Gesine Schwan und Lothar Bisky - eine Ost-Debatte mit Nebenluft
Der Dienstagabend im Kabarettkeller »Die Oderhähne« in Frankfurt (Oder) ist plötzlich ein besonderer Termin geworden. Weder Gesine Schwan noch Lothar Bisky hatten bei der langfristigen Planung einer Ost-Debatte mit so vielen Kameras gerechnet. Dass die nun angerückt waren, hatte freilich kaum mit dem Osten zu tun.Als der Ost-Koordinator der Linksfraktion im Bundestag, Roland Claus, die Gesprächsrunde irgendwann Ende 2007 initiierte, war an derlei Brisanz noch nicht zu denken. Aber eine über Nacht wieder mögliche Gegenkandidatin für Horst Köhler zur Bundespräsidenten-Wahl und der Chef einer Partei, mit der plötzlich auch bundespolitisch gerechnet werden muss, unmittelbar vor einem nicht ganz leichten Parteitag - das ist das Zeug, aus dem Schlagzeilen zu machen sind. Noch dazu, wenn die von Stunde zu Stunde mehr als SPD-Kandidatin gehandelte Gesine Schwan in der Bundesversammlung nur mit den Stimmen der LINKEN eine Chance hätte, das Schloss Bellevue zu erobern. Das roch geradezu nach Antrittsbesuch, Schaulaufen, Werbeveranstaltung in eigener Sache - gar nach rot-rotem Schulterschluss.
Aber denkste. Auch wenn die Chefin der Europa-Universität Viadrina von Claus mit »Frau Präsidentin« angesprochen wurde, hatte das höchstens ein wenig gewollte Nebenluft. Das Thema Bundespräsidentenwahl blieb, zumindest auf dem Podium, beinahe vollständig ausgespart - hätte Claus nicht zum Schluss den übrigens heutigen 65. Geburtstag der Beinahe-Kandidatin angesprochen und die Frage nachgeschoben, ob sie mit einem Anruf Köhlers rechne. Aber Gesine Schwan blieb eisern. Ein Grundsatz, wie sie zuvor bekannte, der ihr sehr am Herzen liegt: »Parteizugehörigkeit ist wichtig, aber noch wichtiger ist eine innere Verlässlichkeit.« Zum Thema Kandidatur zu schweigen, bis ihre Partei SPD sich zu einer offiziellen Nominierung der quirligen, aber bekanntermaßen eigenwilligen Kandidatin entscheidet, scheint für sie zu derlei Verlässlichkeit zu gehören. Selbst wenn die SPD Gefahr läuft, auch in dieser Frage mit dem Wechselspiel von Diskretion und Indiskretion erneut zu patzen.
Sei es wie es sei. Es wurde tatsächlich über den Osten gesprochen - über entwertete Biografien und neues Selbstbewusstsein, den Unterschied zwischen Talenten und Eliten, die schwer auszumachenden Positionen der Kanzlerin aus dem Osten und ostdeutsche Bildungspolitiker, die sich heute in Finnland über ihre eigene Schulzeit in der DDR informieren.
Und von wegen Schulterschluss. Schwan hatte zwar sichtlich gelassen unter dem Logo der Linkspartei Platz genommen, aber alsbald klar gemacht, durchaus kontrovers diskutieren zu wollen: »Es hat ja keinen Sinn, dass wir uns nur Schmus sagen«, erklärte sie, freundlich zwar, aber sehr entschieden. Erzählte ihre persönlichen Erlebnisse als Westberlinerin in und mit der DDR - und die müssen allesamt nicht sonderlich gewesen sein. Und versuchte auch, das Übermaß an Selbstgerechtigkeit und den Mangel an Reflexion bei den sich als Sieger fühlenden »Wessis« nicht unerwähnt zu lassen. Bisky wiederum ließ keinen Zweifel, dass ihm ein Schönreden vergangener Zeiten fern liegt - aber machte dennoch in der ihm eigenen Höflichkeit klar, durchaus Bewahrenswertes weiter beim Namen zu nennen und manches in dieser Bundesrepublik schon ein bisschen für »verrückt« zu halten.
Manchmal wurde im Publikum laut gelacht, manchmal ein bisschen leiser gegrummelt - zum Schluss wurde es für die Gäste sogar noch richtig anstrengend. »Ich glaube, Herr Bisky will das letzte Wort haben«, hatte Schwan gemutmaßt, als der Parteichef der LINKEN ihr zur abschließenden Frage nach dem demokratischen Sozialismus mit männlicher Ritterlichkeit den Vortritt ließ. Aber Bisky muss wohl geahnt haben, dass seine Gesprächspartnerin bei diesem Thema nicht mehr zu bremsen sein würde. Und so wurde das lauschige Kabarett zum Hörsaal, die Sozialdemokratin, die Wert auf diese Reihenfolge zwischen sozial und demokratisch legt, zur Dozentin. Irgendwann muss Schwan das aber doch gemerkt haben und verwies kurzerhand auf vier Vorlesungen, die sie zum Abschluss ihrer Präsidentschaft an der Viadrina demnächst zu halten gedenkt. Bisky mit dem letzten Wort hatte die Ermüdung wohl erkannt und beließ es bei ein paar Stichworten. Und die, so schien es, waren den meisten, die an diesem Dienstag in den Frankfurter Rathaus-Keller kamen, durchaus geläufig.
Von Gabriele Oertel
Neues Deutschland, 22. Mai 2008