Der Paradigmenwechsel in der staatlichen Überwachung äußert sich in markigen Ansagen, dass das Spannungsverhältnis zwischen sicherheitspolitischen Erfordernissen und datenschutzrechtlichen Vorgaben neu austariert werden müsse, und Sicherheitsbehörden mehr Vertrauen und Unterstützung auch aus der Gesellschaft erhalten sollen. Verordnetes Vertrauen war schon immer eine ganz schlechte Idee! Das Arsenal für den Überwachungsausbau ist umfangreich: Die Vorratsdatenspeicherung soll kommen. Dass eine sogar dreimonatige Speicherpflicht jegliches Maß der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit weit übersteigt, scheint den Koalitionären schlicht egal zu sein. Das Hacken digitaler Endgeräte mit Staatstrojanern (Quellen-TKÜ) soll nun auch der Bundespolizei erlaubt anstatt kritisch hinterfragt werden. Deshalb flog die Forderung nach einem schnellstmöglichen Melden von IT-Schwachstellen aus dem Papier wieder heraus. Hier gehen ausufernde Überwachung und eine Gefährdung der IT-Sicherheit Hand in Hand. Das gleiche Spiel beim wieder herausgestrichenen Schutz von Verschlüsselung. Und was ist ein Schutz privater Kommunikation noch wert, wenn davor das Wort "grundsätzlich" eingefügt wird? Die Türen für weitreichende Überwachungsvorhaben wie Chatkontrolle und Pläne der EU-Gruppe "Going Dark" stehen damit weit offen, das ist absolut verantwortungslos! Mit biometrischer Fernidentifizierung mittels KI, mehr Videoüberwachung, mehr Funkzellenabfragen und weitreichenden Datenzugriffen durch Sicherheits- aber auch Ausländerbehörden wird das monströse Überwachungspaket abgerundet. Was in dem Kontext die angekündigte Novellierung des Nachrichtendienstrechts bringen soll, möchte man sich gar nicht erst ausmalen.
Soziale Probleme mit Technik zu lösen, ist auch beim Jugendschutz das Mittel der Wahl für Schwarz-Rot: Mit verpflichtender Altersverifikation, die zum Standard auf allen digitalen Endgeräten und für digitale Angebote werden soll, ohne ein Wort über Datenschutz dabei zu verlieren, wird das Recht auf Anonymität im Internet auf die Probe gestellt. Aber der Angriff darauf kommt gleich von einer zweiten Flanke: Anstatt Ausweisprozesse im Internet auf ein nötiges Minimum zu reduzieren, solle sich um die künftige EU-Wallet (EUDI), die die Identität der Menschen per App auch mit der Privatwirtschaft verbinden soll, ein Ökosystem entwickeln. Hier geht es offensichtlich um Innovationen zum Selbstzweck, auf Kosten der Selbstbestimmung der Menschen.
Gesellschaftliche Teilhabe sollte der Dreh- und Angelpunkt guter Digitalpolitik sein. Der Begriff fällt bei digitalen Themen jedoch nur lapidar und beschränkt auf Kompetenzförderung, einen handlungsfähigen Staat und Schutz vor Desinformation. Zusammen mit dem knappen, floskelhaften Abschnitt zum Verbraucherschutz wird das Desinteresse der Koalitionäre an digitaler Teilhabe offensichtlich. Im Gegenteil, mit der Forderung nach einem "digital-only" wird die Teilhabe sogar hart geschleift. Angesichts über 4 Millionen Offliner*innen in Deutschland und etlichen schlechten Apps und Software, die keine IT-Sicherheit bieten oder datensammelwütig sind, ist das eine ganz schlechte Idee und unverantwortlich. Entsprechend hat Schwarz-Rot auch kein Wort der Kritik an Digital- und App-Zwang übrig. Bei der elektronischen Patientenakte, die noch immer voller Sicherheitslücken und Datenlöcher ist, lässt der Koalitionsvertrag gar offen, ob ihre Nutzung künftig sogar verpflichtend für alle Patient*innen werden solle. Teilhabe scheitert in Deutschland immer noch an schlecht ausgebauten und teuren Netzen. Anstatt den marktgetriebenen Ausbau endlich zu hinterfragen und gemeinsam nutzbare Netze in öffentlicher Hand zu organisieren, soll einfach so weitergemacht werden wie bisher. Mehr noch, bisherige Ziele wie der flächendeckende Gigabit-Netzausbau bis 2030 werden einfach fallengelassen. Das ist unverantwortlich, auch weil darunter insbesondere jene ländlichen Regionen leiden, die schon jetzt bei der Teilhabe viel zu oft übersehen werden. Stattdessen definieren die Koalitionäre Meer und Weltraum als den "digitalen Chancenraum" - eine höchst sonderbare Prioritätensetzung! Hier scheint ein geopolitisch-militärisches Verständnis von Teilhabe an der Digitalität durch, ebenso bei der Vergabe der UHF-Frequenzen an "berechtigte Interessen" - auf Kosten der Kulturbranche. Für die digitale Aufrüstung, die die Einführung von KI, unbemannten angriffsfähigen Systemen, Elektronischen Kampf, Cyber, Software Defined Defense und Cloud-Anwendungen einschließen soll, werden ethische, soziale und ökologische Aspekte nicht einmal als grobe Rahmenbedingungen beschrieben. Der Bereich ist völlig unreguliert und wird es wohl auch bleiben.
Mit dem Koalitionsvertrag wird eine "Kultur der Datennutzung und des Datenteilens" eingeläutet. Das von uns geforderte Prinzip "Offene Daten nützen, private Daten schützen" ist jedoch nicht erkennbar, es wird sogar ins Gegenteil verkehrt: Das Bundestransparenzgesetz hatte schon die Ampel-Regierung verschleppt, obwohl es damals im Koa-Vertrag stand. Nun fehlt es im Vertrag gänzlich, es bleiben wolkige Aussagen zum Thema Open Data. Den Game Changer der Datenpolitik sieht man offensichtlich ganz woanders: Aus der bisherigen Datenschutzbehörde soll "im Interesse der Wirtschaft" eine Datennutzungsbehörde mit dem Anhängsel des Datenschutzes werden. Der Spaten wird ausgerechnet dort angesetzt, wo Daten Persönlichkeitsrechte berühren - ein weiteres Puzzle-Teil im Ausbau der Überwachung und sozialen Kontrolle. Dabei geht es auch um Konzerninteressen: Ob es das Daten teilen in der EU-Wallet ist, mehr Forschungsdatenzugang für Konzerne oder die geforderte Deregulierung zur Wirtschaftsförderung von KI, die sich nicht nur auf eine Abschwächung der KI-Verordnung, sondern auf europäische Digitalrechtsakte allgemein erstrecken soll.
Großer Raum wird dem Thema der Bekämpfung von Desinformation eingeräumt. Die Stoßrichtung ist jedoch irritierend. Anstatt die Medienkompetenz zum quellenbasierten Arbeiten und Einordnen von Informationen zu fokussieren und das Geschäftsmodell von Internetkonzernen bei sozialen Medien zu hinterfragen, das auf Maximierung der Verweildauer zur Generierung von Werbeeinnahmen ausgerichtet ist, werden Verschärfungen bestehender Regulierungen für mehr öffentliche Kontrolle über Informationen gefordert. Dabei liefern die Koalitionäre in ihrem Papier selbst den Beweis für die Irrigkeit dieses Ansatzes: Sie behaupten pauschal, dass die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Nun ist diese Aussage aber gar nicht wahr, sondern falsch! Denn es gibt hierzu keine eindeutige Beurteilung, wie unter anderem die wissenschaftlichen Dienste des Bundestags in einer Ausarbeitung zu Fake-News klargestellt haben. Weil die Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen zu Werturteilen schwierig ist, wird oft eine weitgezogene Auslegung der Meinungsfreiheit auch bezogen auf Desinformation für notwendig erachtet. Die im Koalitionsvertrag geforderte gesetzliche Grundlage zum Vorgehen gegen Desinformation ist daher ein riskantes Unterfangen. Sinnvoll hingegen ist die Forderung nach einem Verbot von Bot-Netzwerken, die Fake-News und Desinformation massenhaft verbreiten und eine generelle Kennzeichnungspflicht für Bot-Accounts. Die erwogene Haftung von Online-Plattformen für die Inhalte der Nutzenden ist hingegen abzulehnen, dies liefe auf eine Aushebelung des Haftungsprivilegs hinaus.
Wenig überrascht es, dass Schwarz-Rot für die ökologische Nachhaltigkeit der Digitalisierung nicht mehr als ein paar Floskeln zu bieten hat. Der Energieverbrauch der Rechenzentren des Bundes selbst ist geradezu explodiert, gleichzeitig sind wir weiterhin auch von fossilen Energieträgern abhängig. Das ist unverantwortlich! Kein Wort zu energieeffizienter Software, stattdessen findet sich ein Bollwerk der entgrenzten KI-Förderung, ohne deren Energiehunger auch nur zu erwähnen. Hier gilt offensichtlich das Motto "Nach uns die Sintflut". Dementsprechend fehlen wichtige Forderungen nach Kreislaufwirtschaft, Mindestupdatepflichten oder einem Reparaturbonus.
Es ist ein schwacher Trost, dass sich die Bundesregierung für mehr digitale Souveränität einsetzen möchte. Angesichts der bisher schwammigen Definition des Begriffs bleibt die Ernsthaftigkeit des scheinbaren Anliegens jedoch unklar, und die fundamentalen Umwälzungen durch die Trump-Administration hätten noch wesentlich klarere Zielsetzungen erfordert. Ein unmissverständliches Bekenntnis zu #unplugtrump sucht man vergebens. Zumindest die gezielte Förderung von Open-Source und des ZenDiS mit einer Ausrichtung des IT-Budgets darauf kann als positive Botschaft gesehen werden, die wir als Linke vehement mit zahlreichen parlamentarischen Initiativen eingefordert hatten. Hier könnten echte Alternativen zum derzeitigen Würgegriff fragwürdiger Tech-Konzerne entstehen. Ein zweiter Lichtblick ist das angekündigte digitale Gewaltschutzgesetz und mehr Schutz insbesondere von Frauen. Wenigstens dort ist eine SPD-Handschrift erkennbar. Die Linksfraktion wird weiter Druck machen, dass auf solche Worte auch Taten folgen. Ob das geplante Digitalministerium wirklich ein Gewinn ist, oder aber Digitales zum isolierten Sparflammen-Aspekt degradiert, wird sich zeigen. Wir machen uns keine Illusionen: Wir stehen insgesamt vor einem Rechtsruck in der Digitalpolitik. Wir werden ihn mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln und gemeinsam mit außerparlamentarischen Kräften bekämpfen und Wege zu einer sozial gerechten Digitalität auf Basis von Gemeinwohl und Menschenrechten aufzeigen."
Kontakt: Donata Vogtschmidt donata.vogtschmidt@bundestag.de
Hinweis:
Die Linksfraktion hat die Sprecher*innen-Ämter noch nicht vergeben, daher bin ich aktuell auch *nicht* die digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Ich bitte das bei der Berichterstattung entsprechen zu beachten, vielen Dank.