taz: Die PDS hat Lafontaine und ein paar tausend WASG-Mitglieder eingekauft. Warum wollen Sie Ihre Partei mit einer neuen Westdebatte quälen?
Jan Korte: Es ist ja unbestritten, dass uns mit der Bundestagswahl ein wichtiger Schritt hin zu einer Verankerung der Linken in Westdeutschland gelungen ist, nicht zuletzt dank Lafontaine. Aber eine Garantie, Ergebnisse um die 5 Prozent zu halten, bedeutet dieser Erfolg nicht. Die Linke hat den Durchbruch im Westen strukturell noch nicht geschafft. Darauf hinzuweisen ist keine Quälerei.
PDS und WASG sind in die Lücke gestoßen, die die SPD hinterlassen hat. Das reicht Ihnen nicht?
Nein. Die Formierung der Linkspartei als klassische Vertreterin der Arbeitnehmerinteressen ist ja nur unser kleinster gemeinsamer Nenner. Natürlich müssen und werden wir die Lücke füllen, die die SPD im gewerkschaftlichen Milieu hinterlassen hat. Aber das darf nicht alles sein. Gerade im Westen muss es uns gelingen, in linksliberale, grüne, postmaterialistische Milieus einzudringen.
Den Traum träumt Gysi schon seit über 15 Jahren. Immer wieder ist er damit gescheitert. Warum sollte es ausgerechnet jetzt gelingen?
Die PDS im Westen war zu viel mit sich selbst beschäftigt. Wir hatten für viele Wähler einfach keinen Gebrauchswert. Wir haben es nicht vermocht, uns als eine neue linke Partei zu entwickeln, die konkrete politische Angebote für den Alltag der Menschen macht. Von uns ging keine intellektuelle Anziehungskraft aus. Natürlich hatten wir auch mit objektiven Schwierigkeiten zu kämpfen, etwa einem in Westdeutschland tiefverwurzelten Antikommunismus. Der ist mit Hilfe der WASG bei der Bundestagswahl erstmals durchbrochen worden. Darin liegt unsere große Chance.
Und wie bitte soll das gehen, einfach mal so neue Wählerschichten zu erschließen?
Wir müssen die Grünen und ihr Wählerspektrum angreifen. Inhaltlich und kulturell.
Ausgerechnet aus der konservativen, etwas steif daherkommenden Linkspartei soll ein hipper Verein mit Öko und Bürgerlichkeit werden?
Ich frage mal zurück: Warum werden die Grünen immer noch mit Werten wie Weltoffenheit, Multikulti, Frieden und Solidarität verbunden, wo sie doch in ihrer Realpolitik kaum noch dafür stehen? Warum gewinnt Ströbele den Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin und nicht ein Kandidat von uns? Warum fahren die Grünen in Hannover-Linden, wo ich herkomme, immer noch 30 Prozent ein?
Gute Fragen. Haben Sie denn eine Antwort darauf?
Die Grünen beherrschen das Spiel mit verteilten Rollen. Während sie in Baden-Württemberg als konservativer Klub christlicher Schöpfungsbewahrer erfolgreich sind, konzentrieren sie sich in Nordrhein-Westfalen ganz auf ihre linke Ökoklientel. Und die Grünen sind in den höher gebildeten, großstädtischen Schichten tief verankert. Das muss man neidlos anerkennen. In Hannover haben sie es geschafft, aus einem alten besetzten Kulturzentrum einen stadtbekannten Pavillon zu machen. Dort dominiert die grüne Szene, sie lebt einfach das, was sie symbolisiert.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Die Linkspartei kann, gerade weil es politische Überschneidungen mit den Grünen gibt, in diese großstädtischen Milieus einbrechen. Nicht nur die Opfer von Hartz IV müssen der Adressat unserer Politik sein, sondern auch die gebildeten Wähler in den grünen Hochburgen, die größtenteils noch in gesicherten sozialen Verhältnissen leben. Dass manche von ihnen bereits von Prekarisierung und sozialem Abstieg betroffen sind, erleichtert uns den Zugang. Diese Neuorientierung verlangt von der Linkspartei jedoch eine inhaltliche Profilierung und eine kulturelle Öffnung.
Was heißt das konkret?
Die Linke muss die Partei sein, die für die soziale Gerechtigkeit genauso kämpft wie für die Verteidigung bürgerlicher Freiheitsrechte. Radikale Demokratisierung der Gesellschaft, offene Migrationspolitik, Datenschutz, wirksame Kontrolle der Geheimdienste - das müssen unsere innenpolitischen Themen sein. Das hat dann aber auch Konsequenzen. Wir sind als linke Partei nicht glaubwürdig, wenn wir auf Demos laut gegen Bush demonstrieren, aber über das iranische Mullah-Regime, das gegen alle Werte einer freien Gesellschaft steht, kein kritisches Wort verlieren.
Aber wie will ausgerechnet die Linkspartei, die im Osten autoritär und im Westen gewerkschaftlich geprägt ist, diese großstädtischen Milieus für sich gewinnen, wenn die Grünen dort tief verankert sind?
Da muss zu der inhaltlichen noch eine kulturelle Komponente hinzukommen. Die Kultur des DGB beherrschen wir ganz gut. Was wir für unsere Arbeit mehr brauchen, sind Elemente der Popkultur und der Subkultur. Ein bisschen mehr Spontitum könnte uns durchaus nicht schaden.
Linkspartei und Subkultur? Wenn Julia Bonk, eine junge Genossin aus Sachsen, die Freigabe von Haschisch fordert, heult doch die halbe Partei auf.
Wir haben uns verbessert. Heute heult nur noch ein Viertel der Partei auf.
Das macht die Sache nicht viel besser.
Ich will gar nicht bestreiten, dass wir in unserer Partei heftige kulturelle Differenzen haben. Die müssen wir einfach aushalten. Vor Ort im Westen können wir sowieso nicht vordergründig mit Showaktionen auf uns aufmerksam machen. Was wir brauchen, ist systematische Arbeit, vor allem unter jungen Leuten, besonders in den Hochschulen. Was wir brauchen, sind spannende, offene politische Debatten. Daran dürfen sich nicht immer nur die üblichen Verdächtigen unserer Partei beteiligen. Wir müssen Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle einbeziehen, die von Rot-Grün enttäuscht sind, die unser Projekt mit Interesse verfolgen, ohne uns deshalb gleich zu wählen. Wir müssen das, was wir politisch wollen, kulturell vor Ort leben.
Auf der einen Seite greifen Sie die SPD an, auf der anderen die Grünen. Sieht ganz so aus, als würde sich Ihre Partei übernehmen.
Das wird ein schwieriger Weg, aber wir müssen ihn gehen. Nur durch die Fusion von PDS und WASG ist der Erfolg nicht garantiert. Die Linke muss eine Klammer sein zwischen Ost und West, zwischen Jung und Alt, zwischen Arm und Reich. Dabei dürfen wir die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitslosen nicht gegen die Interessen der Studenten oder Lehrer ausspielen. Wir müssen vielmehr Schnittmengen und verbindende Elemente suchen. Diesbezüglich können wir von den Skandinaviern lernen. Die Sozialistische Volkspartei in Dänemark hat es verstanden, Ökologie und Soziales miteinander zu verbinden, ein rotes und ein grünes Band zu knüpfen. Nicht zuletzt deswegen hatten die Grünen in Dänemark kaum eine realistische Entwicklungschance. Der Linkspartei fehlt, mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern, ein ernst zu nehmendes Programm für Verbraucherschutz, Nachhaltigkeit und Umweltschutz.
Bis wann soll Ihr Projekt von Erfolg gekrönt sein?
Die Landtagswahlen in Bremen im Frühjahr 2007 sind für uns extrem wichtig. Dort muss es uns endlich zum ersten Mal gelingen, in einem westlichen Bundesland 5 Prozent der Stimmen zu gewinnen.
Interview: Jens König
die tageszeitung, 11. September 2006
"Die Grünen angreifen"
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Im Wortlaut
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Jan Korte,