Der designierte stellvertretende SPD-Vorsitzende Frank-Walter Steinmeier will den demokratischen
Sozialismus aus dem Grundsatzprogramm der SPD tilgen. Gleichzeitig veröffentlicht die ehemals rechte
Hand Schröders im Kanzleramt, heute vielbeschäftigter Außenminister mit zweifelhaftem Ruf in Sachen
Terrorismusbekämpfung, zusammen mit dem Ostdeutschen Matthias Platzeck und Finanzminister Peer Steinbrück, also den wesentlichen Entscheidungsträgern der Agenda-2010-Politik, ein Buch, in dem sie die Weiterführung der Schröderschen Agendapolitik von ihrer Partei einfordern. So weit, so schlecht.
Der designierte stellvertretende SPD-Vorsitzende Frank-Walter Steinmeier will den demokratischen Sozialismus aus dem Grundsatzprogramm der SPD tilgen. Gleichzeitig veröffentlicht die ehemals rechte Hand Schröders im Kanzleramt, heute vielbeschäftigter Außenminister mit zweifelhaftem Ruf in Sachen Terrorismusbekämpfung, zusammen mit dem Ostdeutschen Matthias Platzeck und Finanzminister Peer Steinbrück, also den wesentlichen Entscheidungsträgern der Agenda-2010-Politik, ein Buch, in dem sie die Weiterführung der Schröderschen Agendapolitik von ihrer Partei einfordern. So weit, so schlecht.Nicht nur, dass dieser SPD-Flügel für den Zustand der selbigen verantwortlich ist und die schlimmsten sozialen Verwerfungen und Entsolidarisierungsmaßnahmen in der Geschichte der Bundesrepublik durchgesetzt hat. Sie empfehlen zudem ein radikalisiertes „Weiter So!“. Dies ist für DIE LINKE indiskutabel und bietet keinerlei Anknüpfungspunkte für einen gesellschaftlichen Richtungswechsel nach links in der parlamentarischen Politik auf Bundesebene. Dazu ist im Übrigen auch alles gesagt. Interessanter hingegen ist die Entwicklung auf Seiten des Flügels der SPD, der der oben genannten Politik kritisch gegenüber steht und die Agendapolitik rückblickend als falsch für die Menschen, aber auch für die politische Zukunft der SPD befindet. Wie weit wird ihr Einfluss reichen? Ist ein Richtungswechsel innerhalb der SPD überhaupt noch möglich. Das sind Fragen, die sich in den nächsten Monaten klären werden. Für Linke ist aber die Frage nach gesellschaftlichen Mehrheiten zurzeit die spannendere (auch wenn parlamentarische Mehrheiten möglicherweise dazugehören können). Die Medien berichten es rauf und runter: Offenbar gibt es zu zentralen linken Politikansätzen große Mehrheiten in der Bevölkerung. Zuletzt berichtete die Zeit darüber, dass es zum Mindestlohn, gegen die Rente mit 67 oder gegen den Privatisierungswahn der schwarz-roten Koalition große Mehrheiten gibt. DIE LINKE versucht diesen Mehrheiten parlamentarisch und außerparlamentarisch Gehör zu verschaffen und hat beispielsweise beim Thema Mindestlohn gezeigt, wie sich parlamentarischer und außerparlamentarischer Druck auch auf die SPD positiv auswirken kann, wenngleich es ihr dann am konkreten Durchsetzungswillen mangelt. Hier ist die SPD gefragt in den nächsten Monaten und Jahren eine Entscheidung zu fällen: Durchsetzung von linken Politikinhalten in den Parlamenten, die breit in der Bevölkerung verankert sind, oder weiterer Sozial- und Grundrechteabbau in einer großen Koalition mit einer CDU, die trotz aller Modernisierungsrhetorik, der Hauptgegner einer sozialen, weltoffenen und internationalistischen Linken ist. Diese Entscheidung muss die SPD selber treffen. Treffen also die empirischen Befunde einer breiten Zustimmung zu linker Politik zu, so könnte es eine interessante Aufgabe für DIE LINKE und Linke in der SPD sein, sich um Themen zu kümmern, die zur Zeit noch keine Mehrheiten in der Bevölkerung haben. Ich denke beispielsweise an eine offene Flüchtlings- und Migrationspolitik als Bedingung für eine antirassistische Gesellschaft. Oder an die Bekämpfung flächendeckender Videoüberwachung, als Beispiel für die Rückeroberung des öffentlichen Raumes. Erst die Überwindung der barbarisierenden Spaltung in In- und Ausländer oder des Ausspielens Ost gegen West kann zu einer nachhaltigen linken Hegemonie in der Bundesrepublik führen. Ich plädiere dafür, gesellschaftliche Mehrheiten für linke Politik, wie den Mindestlohn auszubauen, und sich gleichzeitig Themen anzunehmen die noch keine Mehrheiten hinter sich versammeln können. Hier könnten Gesprächs- und Gesellschaftsforen, in den Sozialisten, Sozialdemokraten und kritische Geister zusammentreffen, entstehen. Natürlich ist die Frage zu diskutieren, ob aus solchen Prozessen heraus einmal auch parlamentarische Mehrheiten, also ein Mitte-Links-Block entstehen kann. In vielen skandinavischen Ländern ist dies seit Jahrzehnten möglich: Eine starke linkssozialistische Kraft hindert - mal mehr und mal weniger erfolgreich - die Sozialdemokraten dort amWegdriften nach Rechts und kann zumindest einige essentielle, langfristige Politikentwürfe durchsetzen. DIE LINKE muss Druck auf die SPD ausüben - ohne Zweifel - und einen Richtungswechsel einfordern: Der Mindestlohn ist eben nicht mit der FDP durchsetzbar, mit der LINKEN schon! Zuvor jedoch muss DIE LINKE ihre eigene anstehende Programmdebatte auch für eine grundlegende Strategiedebatte nutzen. Dabei ist die Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse enorm wichtig: Haben eigentlich die Linken dafür gesorgt, dass die neoliberalen Dogmen mehrheitlich ins Wanken geraten? Hat DIE LINKE Debatten der bundesdeutschen, europäischen und internationalen Linken in ihrem (Selbst-)Findungsprozess genügend berücksichtigt? Wie kann linke Politik auch dann stark werden, wenn es außerparlamentarisch kaum oder nur sehr geringe Bewegungen gib, die einen Politikwechsel durchsetzen helfen können? Ohne den Versuch der Klärung dieser und weiterer inhaltlicher und strategischer Fragen in einer offenen, aber eben solidarischen Programmdebatte der LINKEN, ohne die erkennbare Lust am Austausch von Standpunkt und Gegenstandpunkt, werden die gesellschaftlichen Verhältnisse sich kaum durch und mit dieser Partei links von der SPD ändern lassen. DIE LINKE eint vieles. Deshalb hat sie sich im Juni neu zusammengefunden. Nun aber muss es darum gehen, das Einende mit weiteren Linken zu suchen. Grundlage dafür muss aber eine eigenständige, spannende Programmdebatte sein. Denn Kernaufgabe dieser neuen Partei kann es nicht sein, das eigene politische Handeln auf einen programmatischen Wandel der SPD auszurichten. DIE LINKE muss sich selbst und nicht über andere (Parteien) definieren. Wenn dies gelingt, lassen sich gesellschaftliche und parlamentarische Verhältnisse mit links ändern. Und vielleicht wird dieser Prozess dadurch einfacher, wenn nicht mehr die alte Garde der Becks, Münteferings und Steinbrücks am Steuer des ehemals teils fortschrittlichen Schiffes SPD steht und sich eine jüngere Generation aufmacht. Ich jedenfalls möchte nicht mein Leben lang unter einer großen Koalition leben müssen.Von Jan Korte