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Die Bahn auf altem Gleis

Archiv Linksfraktion - Im Wortlaut von Jan Korte,

Die Deportation der Juden war öffentlich. Eine Ausstellung darüber soll indes nicht in der Öffentlichkeit stattfinden. Zumindest nicht, wenn es nach dem Willen von Bahnchef Hartmut Mehdorn geht. Der setzt sich seit zwei Jahren beharrlich gegen die von der französischen Journalistin Beate Klarsfeld initiierte Ausstellung »11 000 jüdische Kinder - Mit der Reichsbahn in den Tod« zur Wehr.

Gastkolumne von Jan Korte

Mehdorn will die Ausstellung in das Nürnberger Eisenbahnmuseum abschieben und so die Debatte um Verwicklungen der Reichsbahn in den Holocaust kleinhalten. Drei Jahre lang zogen die Fotos von 11 000 deportierten Kindern durch 18 französische Bahnhöfe. Die französische Staatsbahn SNCF stellte hierfür Gleisbereiche und Bahnhofshallen zur Verfügung.

Auch Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) versuchte, Mehdorn von seiner Weigerungshaltung abzubringen. Er bat mehrfach um Gespräche, ohne Erfolg - Mehdorn glänzte durch Abwesenheit. Tiefensee bestellte daraufhin den obersten Bahner in sein Amtsbüro ein. Dort kam es zum Eklat. Der Minister ließ seinen Gast nach einem Streit im eigenen Dienstzimmer zurück. Was wohl hat Mehdorn Tiefensee ins Gesicht gesagt, dass letzterer derart aus der Haut gefahren ist? Vielleicht wählte Mehdorn ähnlich drastische Worte wie jüngst in einem Gespräch mit der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, der ich stellvertretend vorstehe. Dort machte er deutlich, dass er nicht bereit sei, Personen wie Klarsfeld - diese hatte Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger 1968 wegen seiner NS-Vergangenheit geohrfeigt - ein Podium auf deutschen Bahnhöfen zu geben. Wenig später merkte er gegenüber der FAZ an, dass sich die Deutsche Bahn das Recht vorbehalte, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Vergangenheit umzugehen habe. »Inakzeptabel« nannten dies die Mitglieder des Vorstandes der Parlamentariergruppe über alle Parteigrenzen hinweg. Nun, Ende der vergangenen Woche, zeichnete sich ein Einlenken des Bahnvorstandes ab. Man wolle nun doch, so die Bahn, eine Ausstellung zur Deportation jüdischer Menschen auf deutschen Bahnhöfen zeigen. Die Deutungshoheit über das Wesen der Ausstellung aber will die Bahn in den eigenen Händen behalten.

Zwei Fragen stellen sich schließlich: Warum nutzt die Bahn nicht die Arbeit von Klarsfeld? Kritik daran kann Mehdorn inhaltlich kaum haben, denn wie Klarsfeld feststellt, hat er die Ausstellung bislang nicht gesehen. Die zweite Kernfrage betrifft die bisherige Weigerung der Bahn, eine solche Ausstellung öffentlich zu zeigen. Meiner Meinung nach geht es darum, deutlich zu machen, dass die Deportation von über 11 000 Kindern in die Vernichtungslager der NS-Mörder von öffentlichen Bahnhöfen aus stattgefunden hat. In einem Deutschland, in dem heute wieder Nazis in Parlamente gewählt werdenen, in dem Richter kaum nachkommen, Holocaust-Leugnungen und rechtsextreme Gewalttaten gegenüber Andersdenkenden zu verfolgen, darf es keinen Zweifel daran geben, dass an die Deportation von Millionen von Menschen im öffentlichen Raum erinnert werden muss. Deshalb ist es dringend geboten, eine solche Ausstellung auf deutschen Bahnhöfen zu zeigen. Das grauenhafte Geschehen an den Rampen und in den Wagons der Reichsbahn ging für die meisten Deutschen damals im Alltag unter. Lassen wir nicht zu, dass dies weiter verdrängt und vergessen werden kann.

Neues Deutschland, 9. Januar 2007