Rede von Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. zur Einweihung des neuen Fraktionssaals
Ich möchte Euch ein paar kleine Geschichten erzählen. Sie alle spielten Anfang der 90er Jahre und alle haben etwas mit Namen im öffentlichen Raum zu tun.In allen Berliner Bezirken (Ost) wurden nach der Wende Kommissionen eingesetzt, die sich mit den Straßen befassen sollten, die nach Politikern der DDR, nach Kommunisten des In- und Auslands oder nach historischen Ereignissen benannt waren. Ich war damals in der BVV Hellersdorf für die PDS in solch einer Kommission.
Und je nach Zusammensetzung der jeweiligen Gremien wurde mehr oder weniger eifrig umbenannt. Die Wilhelm-Pieck-Straße in Mitte heißt seither wieder Tor-Straße. Der Lenin-Platz in Friedrichshain wurde in Platz der Vereinten Nationen umbenannt, usw. Die kurioseste Umbenennung, die mir übermittelt wurde, fand übrigens nicht in Berlin, sondern in Lutherstadt Eisleben statt. Dort, im „roten Mansfeld“, war die SPD stärkste Partei geworden. Und so ließ sie flugs den „August-Bebel-Plan“ tilgen. Woran ihr wieder mal sehen könnt, wie sehr die SPD in 40 Jahren DDR entwurzelt wurde. Und zwar so radikal, dass sie - kaum befreit - ihren Gründungsvater gleich mit entsorgte.
Aber auch in Berlin hatten wir ein paar herausragende Streitigkeiten. Wobei man wissen muss: Rund um den Flughafen Tempelhof zum Beispiel gibt es noch immer etliche Straßennamen, mit denen Kriegshelden der Wehrmacht geehrt werden. Und die Spanische Allee im Westen Berlins heißt nicht so, weil Spanien so schön ist, sondern weil Hitlers „Legion Condor“ dort entlang auszog, um dem Faschisten Franco im Spanischen Bürgerkrieg (1936 - 1939) beizustehen und dabei den 2. Weltkrieg zu proben.
Aber es ging bei den Umbenennungen ja auch nicht um die Geschichte Deutschland, der Bundesrepublik oder West-Berlins. Es ging ausschließlich um Hinterlassenschaften der DDR. Und so entbrannte auch ein großer Streit um die Straße, die unmittelbar am Berliner Abgeordnetenhaus vorbeiführt. Die CDU wollte den Namen von Käthe Niederkirchner auf jeden Fall weg haben, denn sie war Kommunistin und Partisanin im großen Vaterländischen Krieg. Wir wollten das nicht, die Grünen auch nicht und da die SPD uneins war, blieb der Name erhalten. Fortan gab es im Landesparlament verschiedene Kopfbogen. Auf unseren stand ordnungsgemäß „Niederkirchnerstraße“, bei der CDU stand aus Protest: CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses von Berlin, Preußischer Landtag. Und das ist noch heute so.
Einen Namen, der damals aus dem Stadtbild verschwand, konnten wir übrigens mit Hilfe der Grünen und der SPD wieder zurückholen: Nikolai Bersarin. Er war 1945 der erste sowjetische Stadtkommandant für Berlin, für ganz Berlin. Unter seiner Leitung begann im zertrümmerten Berlin das Nachkriegsleben. Er kam bei einem Motorrad-Unfall ums Leben. In Berlin-Ost wurde er als Ehrenbürger geführt. Nach der Vereinigung sollte er dem Vergessen Preis gegeben werden. Aber inzwischen gibt es in Friedrichshain wieder einen „Bersarin-Platz“. Und dank Rot-Rot wurde er auch wieder in die Ehrenbürger-Liste Berlins aufgenommen. Wer mehr über Bersarin und diesen Straßenkampf wissen möchte, kann Gesine Lötzsch fragen. Sie hat sich intensiv damit beschäftigt.
Wie absurd und oberflächlich damals manche Debatten über Straßennamen oder Denkmale liefen, hatte die PDS einmal im Abgeordnetenhaus vorgeführt. Unsere Fraktion stellte damals zwei sich widersprechende Anträge. Der eine forderte, die Siegessäule im Tiergarten möge abgerissen werden, weil sie Krieg verherrlicht. Der andere fordert, sie müsse bleiben, weil sie zur deutschen Geschichte gehört. Richtig ist: Mit dem im Volksmund später „Gold-Else“ genannten Denkmal, wurde der militärische Sieg Deutschlands über Frankreich anno 1871 gefeiert. Sehr viele wissen das gar nicht. Und wir erinnern uns zudem: Zur deutschen Kriegsführung gegen Frankreich gehörte damals auch, dass Bismarck seinem Erzfeind zugleich half, die Pariser Kommune niederzuschlagen.
Zu den wenigen positiven Episoden im Streit um Straßennamen gehört übrigens der Platz vor dem Brandenburger Tor - Westseite. Seit den 1980er Jahren kämpfte eine Bürgerinitiative für eine Namensgebung. Später sogar mit Unterstützung der Bezirksbürgermeister von Mitte und Tiergarten, der Grünen, der PDS und weiterer Verbände - gegen den damals CDU-geführten Senat. Dazu muss man wissen: Straßennamen sind in Berlin Bezirkssache. Aber wie so oft: Wenn es um ein Politikum geht, dann reißt die Obrigkeit das Geschehen gern an sich. Aber die Hartnäckigkeit der Aktivisten zahlte sich aus und deshalb heißt das Areal seit einigen Jahren „Platz des 18. März“. Er erinnert an die europäischen Revolutionen von 1848. Und alljährlich findet an diesem Datum dort eine parteiübergreifende Kundgebung für Demokratie und Bürgerrechte statt. Ich lade Euch jetzt schon zur nächsten ein.
Nun meine letzte Geschichte. Wenn ihr aufmerksam durch die Dorotheen-Straße hier in Mitte geht, dann werdet ihr ein kleines Ladenschild bemerken: „Copy-Clara“. Es ist der einzige Hinweis darauf, dass die Dorotheen-Straße bis vor kurzem noch Clara-Zetkin-Straße hieß. Als aber klar wurde, dass der Bundestag nach Berlin kommt und in das Reichstagsgebäude einziehen wird, da griff das Bonner Bundeskanzleramt unter Helmut Kohl persönlich ein: Die Straße, die auf das Parlaments- und Regierungsviertel zuläuft, durfte auf keinen Fall nach einer Kommunistin benannt bleiben. Auch dann nicht, wenn sie - und das war Clara Zetkin - 13 Jahre Abgeordnete und schließlich Alterpräsidentin des letzten Reichstages vor Hitlers Machtergreifung war.
Wir haben damals natürlich gegen die Umbenennung protestiert: PDSler, linke Sozialdemokraten, Grüne, Frauenverbände, Bürgerinitiativen - erfolglos.
Nun versteht ihr sicher, warum ich mich besonders darüber freue, dass wir unseren Fraktions-Saal nach Clara Zetkin benennen, als bewusste Provokation gegen geschichtslose Schilderstürmer und als kleine Wiedergutmachung.