Westerwelle vs. Gysi
Politisch leben sie auf unterschiedlichen Planeten, persönlich kommen sie problemlos miteinander aus. Die Stimmung ist gelöst, als Guido Westerwelle und Gregor Gysi das Berliner FR-Büro betreten. Man plaudert, man scherzt, man erzählt sich Anekdoten aus der Ära Kohl.
Wieso auch nicht, sagt Gysi später: Wenn er mit Westerwelle rede, komme niemand auf die Idee, da bereiteten zwei eine Koalition vor - das sei dann doch unvorstellbar. Eine Behauptung, der Westerwelle nicht widerspricht.Mit den Grünen geht es da beiden Parteien anders. An denen lassen der 44-jährige Liberale und der 58-jährige Linke kein gutes Haar. Gleiches gilt für die große Koalition: "Viel zu ähnlich" seien sich SPD und CDU geworden, sagt Gysi, der neben Oskar Lafontaine die Linksfraktion im Bundestag führt.
Ökonomisch treibe es die Merkel- Regierung noch schlimmer als Rot-Grün, meint Westerwelle, der seit Mai Fraktionschef ist. Was daraus folgt, darüber gehen die Meinungen im FR-Gespräch dann aber doch auseinander. ind
Frankfurter Rundschau: Herr Gysi, was halten Sie vom Oppositionsführer Guido Westerwelle?
Gregor Gysi: Er hat seine Partei deutlich vorangebracht. Meine Freude darüber hält sich in Grenzen. Eines aber macht er wirklich richtig: Er paart den Wirtschaftsliberalismus wieder mit dem politischen Liberalismus. Wenn es um die Freiheitsrechte der Bürger geht, gibt es sogar gelegentlich Übereinstimmung zwischen uns.
Sie erkennen die Führungsrolle der größten Oppositionspartei an?
Gysi: Auf das Spielchen lasse ich mich nicht ein. Ich finde das albern. Er hat seine Klientel, wir haben unsere, die schaut auf Oskar Lafontaine, mich und andere.
Was halten Sie von der linken Doppelspitze, Herr Westerwelle?
Guido Westerwelle: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine sind zwei der besten Redner des Bundestages. Man kann durchaus feststellen, dass man in unterschiedlichen politischen Welten lebt und trotzdem einen respektvollen Umgang miteinander pflegen.
FDP und Linke sind in einem erstaunlichen Punkt einer Meinung: Sie lehnen den Libanon-Einsatz der Bundeswehr ab. Sieht so die neue Friedensbewegung aus?
Westerwelle: Das ist ein völlig falscher Begriff. Wir Liberale sind keine Fundamentalisten und auch keine Pazifisten. Unser Realismus in der Außenpolitik bedeutet: Einzelfallentscheidungen. Einsätze im deutschen Interesse tragen wir mit. Ich komme aber mit sehr wohl erwogenen rechtlichen, praktischen und historischen Erwägungen zur Ablehnung eines bewaffneten deutschen Einsatzes im Nahen Osten.
Gysi: Ich glaube, Guido Westerwelle und ich teilen eine Sorge: Dass der Wunsch nach Normalität schief geht. Wie wenig unsere Rolle "normal" ist, sehen Sie schon daran, dass die Regierung die deutschen Soldaten dort einsetzen will, wo sie nicht besonders auffallen. Das funktioniert nicht. Man kann sich aus seiner Geschichte nicht lösen.
Kommen FDP und PDS besser miteinander klar als mit den Grünen?
Westerwelle: Die Grünen wissen derzeit nicht, was sie wollen, wohin sie wollen - und auch nicht, wer sie führen soll. Ich kann an ihnen nur schwer ertragen, dass dort viele mit ihren Lebensentwürfen den Anspruch der Verallgemeinerung erheben - bis hin zur Bevormundung. Ich lebe mein Leben. Aber ich komme nicht auf die Idee, das als Modell auszugeben.
Gysi: Da hat er Recht. Wenn Joschka Fischer gegen einen Krieg war, war der Andersdenkende ein Kriegstreiber. War er für einen, ist der Gegner der letzte Trottel, der nichts von Menschenrechten versteht. Immer absolut. Nirgends ein Fragezeichen.
Bleibt überhaupt Profilierungsplatz für die Opposition in einer Zeit, in der sich die große Koalition selbst demontiert?
Westerwelle: Wir haben seit der Wahl über 5000 neue Mitglieder aufgenommen und stehen in den Umfragen zwischen 12 und 15 Prozent. Wir bekommen nicht täglich den Aufmacher in der Frankfurter Rundschau. Aber über einen Mangel an Gehör können wir uns wirklich nicht beklagen.
Gysi: Es geht nicht darum, ob die große Koalition mehr oder weniger fit ist. Es geht darum, was aus den Volksparteien insgesamt wird. Zum ersten Mal seit 1949 haben beide großen Parteien verloren. SPD und Union waren sich schon vorher viel zu ähnlich. Gegen Schröders Politik des Sozialabbaus konnte die Union kaum opponieren. Ich hatte die alten Bundesländer für meine Partei schon aufgegeben. Und jetzt erwächst vor dem Hintergrund dieser unsozialen Politik eine bundesweite neue Linke, die auch im Westen mehr als fünf Prozent hat.
Herr Westerwelle, macht Ihnen die große Koalition mehr Sorgen als Rot-Grün?
Westerwelle: Jedenfalls ist Schwarz-Rot bei den ökonomischen Fehlentscheidungen noch drastischer, als es Rot-Grün war. Die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik ist von Schwarz-Rot beschlossen worden ...
Gysi: ... und das durch Wahlbetrug!
Westerwelle: Wenn das von Rot-Grün beschlossen worden wäre, stünden Union und FDP längst an einer Seite auf den Barrikaden. Die Ergebnisse der so genannten großen Koalition sind nach neun Monaten präzise zu beschreiben: Die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik, dazu Abgabenerhöhungen, sprich: eben nicht niedrigere Lohnzusatzkosten zugunsten neuer Arbeitsplätze. Zudem eine Ausweitung der Bürokratie, Stichwort Antidiskriminierungsgesetz - was keiner einzigen Minderheit helfen wird - und auch noch eine Schuldenmacherei, wie wir sie bisher nicht kannten. Dass fast 6000 Unternehmen in den letzten Jahren von Deutschland nach Österreich gegangen sind, ist meines Erachtens ein Menetekel.
Gysi: Diese Steuererhöhung wird die Binnenkonjunktur abwürgen. Gewiss, wer eine bessere Bildung will, muss sie auch finanzieren können. Aber das muss aus Steuern kommen, die die Konjunktur nicht beeinträchtigen, etwa Erbschafts-, Vermögens- oder höhere Körperschaftssteuer und Spitzeneinkommensteuer. Im internationalen Vergleich komme ich zu ganz anderen Schlüssen als Sie, Herr Westerwelle. Frankreich etwa hat höhere Steuern und Abgaben als Deutschland. Wenn wir die hätten, hätten wir im Jahr 200 Milliarden Euro Mehreinnahmen.
Westerwelle: Frankreich hat eine katastrophale Jugendarbeitslosigkeit - und brennende Vorstädte.
Gysi: Das hat doch mit dem Steuersystem nichts zu tun. Wenn wir nur den EU-Durchschnitt an Steuern und Abgaben hätten, hätten wir immerhin 130 Milliarden Euro mehr. Noch etwas: Ich darf daran erinnern, die USA haben eine Körperschaftsteuer von 35 Prozent, Großbritannien 33 Prozent, Frankreich 30 Prozent, wir haben 25 Prozent ...
Westerwelle: Ist das ein Plädoyer, das amerikanische oder britische Steuermodell nach Deutschland zu holen? Darüber können wir gern reden.
Gysi: Nein, aber es kommt noch ein Beispiel. Es ärgert mich, dass es so viele Reiche gibt, die im Ausland leben, und hier keine Steuern zahlen. In den USA müssen auch die US-Bürger, die in einem anderen Land leben und dort Steuern bezahlen, eine Einkommensteuererklärung abgeben. Wenn sich herausstellt, dass sie in den USA mehr bezahlen müssten, müssen sie die Differenz überweisen. Ich freue mich jetzt schon auf die Gegenargumente der FDP, wenn wir dasselbe im Bundestag beantragen.
Westerwelle: Da will ich Ihnen die Vorfreude nicht nehmen.
Gysi: Ich weiß, da komme wir nicht zueinander. Genauso wenig wie in der Frage Sozialabbau, Deregulierung und Privatisierung von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsfürsorge. Wir sind dagegen, die FDP dafür, haben also unterschiedliche Auffassungen.
Westerwelle: Aber nicht mit allen in der PDS. Was mir eine Riesenfreude gemacht hat, ist, dass Dresden jetzt schuldenfrei ist durch den Verkauf der städtischen Wohnungen, dem auch Teile der PDS zugestimmt haben.
Gysi: Ein Teil der Stadträte - sehr zu meinem Ärger.
Westerwelle: Mich hat es darin bestärkt, dass man den Glauben an das Gute im Menschen nie aufgeben sollte.
Wäre es für Sie, Herr Gysi, nicht viel angenehmer, wenn Ihre Partei künftig in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wieder richtige linke Opposition machen könnte?
Gysi: Also, die Linke kommt ja immer erst dann in Regierungsverantwortung, wenn eine Stadt oder ein Land besonders arm sind. Wenn eine Stadt reich ist, wählen die Leute eher konservativ, weil sie denken, wir verstehen nichts von Geld. Scherz beiseite: Wir sind doch in einer tiefen Krise Berlins gewählt worden. Das war eine Krise der großen Koalition. Rot-Rot hat auch mit unangenehmen Kompromissen der Stadt wieder Luft zum Atmen verschafft, aber die Situation ist immer noch schwierig. Jetzt haben wir immerhin einen Rohbau, ein Gerüst ist da. Daran sollte man weiter bauen.
Wir unterstellen mal keck, dass Sie, Herr Westerwelle, das anders sehen. Ist Jamaika die Lösung für Berlin?
Westerwelle: Wir können die Lage dort gern einmal vergleichen mit den Ländern, die von der FDP mitregiert werden: Ich sehe in Niedersachsen, dass man Bürokratie wirklich abbauen kann. Ich sehe in Nordrhein-Westfalen, dass man wirklich Subventionen abbauen kann. Ich sehe in Baden-Württemberg, dass man wirklich Jugendarbeitslosigkeit durch kluge Bildungspolitik reduzieren kann. Ich glaube, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hätten sehr viel bessere Chancen, würden sie mit mehr wirtschaftlicher Vernunft regiert.
Gysi: Aber überlegen Sie doch mal, in was für einer katastrophalen Situation wir die Länder übernommen haben! Wieviel wirtschaftliche Vernunft dort jetzt regiert, zeigen die unbürokratischen Mikrodarlehen für Existenzgründer und die funktionierende Beschäftigung im Non-Profit-Bereich.
Westerwelle: Sie würden es trotzdem schaffen, auch ein so gesundes Bundesland wie Baden-Württemberg runterzuwirtschaften.
Interview: Thomas Kröter, Jörg Schindler
Frankfurter Rundschau, 24. August 2006