Zum Hauptinhalt springen

Deutschland ist Abhörweltmeister

Archiv Linksfraktion - Interview der Woche von Jan Korte,

Interview mit Jan Korte

Post von Behörden ist oftmals unangenehm. Aber warum sollen wir künftig besonders beunruhigt sein, wenn eine E-Mail vom Amt kommt?

Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, den sogenannten Bundestrojaner per E-Mail zu verschicken, um damit eine Online-Durchsuchung durchzuführen. Eine E-Mail vom Jugendamt muss künftig also nicht zwangsläufig vom Jugendamt kommen. Der Absender kann auch das BKA sein, das seine Schnüffelsoftware unterbringen will.

Sie haben dieses Vorgehen scharf kritisiert ...

Ja, das BKA ist eine Behörde, von der ich als Bürger erwarte, dass sie das Verbrechen bekämpft und sich innerhalb von Recht und Gesetz bewegt. Mit dem Trojaner per E-Mail macht das BKA aber nichts anderes als ein Betrüger, der Ihnen eine Phishing-Mail schickt, in der er sich als Bank ausgibt und so an Ihre Geheimzahl kommen will. Innenminister Schäuble hat jedes Maß verloren, wenn es um den sogenannten Kampf gegen den Terrorismus geht.

Die Gefahr des Terrorismus ist doch unbestritten. Ist es da nicht die wichtigste Aufgabe eines Innenministers, alles für die Sicherheit zu tun?

Auch ich will den Terrorismus bekämpfen. Aber man muss sich doch immer die Frage stellen, ob eine Maßnahme selbst auf dem Boden der Rechtsstaatlichkeit steht. Der Terrorismus richtet sich gegen Freiheit und Demokratie. Den Terrorismus selbst durch den Abbau von Freiheit und Demokratie zu bekämpfen, pervertiert jede womöglich vorhandene gute Absicht. Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Der Innenminister sieht das offenbar anders und tastet die Grundfesten der Demokratie an. DIE LINKE setzt sich für einen anderen Kurs in der Sicherheitspolitik ein, der auf Abrüstung auch und gerade im Inneren setzt und demokratische Kräfte stärkt.

Bislang geht es doch nur darum, die Computerdateien weniger Verdächtiger zu überprüfen?

Das stimmt nicht. Schäuble plant, das BKA zu einer regelrechten Super-Geheimpolizei nach dem Vorbild des FBI auszubauen. Die Behörde soll 25 neue Befugnisse erhalten. Die Online-Durchsuchung ist nur eine davon. Der große Lauschangriff, den das Bundesverfassungsgericht einst kassierte, eine andere. In dem Gesetzentwurf ist von Peilsendern, Wanzen, verdeckten Ermittlern, Observierungen, Belauschung die Rede. Eine solche Geheimpolizei verträgt sich nicht mit einer offenen Demokratie.

Die Behörden können doch kein Interesse daran haben, 80 Millionen Bundesbürger permanent zu überwachen.

Das ist auch gar nicht der Punkt. Die zahlreichen Überwachungsgesetze, die in den letzten Jahren beschlossen wurden, bergen allesamt das Risiko in sich, dass Unschuldige ins Visier der Fahnder geraten. Auch das BKA-Gesetz sieht vor, dass Kontakt- und Begleitpersonen überwacht werden dürfen. Wer also seinen Nachbarn mal das Telefon benutzen lässt, gerät sehr schnell in Verdacht, Kontaktperson eines Terroristen zu sein, woraufhin dann die Terrorfahnder alle Register ziehen. Ein anderes Beispiel: Die Vorratsdatenspeicherung erfasst jeden, der ein Telefon benutzt oder eine E-Mail schreibt. Alle Verbindungsdaten einschließlich der Standortdaten von Handys werden gespeichert und können bei Bedarf von den Behörden verwendet werden. Damit werden alle Bürger behandelt, als seien sie Verbrecher. Mit dem E-Pass verhält es sich genauso. Wer einen Pass beantragt, wird künftig erkennungsdienstlich behandelt, muss seine Fingerabdrücke abgeben. Die Polizei hat auf die Register Zugriff. Dieser ständige Überwachungsdruck führt dazu, dass Menschen ihr Verhalten ändern, dass sie sich ausschließlich normkonform verhalten und womöglich nicht bereit mehr sind, beispielsweise gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Skandale aufzudecken.

Selbst bei der Vorratsdatenspeicherung gilt aber das Prinzip, dass nichts zu befürchten hat, wer sich nichts zu Schulden kommen lässt. Warum dann die Aufregung?

Wolfgang Schäuble hat selbst erklärt, dass bei der Gefahrenprävention, um die es hier geht, die Unschuldsvermutung nicht gilt. Anders ausgedrückt: Jeder ist potenziell verdächtig und muss sich nach dieser Logik polizeiliche Eingriffe gefallen lassen. Wenn ich die Gesetze, die allein die Große Koalition aus Union und SPD beschlossen hat oder plant, Revue passieren lasse, wird mir Angst und Bange, weil sich niemand dem Zugriff der Sicherheitsbehörden entziehen kann. Mit den Mautdaten wird erfasst, wohin wir fahren. Der öffentliche Raum, vor allem Bahnhöfe und Flughäfen, werden exzessiv videoüberwacht, Telefondaten werden gespeichert. Die Bürger werden gerastert, Wohnungen überwacht, Computer online durchsucht. Schon heute ist Deutschland Weltmeister bei Telefonüberwachungen. Das ist eine Zeitenwende, weil Schäuble den Staat zu einem präventiven Überwachungsstaat ausbaut, in dem jeder verdächtig ist. Grundrechte und Prinzipien gehen dabei über Bord. Ich bin der Meinung, dass wir kein deutsches FBI brauchen.

Welche dieser Grundprinzipien sehen Sie denn als besonders gefährdet an?

Ein Beispiel ist die Aufhebung der Trennung von Geheimdiensten und Polizei mit der Anti-Terror-Datei. Dieses Prinzip hat aus gutem Grund Verfassungsrang, weil es die Erfahrung mit der Gestapo gibt. Ein anderes Beispiel ist das Zeugnisverweigerungsrecht. Journalisten, Geistliche, Ärzte, Rechtsanwälte dürfen künftig bespitzelt werden, um Erkenntnisse über Verdächtige zu erhalten. Das zerstört das Vertrauen, das die Menschen zu ihrem Anwalt oder ihrem Arzt haben. Und es ist ein Angriff auf die Pressefreiheit, weil Journalisten nicht mehr für die Anonymität ihrer Quellen bürgen können.

Die Bundesregierung hat versprochen, dass die neuen Befugnisse sparsam angewandt werden sollen. Ein leeres Versprechen?

Ja. Bislang kann ich keinerlei Zurückhaltung seitens der Behörden feststellen, wenn es um die Bespitzelung der Bürger geht. Wie gesagt: Deutschland ist Abhörweltmeister. Tendenz steigend. Auch selbstauferlegte Restriktionen waren meist schnell Makulatur. Die Kontostammdatenauskunft sollte ein Instrument gegen Mafiosi sein. Heute werden damit Studenten gejagt, die zwanzig Euro zu viel BAFÖG kassieren. Die Mautdaten sollten nur der Abrechnung dienen. Heute will man Verbrecher damit fangen. Die Vorratsdatenspeicherung war gegen Terroristen geplant, schon vor ihrer Einführung werden Seitens der Union Forderungen laut, Teenager aufzuspüren, die Musik downloaden. Den Beteuerungen, dass Überwachung in Maßen stattfindet, kann ich nicht glauben, denn Union und SPD haben jegliches Vertrauen in dieser Angelegenheit verspielt.

linksfraktion.de, 4. September 2007