Hintergrundinformationen zur Debatte über die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I
Arbeitslosengeld I-Bezugsdauer nach geltendem RechtMit dem „Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt“ wurde im Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erheblich eingeschränkt. Beschlossen wurde diese Verkürzung bereits Ende 2003, gültig ist sie seit dem 1. Februar 2006. Seitdem wird das Arbeitslosengeld grundsätzlich nur noch 12 Monate gezahlt. Nur für über 55-Jährige wird eine Ausnahme gemacht: Sie können bis zu 18 Monate Arbeitslosengeld beziehen, bevor sie in das Fürsorgesystem Arbeitslosengeld II abrutschen. Allerdings nur, wenn sie vorher 36 Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Bis zu dieser Änderung galt für ältere Arbeitslose eine Höchstbezugsdauer von 32 Monaten.
Mit dem „Dritten Gesetz zu modernen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ wurde zugleich geändert, dass ArbeitnehmerInnen nun innerhalb der letzten zwei Jahre - statt wie vorher drei Jahre - versicherungspflichtige Zeiten (12 Monate) nachweisen müssen, um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu haben. Auch Ausnahmeregelungen beispielsweise für SaisonarbeiterInnen sowie Wehr- und Zivildienstleistende wurden gestrichen. Um den Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II „abzufedern“, wurde eine befristete Zulage eingeführt. Diese beträgt im ersten Jahr zwei Drittel und im zweiten Jahr ein Drittel der Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld I und dem Arbeitslosengeld II. Die Zulage ist allerdings nach oben mit 160 Euro im ersten und 80 Euro im zweiten Jahr beschränkt. Um die drastischen Konsequenzen der Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu erfassen, muss zudem die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf dem Niveau der früheren Sozialhilfe - demnach die faktische Abschaffung der Arbeitslosenhilfe - berücksichtigt werden. Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld fällt man sofort - mit unzureichender „Abfederung“ - ins Arbeitslosengeld II (nachdem man faktisch enteignet wurde!). Allerdings wurden bei der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) gewisse „Schutzbestimmungen“ der Arbeitslosenhilfe, z.B. dass es keine Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern gibt, beibehalten.
Als Ziele gab die damalige rot-grüne Bundesregierung die Erhöhung der Anreize zur Arbeitsaufnahme, die Senkung der Lohnnebenkosten sowie die Verhinderung der vorzeitigen Verrentung älterer ArbeitnehmerInnen an. Hinter dieser Argumentation steht die These der „sozialstaatsinduzierten Arbeitslosigkeit“.1) Neben der institutionellen Ausgestaltung des Arbeitsmarktes (Regulierung) werden aus dieser Perspektive vor allem Höhe, Dauer und Bedingungen sozialpolitischer Transferleistungen als die für die Entstehung und Verfestigung von Arbeitslosigkeit verantwortlichen Faktoren betrachtet. Eine solidarische Arbeitslosenversicherung führe zur Funktionsunfähigkeit des Arbeitsmarktes, weil es kein freies Spiel von Angebot und Nachfrage gebe. Wenn Arbeitslose zu lange Arbeitslosengeld beziehen, werde der Anreiz gemindert, eine Arbeit zu schlechteren Bedingungen anzunehmen und zu lange nach einer neuen Arbeitsstelle gesucht, wodurch sich die Arbeitslosigkeit erhöhe.
Diese Sichtweise vernachlässigt zum einen, dass es keine ausreichende Zahl an Arbeitsplätzen gibt. Nicht der angeblich mangelnde Wille der Arbeitslosen, sondern eine enorme Beschäftigungslücke von knapp 7 Mio. Arbeitsplätzen ist das Problem. Eine Anreizerhöhung ist völlig unnötig: Die Menschen sind schon jetzt bereit, zu nicht Existenz sichernden Löhnen zu arbeiten, wie die hohe Zahl der sog. AufstockerInnen zeigt. Offiziell sind dies 900.000 Personen und eine aktuelle Simulationsstudie2) belegt, dass weitere 1,9 Mio. Menschen Anspruch auf Leistungen hätten, sie aber nicht geltend machen. Allein dies führt jede Debatte über Anreizprobleme ad absurdum und legt das tatsächliche Ziel dieser Politik offen: die Erhöhung des Drucks auf Erwerbslose und Beschäftigte, um das Lohnniveau zu senken.
Des Weiteren werden mit dem beschriebenen Ansatz die Nachfragefunktion der Löhne und der Zusammenhang des Arbeitsmarktes mit den Gütermärkten - also die makroökonomische Perspektive - außer Acht gelassen. Die angestrebten niedrigen Löhne und die kurzen bzw. niedrigen Transferleistungen führen zu einer weiteren Schwächung der Binnennachfrage. Nicht durch größeren Anreiz oder Druck entstehen Arbeitsplätze, sondern durch mehr kaufkräftige Nachfrage, sozial und ökologisch sinnvolles Wachstum, Arbeitszeitverkürzung sowie öffentlich geförderte Beschäftigung.
Statt zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit führt die verkürzte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zur Enteignung von Menschen, die über viele Jahre hinweg in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben und nun nach zwölf Monaten ins Arbeitslosengeld II abstürzen. Vor Hartz hat man zudem nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes Arbeitslosenhilfe erhalten, die bedürftigkeitsgeprüft in Höhe von 53% (mit Kind 57%) des letzten Nettoentgelts gezahlt wurde. Daher führen die Hartz-Gesetze nicht nur bei langjährig Beschäftigten, sondern auch bei jungen oder unstetig Beschäftigten zu großer Verunsicherung und der Angst vor dem Verlust des Lebensstandards. Festgehalten werden muss hierbei, dass genau dies ein zentrales Ziel der Hartz-Gesetze war: der Druck auf Arbeitslose - und auf Beschäftigte - soll erhöht und die soziale Absicherung abgebaut werden, wodurch die angebliche Anreizproblematik gelöst werden soll. Das Motto lautet eben: Fordern und Fördern, wobei das Fordern oberste Priorität hat.
Aktuelle Debatte um die Verlängerung der Arbeitslosengeld-Bezugszeiten
Obwohl sie im Vermittlungsausschuss zu den Hartz-Gesetzen 2003 noch explizit für die nun gültige verkürzte Bezugsdauer eingetreten ist und die Hartz-Gesetze verschärft hat, propagiert die Union - angeführt durch Jürgen Rüttgers - nun eine Verlängerung der Bezugszeiten für ältere Beschäftigte. Sie tritt damit für eine Stärkung des Äquivalenzprinzips in der Arbeitslosenversicherung ein: Wer länger eingezahlt hat, soll auch länger Leistungen erhalten. Hier wird schon der erste Riss im sozialen Deckmäntelchen der Union deutlich. Da die geforderte Verlängerung der Bezugszeiten kostenneutral erfolgen soll, soll sie mit kürzeren Bezugszeiten für jüngere Arbeitslose, die noch nicht so lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, gegenfinanziert werden. Die Älteren sollen gegen die Jüngeren ausgespielt werden.
Konkret plädiert die CDU für eine Staffelung der Anspruchszeiten: bei weniger als 15 Beitragsjahren bleibt der Anspruch unverändert bei einem Jahr, ab 15 Jahren sollen es 15 Monate sein, ab 25 Jahren 18 Monate und ab 40 Beitragsjahren zwei Jahre. Zu den Kürzungen bei Jüngeren und Menschen mit unsteten Beschäftigungsverhältnissen schweigt sich die Union wohlweislich aus. Das soziale Antlitz soll nicht gleich wieder angekratzt werden. Denn mit der Forderung nach längeren Bezugszeiten wird die Forderung verbunden, die alten Regelungen der Sozialhilfe zur gegenseitigen Einstandspflicht von Eltern für ihre Kinder und umgekehrt wieder einzuführen. Dies bedeutet die Generalrevision von Hartz IV auf konservative Art: Es geht wieder mal um Verschlechterungen für die Betroffenen. Zukünftig sollen sie nicht nur in der Bedarfsgemeinschaft füreinander einstehen, sondern auch Eltern und Kinder sollen wieder gegenseitig unterhaltspflichtig werden. Es wird deutlich, dass es der CDU lediglich darum geht, Kosten zu sparen. Damit würde eine der wenigen Verbesserungen der Hartz-Gesetzgebung wieder rückgängig gemacht. Hier bricht die Logik aus der alten Sozialhilfe durch: es soll einen Paradigmenwechsel geben und mit der Hartz-Logik gebrochen werden. Die Fraktion DIE LINKE. lehnt eine solche weitere Verschlechterung ab.
Nun zur Position der SPD. Sie lehnt die Forderung der CDU nach längeren Bezugszeiten mit der Begründung ab, dass dies nicht zu mehr Beschäftigung führe. Sie verharrt in der Anreizlogik. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Klaus Brandner hat eine Art Kompromissvorschlag vorgelegt, wonach statt einer Verlängerung der Bezugsdauer die Zulagen beim Übergang vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II neu justiert und verlängert werden könnten.
Unsere Position zu den Arbeitslosengeld-Bezugszeiten
Die Fraktion DIE LINKE. unterstützt prinzipiell die Forderung nach einer Verlängerung der Bezugszeiten für das Arbeitslosengeld I, da auf diesem Wege die Lebensstandardsicherung und soziale Absicherung für Arbeitslose erhöht wird. Zudem wird durch längere Bezugszeiten die Suchphase auf dem Arbeitsmarkt materiell abgesichert, wodurch vermieden werden kann, dass aus einer Notlage heraus jeder Arbeitsplatz zu noch so schlechten Bedingungen angenommen werden muss.3 Diese Forderung haben wir bereits im Hartz IV-Rahmenantrag aufgestellt. Die Vorschläge der CDU gehen diesbezüglich allerdings nicht weit genug und wir lehnen entschieden ab, diese Verlängerung aufkommensneutral auf Kosten von Verkürzungen für weniger Beitragsjahre durchzuführen. Das Äquivalenzprinzip muss mit Elementen der Risikoversicherung verbunden werden, da viele Erwerbslose auf Grund ihres Alters und der Arbeitsmarktsituation keine Chance haben, viele Beitragsjahre anzusammeln.
DIE LINKE. fordert, dass für jedes Jahr Beitragszahlung ein Anspruch auf einen Monat Arbeitslosengeld I entsteht. Für Erwerbslose, die noch nicht ausreichend Beitragsjahre vorweisen können, soll eine Mindestabsicherung im Rahmen des Arbeitslosengeldes I eingeführt werden. Menschen unter 55 Jahren haben einen Mindestanspruch auf zwölf Monate Arbeitslosengeld I, Menschen über 55 Jahre auf 24 Monate und Menschen über 60 Jahre haben einen Anspruch auf 30 Monate. Einen solchen Mindestanspruch erwerben sie nach zwei Jahren Beitragszahlungen, für geringere Beitragszeiten gelten die Regelungen vor Hartz.4 Unabhängig davon ist auch der Vorschlag von Klaus Brandner zu verbesserten Übergangsregelungen vom Arbeitslosengeld I ins Arbeitslosengeld II zu begrüßen. Dieser Übergang muss tatsächlich sozialverträglicher gestaltet werden.
Die notwendigen Finanzierungsmittel für die von uns geforderte Verlängerung der Bezugsdauer belaufen sich nach Schätzungen des BMAS auf ca. 2,5 Mrd. Euro. Sie wären durch die Abschaffung des Aussteuerungsbetrags5) vorhanden. Diesen zahlt die BA für jeden Arbeitslosen, der vom Arbeitslosengeldbezug in das Arbeitslosengeld II übergeht, sozusagen als „Strafbetrag“ an den Bund. Dadurch werden Beitragsmittel der Bundesagentur für Arbeit sachentfremdet zur Sanierung des Bundeshaushalts genutzt.
von Manuela Wischmann, Referentin für Arbeitsmarktpolitik
1) Vgl. Bäcker, Gerhard/Neubauer, Jennifer 2003: Abbau der Arbeitslosigkeit durch Abbau der Arbeitslosenversicherung? In: Sozialer Fortschritt 9/2003.
2) Vgl. Becker, Irene 2006: Armut in Deutschland: Bevölkerungsgruppen unterhalb der Alg II-Grenze. Frankfurt a.Main.
3) Hierzu müssen allerdings auch die Zumutbarkeitsregelungen wieder im Sinne der Vermeidung unterwertiger Beschäftigung verändert werden.
4) Dies bedeutet für unter 55-Jährige: nach einer Beitragszahlung von 12 Monaten haben sie einen Anspruch auf 6 Monate ALG I, nach 16 Monaten auf 8 Monate und nach 20 Monaten auf 10 Monate.
5) Die hierfür veranschlagten Mittel belaufen sich aktuell auf 4 Mrd. Euro.