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»Christian Wulff ist als Bundespräsident nicht mehr unabhängig«

Archiv Linksfraktion - Nachricht von Gregor Gysi, Gesine Lötzsch, Ulrich Maurer,

Die Finanzkrise hält ganz Europa weiter fest im Würgegriff. Das Armutsrisiko in der Bundesrepublik ist erschreckend hoch im Vergleich zu anderen EU-Ländern. Eine Nazigruppe konnte scheinbar ungestört mehr als ein Jahrzehnt lang quer durch Deutschland morden. Doch die Schlagzeilen bestimmt weiter Bundespräsident Christian Wulff - mit seiner Kredit- und Medienaffäre, mit Urlauben bei schwerreichen Gönnern, mit gebrochenen Versprechen zu transparenter Aufklärung und nun auch noch mit der fragwürdigen Nutzung von Bonusmeilen. "Die Menschen haben eigentlich andere Sorgen, als sich mit diesem Schmierentheater zu beschäftigen", kritisiert Ulrich Maurer: "Christian Wulff hat mit dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit auch die Unabhängigkeit des Amtes verspielt."

"Mir macht Sorgen, dass er nicht mehr überparteilich und unabhängig ist", äußert sich Gregor Gysi. Wulf werde es wohl nicht wagen, ein Gesetz zu blockieren, da er seine verbliebenen Unterstützer nicht verprellen wolle. "Er hat die schlechtesten Berater. Als er den Chefredakteur der Bild-Zeitung anrief, hätte ich ihm als Berater das Handy weggenommen", so Gysi. Wie Wullf die Affäre "gravierend schlecht managt, spricht gegen ihn. Er wusste um die Vorwürfe wegen seines Hauskredits. Richtig wäre gewesen, frühzeitig eine vollständige Erklärung abzugeben, seine Fehler einzuräumen und um Entschuldigung zu bitten. Diese Chance hat er verstreichen lassen", unterstreicht Gregor Gysi im Interview mit dem Magazin SUPERillu.

Auf die Frage, ob Wulff die Affäre übersteht, antwortet Gysi dem Blatt: "Es gibt mehrere Medien und politische Kräfte, die sich entschlossen haben, ihn zu Fall zu bringen. Das durchzustehen ist nicht eben leicht, zumal man, wie der Bundespräsident, Dauerfeuer nicht gewöhnt ist. Wer im politischen Geschäft überleben will, darf aber nicht zu dünnhäutig sein. Zumal es ein schwerer Fehler war zu glauben, er verfüge über eine Macht, die ihn berechtigt, in die Medien einwirken zu dürfen, wie die Anrufe bei Bild-Chef Dieckmann zeigen. Christian Wulff hätte es besser wissen müssen. Ein Bundespräsident darf niemals die Pressefreiheit in Zweifel ziehen."

Gregor Gysi bedauert, dass Wulffs taktierendes Verhalten auch zur Lagerbildung geführt hat: "Jetzt ist Christian Wulff nicht mehr unabhängig als Bundespräsident. Seine Glaubwürdigkeit hat er erstmal verspielt."

Es wäre zwar nicht schlimm wenn Wulffs jetzt als Bundespräsident zurücktreten würde, "aber es tut der ohnehin schon angeschlagenen politischen Kultur in Deutschland nicht gut, wenn wir alle zwei Jahre einen neuen Bundespräsidenten bekommen. Das trüge schon deutlich staatskrisenhafte Züge", so Gysi: "Angela Merkel stützt Christian Wulff nur, weil sie weiß, dass sonst auch Schwarz-Gelb am Ende ist. Hält sich der Bundespräsident nicht im Amt, hält auch die Koalition nicht. Dann wären Bundestagsneuwahlen unausweichlich." So lange dieser Präsident im Amt ist, beteilige ich mich nicht an einer Nachfolgedebatte, betont der LINKE-Fraktionsvorsitzende.

Fraktionsvize Ulrich Maurer fordert den Bundespräsidenten auf, in dessen eigenem Interesse freiwillig zurückzutreten, bevor er durch den Druck seiner politischen Freunde zurückgetreten werde. Der Parlamentarische Geschäftsführers der Unions-Bundestagsfraktion, Peter Altmaier, hat den Bundespräsidenten zur vollen Transparenz und zu einer Korrektur der blockierenden Haltung seiner Anwälte aufgefordert. "Da ich nicht annehme, dass Peter Altmaier so etwas ohne Absprache mit Frau Merkel tut, wäre es besser, der Bundespräsident träte zurück, bevor er zurückgetreten wird", empfiehlt Maurer in der Leipziger Volkszeitung.

Gesine Lötzsch erinnert in der Debatte an die Rolle der Medien, nämlich daran, "dass ein Bundespräsident immer noch von der Bundesversammlung gewählt werden muss. So sieht das unser Grundgesetz vor. Die Bild-Zeitung ist nicht die Institution, die Bundespräsidenten in unserem Land zu wählen hat."

Lötzsch kritisiert den Auftritt Wulffs am 4. Januar in ARD und ZDF, bei dem der Bundespräsident versuchte, "in einem Interview sich selbst zu begnadigen. Und viele Bürgerinnen und Bürger haben das Gefühl, dass er in Selbstmitleid schwamm. Er hat sich ja zu einer Angelegenheit zu verhalten gehabt, die sich ja auch viele Menschen persönlich vorstellen können. Nämlich den Kredit für ein Eigenheim. Da stellt sich schon die Frage: Warum bekommt jemand, der Ministerpräsident war zu dem Zeitpunkt - jetzt Bundespräsident ist - derart vergünstigte Konditionen. Und der Nachbar Müller, Meier muss ganz andere Dinge aufbieten. Das ist etwas, was sich die Leute sehr gut vorstellen können. Und darum ist auch das Ärgernis so groß."

In der Debatte um Christian Wulff ist erneut die Frage aufgetaucht, ob es besser wäre, den Bundespräsidenten nicht durch ausgewählte Wahlleute in der Bundesversammlung, sondern direkt vom Volk wählen zu lassen. Gregor Gysi erinnert daran, dass anders als in einer Präsidialdemokratie im Grundgesetz die Direktwahl des Staatsoberhauptes nicht vorgesehen ist. "Sollte das in Deutschland künftig anders laufen, müsste das Präsidentenamt mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet werden. Das Volk eine Repräsentationsfigur wählen zu lassen, die politisch derart wenig zu entscheiden hat, halte ich für falsch. Bei uns müsste eher die Direktwahl des Bundeskanzlers diskutiert werden", regt Gysi an.