Karlsruhe rügt verfassungswidriges Unterhaltsrecht, hält es aber bis Ende 2008 für »hinnehmbar«
Die per Gesetz und Rechtsprechung festgeschriebene unterschiedliche Dauer der Unterhaltsansprüche von Müttern oder Vätern für die Betreuung ehelicher und nichtehelicher Kinder ist grundgesetzwidrig. Das entschied das Bundesverfassungsgericht, ließ aber dem Gesetzgeber bis Ende 2008 Zeit für eine Neuregelung.Selten hat ein Beschluss aus Karlsruhe den Politikbetrieb in Berlin so unmittelbar durcheinander gewirbelt wie der vom 28. Februar, der erst gestern bekannt gegeben wurde (1BVL 9/04). Am Freitag sollte im Bundestag eine Reform des Unterhaltsrechts verabschiedet werden, bei der nach langen Querelen konservative Unionspolitiker eine Privilegierung geschiedener Ehefrauen beim Unterhalt gegenüber unverheirateten Ex-Partnerinnen durchsetzten, wenn beide kleine Kinder betreuen. Im vom Bundeskabinett im April 2006 abgesegneten Gesetzentwurf hatte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) noch deren Gleichbehandlung festgeschrieben.
Nach Ansicht von Jörn Wunderlich, Familienpolitiker der Linksfraktion, schiebt der Karlsruher Beschluss den Reformplänen der Koalition einen Riegel vor. Zunächst wurde deren gestern geplante abschließende Beratung im Bundestags-Rechtsausschuss abgesetzt. Ministerin Zypries plädierte dafür, zum ursprünglichen Entwurf zurückzukehren, während Norbert Röttgen (CDU) behauptete, Karlsruhe habe »eindrücklich« die Unions-Position bestätigt. So darf man gespannt sein, ob die Koalitionäre den alten Konflikt bis zur heute Mittag geplanten Ausschuss-Sondersitzung lösen oder hinter Kompromissfloskeln verstecken.
Dabei ist der Beschluss eindeutig und klar. Er orientiert sich allein an Artikel 6, Absatz 5 Grundgesetz: »Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.« Diese Norm verbiete es, mit zweierlei Maß zu messen und bei ehelichen Kindern eine erheblich längere persönliche Betreuung für angezeigt zu halten als bei nichtehelichen Kindern. Dennoch sieht das Bürgerliche Gesetzbuch in § 1570 einen unbefristeten, von den Gerichten meist auf acht Jahre fixierten Unterhaltsanspruch wegen Betreuung eines Kindes für geschiedene Ehepartner vor, während er in § 1615 l für unverheiratete Mütter und Väter auf drei Jahre beschränkt wird.
Dass dies verfassungswidrig ist, begründen die Richter so: »Der Betreuungsunterhalt wird aus Gründen des Kindeswohls gewährt.« Er ermöglicht dem Elternteil, sich persönlich dem Kind zuwenden zu können, soweit das Kind der Pflege oder Erziehung bedarf und deshalb vom Betreuenden nicht erwartet werden kann, dass er einer Erwerbstätigkeit nachgeht«, heißt es in dem Beschluss. Dies ende in der Regel mit dem 3. Geburtstag des Kindes, ab dem ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz besteht. Karlsruhe plädiert also eher für Entprivilegierung von Ex-Ehepartnern, denn für längere Unterhaltsansprüche unverheirateter Mütter oder Väter, was vor über fünf Jahren die Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrte. Die Richter stellen freilich en passant dem Gesetzgeber frei, Geschiedene aus anderen Gründen besser zu stellen, was Herr Röttgen wohl - absichtlich? - missverstanden hat.
Unbegreiflich ist an dem Beschluss nur, dass Karlsruhe entschied, die Gerichte sollten bis zur Neuregelung Unterhaltsklagen nach verfassungswidrigem Recht entscheiden. Der Nachteil, der Elternteilen und ihren nichtehelichen Kindern gegenüber ehelichen Kindern daraus weiter erwächst, sei »hinnehmbar«, da die auf drei Jahre befristete Dauer des Unterhaltsanspruchs nach § 1615 l BGB »für sich betrachtet dem Kindeswohl nicht zuwiderläuft«.
Von Claus Dümde
Neues Deutschland, 24. Mai 2007