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Der Unmut geht auf die Straße

Archiv Linksfraktion - Im Wortlaut,

Bündnis aus Linken und Gewerkschaftern protestiert in Berlin und Stuttgart gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung

Von Regina Stötzel

Heute Mittag werden Tausende Linke, Linksradikale, sozial Bewegte und Gewerkschafter zu Demonstrationen in Berlin und Stuttgart erwartet. Sie alle vereint, dass sie nicht für die Rettung von Banken aufkommen wollen.

Als hätten es die Organisatoren geahnt. Nur wenige Tage vor den Demonstrationen, die heute in Berlin und Stuttgart stattfinden, entschied die Bundesregierung, auf wessen Kosten die Rettungs- und Konjunkturmaßnahmen für Banken und Industrie, die europäischen Hilfsleistungen für klamme Staaten und den Euro sowie die »Schuldenbremse« hierzulande gehen sollen. Die Ankündigung, das meiste Geld im Sozialbereich einsparen zu wollen, dürfte auch Menschen auf die Straße locken, die sich sonst einen gemütlichen Samstag gemacht hätten. »Es könnte durchaus zu einer Dynamik wie 2003 bei den Protesten gegen die Agenda 2010 kommen, wo sich unterwegs viele Menschen spontan der Demonstration anschlossen«, sagte Christina Kaindl vom Bündnis »Wir zahlen nicht für eure Krise« gestern dem ND. Zusammen mit dem Bündnis rufen u. a. die LINKE, ver.di und zahlreiche außerparlamentarische Gruppen und Organisationen zu den Protesten auf.

Das Motto »Wir zahlen nicht für eure Krise«, unter dem schon die Großdemonstrationen am 28. März 2009 in Berlin und Frankfurt mit insgesamt rund 55 000 Teilnehmern stattfanden, hat in diesen Tagen zwar keine gänzlich neue Bedeutung bekommen, aber doch eine neue Aktualität gewonnen. Zweifel mögen zwar erlaubt sein, ob es ein eindeutiges »Wir« und »Ihr« gibt, wie das Motto nahe legt. Schließlich dürfte es unter Linken weitgehend Konsens sein, dass Krisen ein regelmäßig wiederkehrendes Phänomen im Kapitalismus sind und der Kapitalismus doch eine recht umfassende Sache ist. Sicher ist aber, dass es um die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in Deutschland und vielen anderen Ländern derzeit so bestellt ist, dass sogar in den besseren Jahren von unten nach oben umverteilt wird. Und in der Krise erst recht.

»Die Reichen dieser Welt haben die Finanzkrise überstanden«, meldet die Nachrichtenagentur AFP nach einer Studie der Boston Consulting Group. Bargeld, Aktien, Wertpapiere und Fonds privater Anleger haben mit einem Gesamtwert von 111,2 Billionen Dollar das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Bekanntlich haben auch viele Unternehmen die Krise glänzend überstanden. Und während in Deutschland die Banken lediglich zu einer kleinen Zusatzversicherung verpflichtet werden sollen - vorgesehen sind zwei Milliarden pro Jahr ab 2012 - sollen bereits im nächsten Jahr im sozialen Bereich insgesamt drei Milliarden Euro eingespart werden. Bis etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr will man künftig explizit Geringverdienern, Jobsuchenden und Hartz-IV-Empfängern abpressen bzw. bei ihrer Vermittlung in Jobs durch »Effizienzverbesserung« einsparen - was auch nichts Gutes verheißt.

Allein mit der Abschaffung des Zuschusses für die Rentenversicherung der Empfänger von ALG II will der Bund beinahe soviel Geld jährlich eintreiben wie bei den Banken, nämlich 1,8 Milliarden Euro. Bis ins Detail scheint beschlossen zu sein, die Ärmeren zu schröpfen: Während mit der Begrenzung des Elterngeldes nach oben jährlich 0,2 Milliarden eingespart werden sollen, bringt die Streichung der Leistung für Hartz-IV-Empfänger 0,4 Milliarden ein.

Die Großdemonstrationen im März 2009 konnten das »Wachstumsbeschleunigungsgesetz« zugunsten von Hoteliers und anderen Unternehmern sowie die angekündigten Sparmaßnahmen nicht verhindern. Auch die heutigen Veranstaltungen können nur ein Anfang sein. »Die Demonstrationen in Berlin und Stuttgart sind eine erste Möglichkeit, den Unmut auf die Straße zu bringen«, sagt Kaindl.

So kämpfen heute in Berlin und Stuttgart die einen gegen »die neoliberale Politik, die in die Krise geführt hat« (Christina Kaindl), die anderen »für die soziale Revolution« (Aufruf zum Antikapitalistischen Block in Berlin). Für Kurzentschlossene: Die Demonstrationen beginnen in Berlin um 12 Uhr am Alexanderplatz, in Stuttgart um 10 Uhr am Hauptbahnhof.

Neues Deutschland, 12. Juni 2010