103 Euro musste fast jeder Achte im Bürgergeld 2023 pro Monat aus eigener Tasche draufzahlen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Heidi Reichinnek und Caren Lay einräumen. Wenn man in Deutschland Bürgergeld bezieht, übernimmt das Jobcenter die Kosten für Unterkunft und Heizen. Viel zu häufig müssen Bürgergeld-Beziehende aber trotzdem obendrauf zahlen - aus eigener Tasche. Das Geld fehlt dann für Essen oder Bildung. Das liegt daran, dass die Jobcenter die Kosten für Unterkunft und Heizen oft nicht in voller Höhe anerkennen.
"Fast jeder Achte im Bürgergeld bekam 2023 nicht die vollen Kosten der Unterkunft erstattet. 103 Euro mussten die betroffenen Haushalte für Miete und Heizung draufzahlen, Familien mit kleinen Kindern sogar 124 Euro – Monat für Monat. Geld, das fürs Leben fehlt. Trotz der Einführung einer Karenzzeit im Bürgergeld ist die Wohnkostenlücke der betroffenen Haushalte im letzten Jahr von 94 Euro auf 103 Euro je Monat gestiegen – um 10 Prozent. Die einjährige Karenzeit half denen, die neu ins Bürgergeld kamen, aber nicht den Langzeitbeziehern, wie etwa Alleinerziehenden, pflegenden Angehörigen und Aufstockern. Die wurden alleine gelassen. Sie müssen den Fehlbetrag weiterhin aus dem Regelsatz ausgleichen, der eigentlich für Essen und Kleidung gedacht ist. Das finde ich unerträglich. Die Kostengrenzen müssen reichen, damit davon eine Wohnung gemietet und warm bekommen werden kann", fordert Heidi Reichinnek, Co-Vorsitzende der Bundestagsgruppe Die Linke.
Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Bundestagsgruppe Die Linke, ergänzt: Wer im Bürgergeld überhaupt noch eine Wohnung in Innenstädten bekommt, zahlt drauf und spart sie sich vom Munde ab. Das ist nicht hinnehmbar. Um das Wohnen dauerhaft bezahlbar zu halten, müssen erstens mehr Sozialwohnungen gebaut und zweitens die Miet- und Energiepreise gedeckelt werden. Sonst finanziert die Allgemeinheit die dreisten Mietsteigerungen der Wohnkonzerne."
Die "Wohnkostenlücke" ist in 2023 im wesentlichen stabil: Der Anteil betroffener Haushalte sank ein wenig, dafür stieg bei denen, die betroffen waren, die Kostenlücke an.
Für Grundsicherungshaushalte, die in Miete leben, ergaben sich für 2023 folgende Werte:
- 320.000 Bedarfsgemeinschaften, also 12,2 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für Unterkunft und Heizung erstattet (2022: 13 %). Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 103 Euro im Monat (2022: 94 Euro im Monat), rund 16 % der tatsächlichen Kosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.
Werden die Kosten der Unterkunft getrennt nach Miete und Heizkosten betrachtet, gilt:
- 8,4 Prozent aller Bedarfsgemeinschaften bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft (Miete) erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 111 Euro im Monat (2022: 101 Euro im Monat), rund 22,5 % der tatsächlichen Mietkosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.
- Durchschnittlich knapp 60.000 Bedarfsgemeinschaften bekamen in 2023 nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich über 55 Euro im Monat (2022: 41 Euro im Monat), 36 % der tatsächlichen Heizkosten, aus Regelbedarf oder Ersparnissen selbst finanzieren.
Wird die Wohnkostenlücke getrennt nach Familienverhältnissen betrachtet, gilt:
- 163.000 Personen, also 12 Prozent aller 1-Personen-Bedarfsgemeinschaften bekamen in 2023 nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 87 Euro im Monat (2022: 81 Euro im Monat), rund 17 % der tatsächlichen Kosten, selbst finanzieren.
- 116.000 Bedarfsgemeinschaften, also 12 Prozent aller BGs mit Kindern bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 124 Euro im Monat (2022: 111 Euro im Monat), rund 15 % der tatsächlichen Kosten, selbst finanzieren.
- 52.000 Bedarfsgemeinschaften, also 11 Prozent aller BGs, in denen mindestens 1 Kind unter 6 Jahren lebt, bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 128 Euro im Monat, rund 15 % der tatsächlichen Kosten, selbst finanzieren.
- 67.000 Bedarfsgemeinschaften, also 13 Prozent aller Alleinerziehenden-BGs bekamen nicht die tatsächlichen Ausgaben für die Unterkunft und Heizung erstattet. Diejenigen, die davon betroffen waren, mussten durchschnittlich rund 115 Euro im Monat (2022: 103 Euro im Monat), rund 15 % der tatsächlichen Kosten, selbst finanzieren.
Die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdUH) nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) in tatsächlicher Höhe bis zu einer "angemessenen" Obergrenze soll das Existenzminimum beim Wohnen sichern. Die Verfahren zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen sind seit vielen Jahren Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen. Dies bringt Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten und die Gefahr der Unterschreitung des Existenzminimums mit sich. Im Ergebnis bestehen zwischen der Miete, die Personen im Leistungsbezug nach dem SGB II und SGB XII tatsächlich zahlen müssen, und den als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung regional teilweise erhebliche Differenzen. Regelmäßig muss diese „Wohnkostenlücke“ aus dem Regelbedarf bestritten werden – oft nicht als Ausdruck individueller Prioritätensetzung, sondern schlicht, weil es keinen günstigeren Wohnraum gibt. Die letzte Anfrage der Linksfraktion zur Wohnkostenlücke 2022 zeigte, dass rund 13 Prozent der SGB-II-Haushalte nicht die vollen Wohnkosten bekam, sondern einen Teil ihrer Miete - durchschnittlich 94 Euro - selbst bezahlen mussten.
Für 2023 ist eine Sondersituation zu berücksichtigen, da mit der Einführung der Bürgergeld-Reform zum 1.1.2023 unter anderem eine einjährige "Karenzzeit" für die Kosten der Unterkunft eingeführt wurde, nach der für ein Jahr lang die (Kalt-) Miete bei neuen Leistungsbeziehenden nicht auf Angemessenheit überprüft, sondern immer voll übernommen wird. Für Langzeitbetroffene, deren Mieten bereits gemindert sind, ändert sich jedoch nichts. Zusätzlich ist zu beachten, dass für die Heizkosten die Karenzzeit nicht gilt.