Doch die politische Auseinandersetzung für Freiheit und Gerechtigkeit erledigt kein höheres Wesen oder Gericht. In Sachen Vorratsdatenspeicherung
Abermals hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber ein klares Stoppsignal in Sachen Überwachungsträume gesetzt. Die geltenden Regelungen zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung sind am 2. März für nichtig erklärt worden, gesammelte Daten müssen umgehend gelöscht werden.Worum geht’s bei der Vorratsdatenspeicherung? Per Gesetz, beruhend auf einer Richtlinie der Europäischen Union, werden Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, Verbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger sechs Monate lang auf Vorrat zu speichern. So kann detailliert nachvollzogen werden, wer mit wem wann wie lange und von wo aus per Telefon, Handy, SMS oder Mail in Verbindung stand. Und es kann gegen politisch alle missliebigen Personen verwandt werden. Heribert Prantl konstatierte treffend in der »Süddeutschen Zeitung«: »Bei der Auswertung der umfassend gespeicherten Kommunikationsbeziehungen kann auch schnell festgestellt werden, wer in einer Gruppe von Atom-, Windkraft- oder Kriegsgegnern, von protestierenden Milchbauern, von demonstrierenden Neonazis oder Antifaschisten welche Rolle spielt, wer Vordenker, Logistiker, Organisator oder Mitläufer ist.«
Kurz: Es geht um die komplette Protokollierung menschlichen Kommunikationsverhaltens. Und es geschieht ohne irgendeinen Verdacht: 80 Millionen Bundesbürger und 500 Millionen EU-Bürger/innen werden unter Generalverdacht gestellt. Die Vorratsdatenspeicherung ist in der Tat einer der schwersten Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte, die in den letzten Jahren beschlossen wurden. Zu verantworten hat dies die damalige Große Koalition aus CDU/CSU und SPD.
Wenn menschliches Kommunikationsverhalten vollständig nachvollzogen werden kann, beginnen Menschen, dieses Verhalten zu verändern: Man versucht, kaum merklich, sich anzupassen, zu überlegen, was man wo und wann sagt, nicht aufzufallen und sich konform zu verhalten. Betrachtet man die Sicherheitsgesetze der letzten Jahre, wie Anti-Terror-Datei, Online-Durchsuchungen, mehr Befugnisse für die Dienste und das Bundeskriminalamt, Telefonüberwachung und schließlich die Vorratsdatenspeicherung, so wird ersichtlich, in welch großen Schritten der Marsch in den Überwachungsstaat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich misstraut, bereits vorangeschritten ist. Es ist kein Zufall, dass die Aufrüstung in der inneren Sicherheit parallel zur Abwrackung des Sozialstaates vonstatten geht. Nicht zu vergessen ist der Zusammenhang von militärischer Politik nach außen und Aufrüstung bei der Sicherheit nach innen. Diese Zusammenhänge müssen von der LINKEN immer wieder genannt werden.
Gleichzeitig, und das ist erfreulich, wächst eine neue Bürgerrechtsbewegung. Die großen Demonstrationen unter dem Motto »Freiheit statt Angst« haben gezeigt, dass es im Lande nicht mehr ganz so einfach ist, die Grundrechte zu schleifen. Es macht Mut, dass so unterschiedliche Interessengruppen wie Anwälte, Ärzte, Linke, Gewerkschafter und besonders viele junge Menschen gegen den Überwachungsstaat ankämpfen. DIE LINKE ist Teil davon. Trotzdem konnten all die genannten Gesetze nicht im Vorfeld verhindert werden. Dies zeigt, dass Widerstand breiter organisiert werden muss. DIE LINKE muss sich insbesondere dafür engagieren, dass auch und gerade die vom Sozialabbau Betroffenen sowie Migrantinnen und Migranten Teil einer neuen Bürgerrechtsbewegung werden. Denn vor allem sie sind es, die von fehlendem Datenschutz als erste betroffen sind. Migrantinnen und Migranten werden schon seit Jahren unter Generalverdacht gestellt und überwacht. Die politische Auseinandersetzung und grundlegende Kritik des asozialen Sicherheitsstaates ist für DIE LINKE Tagesaufgabe. Sie speist sich aus der Überzeugung, dass es keine Demokratie ohne Sozialismus und keinen Sozialismus ohne Demokratie geben kann. Auch das ist ein »Markenkern« der Linken.
Rund 35.000 Menschen haben in Karlsruhe gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte und ein Zeichen für ein wachsendes Bewusstsein für den demokratischen Rechtsstaat. Auch dies ist Teil einer entstehenden Bürgerrechtsbewegung. Nun hat das Gericht gesprochen, und man kann das Urteil klar als Etappensieg feiern. Es gibt Schützenhilfe, um die politische Auseinandersetzung klar zu führen. Allerdings hat das Gericht die Vorratsdatenspeicherung nicht generell ausgeschlossen. Natürlich haben sich die Kläger und DIE LINKE mehr gewünscht. Die Hürden für ein neues Gesetz sind aber extrem hoch gesetzt. Die Bundesjustizministerin, die selber geklagt hatte, sieht gerade keine Eile, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen. Richtig.
Jetzt ist es an der Zeit, politisch soviel Druck wie möglich zu entfalten, um eine weitere Vorratsdatenspeicherung zu verhindern. Dies gilt insbesondere auf der europäischen Ebene. Die Linke in Deutschland und Europa muss sich engagieren, um die Richtlinie insgesamt zu Fall zu bringen. Allzu oft hat gerade die Bundesregierung die europäische Ebene benutzt, um Eingriffe in die Grundrechte sozusagen über Bande zurück nach Deutschland zu spielen: sei es bei den biometrischen Merkmalen in Pässen oder eben bei der Vorratsdatenspeicherung. Deutlich gemacht werden muss auch, dass die anderen geplanten Großprojekte wie Swift (erfreulicherweise vom Europäischen Parlament zu Fall gebracht), der ungebremste Austausch von Flugpassagierdaten mit den USA, Elena, die elektronische Gesundheitskarte und vieles andere mehr nun gestoppt werden müssen. DIE LINKE im Bundestag hat bereits mehrfach ein Moratorium für alle Sicherheitsgesetze gefordert. Wir müssen nun dafür kämpfen, dass alle bereits beschlossenen Sicherheitsgesetze dahin gehend überprüft werden, ob sie mit demokratischen Rechten und dem Datenschutz vereinbar sind. Das ist viel Arbeit, die jetzt angegangen werden sollte.
Das aktuelle Urteil kann helfen. Doch die politische Auseinandersetzung für Freiheit und Gerechtigkeit erledigt kein höheres Wesen oder Gericht. Das müssen wir selber tun.
Disput, März 2010