Partei, die die PDS in den Augen vieler Westdeutscher war. Wir sind ein wichtiger Korrekturfaktor. Und weil wir das sind, ist unsere Stärke in gewissem Maße auch abhängig davon, wie die SPD sich entwickelt. Das bedeutet, dass wir mal zulegen und auch mal abnehmen können. Der Korrekturfaktor bleibt aber nötig. Denn es gibt in Deutschland außer uns keine Partei, die nach der Verteilungsgerechtigkeit fragt.

Die nächste Landtagswahl ist in Nordrhein-Westfalen. Ein paar Punkte aus dem Programmentwurf der NRW-Linken: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Großbetriebe werden verstaatlicht, Gefängnisse nicht mehr gebaut, Schulnoten abgeschafft, das Schulfach Religion durch Ethik ersetzt. Wem das nicht reicht, der kann sich bald mit Haschisch legal zudröhnen. Wie finden Sie das?

Über das Letzte will ich gern diskutieren. Alkohol ist auch nicht verboten. Also, der Kampf dagegen bei gleichzeitiger Legalisierung ist wohl der richtige Ansatz. Bei harten Drogen sehen wir das allerdings anders. Davon abgesehen: In dem Programmentwurf der NRW-Linken steht einiges, über das man diskutieren muss, und es wird auch Korrekturen geben.

In der Bundestagsfraktion sitzen eine ganze Reihe Abgeordneter mit ähnlichen Ansichten wie den genannten. Gefährden sie nicht eine zukünftige rot-rot-grüne Machtoption?

So? Ich finde, die Grünen werden täglich konservativer. Müntefering gibt nicht sich und anderen, sondern ernsthaft Lafontaine die Schuld am Niedergang der SPD. Da ist wenig Klarheit. Wir sind nur größer und pluralistischer geworden. Wenn wir es dennoch schaffen, uns als eine Fraktion zu begreifen und nicht als Flügel, dann packt das auch die Partei. Mich reizt diese Aufgabe.

Lafontaines Rückzug vom Fraktionsvorsitz gilt vielen als erster Schritt zur Staffelübergabe an die nächste Generation. Ihnen auch?

Er kandidiert erneut zum Parteivorsitzenden. Politisch haben Oskar Lafontaine und ich die Aufgabe, die Vereinigung der Partei hinzubekommen. Das ist nicht so einfach, wie es klingt. Die Vereinigung hat gerade begonnen. Wenn wir sie geschafft haben, müssen wir auch an die nächste Generation denken.

Zur Vereinigung gehört auch ein Programm. Eine kontroverse Debatte darüber steht an. Will Lafontaine als Parteichef eine allzu große ideologische Aufweichung verhindern?

Wir haben doch ein Programm. Für eine neue Programmdebatte sollten wir uns Zeit nehmen. Es gibt einige, die meinen, man dürfe beim Programm keine Kompromisse machen. Da widerspreche ich. Man muss möglichst viele mitnehmen. Ein Parteiprogramm hat keinen Sinn, wenn wir es mit 51 zu 49 Prozent beschließen. Es macht Sinn, wenn 90 Prozent ja sagen.

Aber sind Realos und Fundis nicht viel zu weit voneinander entfernt?

Wir sind eine Partei, die systemkritisch ist. Das ist in Ordnung. Aber es muss auch klar sein, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Es muss klar sein, dass eine Diktatur mit uns nicht mehr machbar ist, unter keinen Umständen. Und dass wir gegen sie kämpfen würden, selbst wenn sie sich links nennt.

Sie hatten vor einigen Jahren zwei Herzinfarkte und eine schwere Gehirnoperation ...

Drei Infarkte bitte ... Ich hatte die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres zu sterben oder nach einer Operation 20 Jahre pflegefrei zu sein. Da habe ich mich für die zweite Variante entschieden.

Ihre Frau ist 2002 wegen des Linksrucks der Partei aus der PDS ausgetreten. Ist sie in die „Linke“ wieder eingetreten?

Nein. Als Lothar Bisky nicht zum Vizepräsidenten des Bundestages gewählt wurde, war sie empört und hat einen Tag darüber nachgedacht. Meine Söhne sind auch nicht in der Partei. Ich hätte nichts dagegen, wenn sie drin wären. Aber sie entscheiden das alle ganz frei.

Das Gespräch mit dem Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag führte Markus Wehner.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18. Oktober 2009

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