Seit Monaten kommen die Hiobsbotschaften Schlag auf Schlag. Zunächst waren es einzelne Banken mit gigantischen Verlusten, dann eine Weltfinanzkrise und mittlerweile eine Weltwirtschaftskrise. Was passiert hier? Wie ordnen Sie das ein? Eine tiefe, aber normale Krise, eine Systemkrise oder etwas dazwischen, eine Krise eines bestimmten Kapitalismusmodells?
Finanzkrisen gehören zum Kapitalismus wie das Wasser zum Meer, könnte man sagen. Aber das ist nicht ganz korrekt. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten hatten wir eine vergleichsweise stabile Wirtschafts- und Finanzordnung. Das damals wirksame Gerüst fester Wechselkurse und kontrollierten Kapitalverkehrs wurde allerdings Anfang der siebziger Jahre aufgegeben. Danach kam es immer wieder zu Finanzkrisen. Ich erinnere an die extremen Schwankungen des DollarKurses, an die große Schuldenkrise der Entwicklungsländer in den achtziger Jahren, an die Asien-krise 1997 und an den Börsencrash vor acht, neun Jahren.
Die Krise, die wir jetzt erleben, hat eine Dimension, die vieles bislang Bekannte
in den Schatten stellt. Wer sie verstehen will, sollte allerdings sehr genau hinschauen. Denn es gibt auch Leute in der Banken- und Börsenwelt, die im eigenen Interesse dramatisieren und den Staat über den Tisch ziehen wollen.
Und das gelingt ihnen, weil Merkel und Steinbrück Milliarden überweisen, ohne Gegenleistungen zu fordern. Keine Offenlegung der Bücher, keine Kontrolle, keine Mitsprache.
Man muss sich klar vor Augen führen, was das bedeutet. Die Bundesregierung scheint überfordert, sich authentische Kenntnisse über die Ursachen der Krise zu verschaffen. Deshalb kann sie auch nicht zielgerichtet handeln. So bleiben alle im Nebel stehen. Die einzelnen Banken können ja bestenfalls, wenn überhaupt, ihre eigene Lage einschätzen. Ein Grund für die Tiefe der Krise besteht darin, dass niemand den Nebel lichtet. Oder, um das Bild von Finanzminister Steinbrück aufzugreifen: Wer die Brandherde löschen will, muss genau wissen, wo sie sind.
Steinbrück glaubt sie zu kennen und pumpt reichlich Löschwasser in die Hypo Real Estate und die Commerzbank. Und als Rechtfertigung fügt er hinzu: Man muss löschen, auch wenn es Brandstiftung war.
Ich vermute, dass Minister Steinbrück die wirklichen Brandherde nicht alle kennt. Er verlässt sich auf die Aussagen der Banken, und die sind immer von Interessen gefärbt. Ermittlungen gegen die Brandstifter verschiebt er auf später. Er lässt sie gewähren, und die drehen den Spieß dann um, schieben die Schuld dem Staat zu. Wie zum Beispiel Klaus-Peter Müller, der Chef der Commerzbank. Die US-Zentralbank habe die Leitzinsen zu stark gesenkt und eine Welle von billigen Krediten geschaffen. Besonders verantwortungslos sei die US-Regierung gewesen. Brav wird zwischendurch auch mal zugestanden: Wir haben Fehler gemacht, sicher. Aber die Botschaft, die Herr Müller und seinesgleichen streuen wollen, lautet: Letztlich war es nicht Marktversagen, sondern Staatsversagen.
Darin steckt ein Körnchen Wahrheit, wenn man nicht von Staatsversagen, sondern von Politikversagen spricht. Genauer gesagt: von der Selbstentmachtung der Politik zugunsten der Geschäftswelt. Schröder hat das bis zum Exzess praktiziert, nach dem Motto: Euch, verehrte Bosse, erfülle ich jeden Wunsch, und ihr adelt mich zum großen Reformkanzler.
In der Tat ist das regierende Personal nicht die Lösung des Problems, sondern ein Teil der Krise. Schröder hat mit seiner Agenda 2010 die soziale Entsicherung vorangetrieben. Die Entregelung der Arbeitsverhältnisse und die Entregelung der Finanzwirtschaft waren zwei Seiten derselben Medaille. Ob das alles ganz bewusst geschehen ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall war es höchst fahrlässig. Rot-Grün hat sich treiben lassen von bürgerlichen Kampagnen gegen den Sozialstaat. So wurden gesellschaftliche Risiken individualisiert,
zugunsten der Banken und Versicherungen, die die private Vorsorge kapitalgedeckt organisieren. Schritt für Schritt wurden soziale Grundrechte in ein privates Tauschverhältnis verwandelt. Und so geht es dann weiter: Entsolidarisierung, Druck auf die Löhne, sodass sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet.
War Gerhard Schröder der schlechteste Kanzler der Nachkriegsgeschichte?
Bei solchen Superlativen bin ich vorsichtig. Ich würde eher sagen, Schröder und andere haben sich an die Wand drängen lassen durch die Lobbyisten. Es gab damals ja den Sprecher der Deutschen Bank, Herrn Breuer, der sagte: Die Finanzmärkte sind die fünfte Gewalt in der Demokratie. Womit er meinte, dass die Aktionäre, die Anleger bestimmen, wo’s langgeht. Oder zumindest die Regierung bedrängen, eine vernünftige Politik zu machen. Und vernünftig bedeutet für die Führungseliten der Wirtschaft: Löhne senken, Lohnnebenkosten senken, Steuern senken. Diese doktrinären Glaubenssätze haben über Jahrzehnte hinweg einen großen Teil der Politik, der Medien und der ökonomischen Wissenschaft erobert.
Schauen wir mal in die Zukunft und lassen den Blick schweifen. Sehen Sie am Horizont eine bessere Wirtschaftsordnung?
Ende 2008 habe ich gehofft, dass die Schockwellen zur Besinnung führen. Dass man eine neue Finanzarchitektur ernsthaft anpackt. Aber der zaghafte Ansatz von Reformbereitschaft ist fast schon wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden. Und die große soziale Frage ist bei der Bundesregierung noch gar nicht angekommen. Sie macht jetzt ein Konjunkturpaket mit
100 Euro pro Kind, mit Anreizen für den Autokauf, mit etwas mehr Geld für öffentliche Investitionen. So sinnvoll das eine oder andere sein mag - mit einem wirklichen Zukunftsprogramm hat das Paket wenig zu tun. Die sozialen Schieflagen im Land werden ebenso wenig beachtet wie die ökologische Frage.
Es ist ja auch schwer vorstellbar, dass die Wegbereiter des Irrsinns nun zu Gralshütern der Vernunft werden.
Das größte Paradox ist, dass der Staatssekretär des Bundesfinanzministers, der Herr Asmussen, nun als Held des Krisenmanagements gefeiert wird. Dieser selbe
Herr Asmussen hat vor zwei Jahren noch die Förderung der innovativen Finanzprodukte und eine lockere, großzügige Aufsicht verlangt. Solche Gestalten sollen die Retter sein. Das ist kabarettreif, das ist paradox und absurd.
Welche Hoffnung bleibt Ihnen angesichts solcher Absurditäten?
Die Gewissheit, dass eine Veränderung zum Besseren nie ausgeschlossen ist. Zum Beispiel die Bewegung von 2004 und 2005, die Montagsdemonstrationen. Noch nie ist eine soziale Bewegung so schnell in die Länderparlamente und in den Bundestag gekommen. Ich denke an das, was jetzt die linke Partei geworden ist. Ich denke an die Grünen in ihren früheren Zeiten oder, noch weiter zurück, an die Arbeiterbewegung oder die Frauenbewegung. Es gibt in solchen Krisenzeiten stets auch neue Leitbilder, konkrete Utopien. Manches braucht seine Zeit,
um zu reifen. Vielleicht geht es in diesem Jahr etwas schneller, weil wir mit den
vielen Wahlkämpfen in ein sehr politisches Jahr 2009 gehen.
Wahlkampf, das ist ein gutes Stichwort für eine Frage an den Jesuiten Friedhelm Hengsbach.
Welche Partei würde Jesus Christus am 27. September 2009 wählen?
Sie bringen mich in Verlegenheit.
Das dachte ich mir. Deshalb etwas weniger verfänglich: Welche Wahlprüfsteine würde Jesus nennen?
Erstens die Gerechtigkeit. Also die Frage: Wie geht eine Gesellschaft mit den am wenigsten Begünstigten um? Zweitens der Wirtschaftsprozess: Kann er bestehen vor den Augen unserer Kinder und künftiger Generationen? Drittens das Finanzsystem: Steht die Geldversorgung im Dienste menschlicher Bedürfnisse, befördert sie ein autonomes Leben in Freiheit und Solidarität?
Das Gespräch führte Hans Thie
Clara, erscheint am 23. Februar 2009
Die Brandstifter und ihre Biedermänner
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