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Bundesregierung fehlt offensichtlich der Überblick über einen ganzen Wirtschaftszweig

Nachricht von Susanne Ferschl,

Plattformarbeit beschreibt eine Beschäftigungsform, bei der Menschen und Organisationen eine Online-Plattform benutzen, um Dienstleistungen zu vermitteln, so genanntes Crowdworking. Schwerpunkte bilden unter anderem die Essens- und Lebensmittellieferungen, Hausangestellte sowie die Personenbeförderung. Während der COVID-19-Pandemie hat der Umfang von Plattformarbeit stark zugenommen.

Immer wieder stehen die Arbeitsbedingungen der Plattformbeschäftigten zur Debatte. Oft leiden die Beschäftigten unter schlechter Bezahlung, mangelnder sozialer Absicherung und schlechtem Arbeitsschutz. Im Koalitionsvertrag (S. 57) haben sich die Ampel-Parteien darauf geeinigt, die Datengrundlage bei der Plattformarbeit zu verbessern und die Arbeitsbedingungen in den Blick zu nehmen. Bisher wurde nichts getan, doch jetzt soll eine neue EU-Richtlinie Besserung bringen. Das ist dringend notwendig, wie Daten zeigen, auf die die Bundesregierung in ihrer Antwort verweist.

Die Bundesregierung beruft sich in ihrer Antwort auf Daten, die zeigen, dass im Jahr 2021 bereits 201 digitale Arbeitsplattformen in Deutschland aktiv waren und mehr als 3,8 Millionen Beschäftigte in Deutschland über digitale Arbeitsplattformen arbeiteten. Über eine Million dieser Beschäftigten arbeitete dabei mehr als 20 Stunden über digitale Arbeitsplattformen und bezog dadurch mehr als 50 Prozent ihres Einkommens (vgl. Frage 2 & 3). Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl 2024 deutlich höher liegt. Für die Entwicklung der Zahl der Plattformbeschäftigten beruft sich die Bundesregierung auf Daten zu Lieferdiensten, anhand deren sich die „dynamische Entwicklung“ (Antwort der Bundesregierung: S. 3) beispielhaft aufzeigen lässt. Hier wird das gigantische Wachstum der Branche deutlich. Die Zahl der Beschäftigten bei den untersuchten Lieferdiensten ist von 1.000 im Jahr 2010 auf rund 38.000 im Jahr 2022 vervielfacht (vgl. Frage 5). Die Arbeitsbedingungen sind jedoch unterdurchschnittlich: Die Löhne sind niedrig, fast die Hälfte dieser Plattformbeschäftigten waren 2021 und 2022 geringfügig beschäftigt – deutlich mehr als bei vergleichbaren Beschäftigten in Helferberufen (vgl. Frage 6) und die Beschäftigungsverhältnisse nur von kurzer Dauer und deutlich kürzer als bei vergleichbaren Beschäftigten in Helferberufen (vgl. Frage 9).

O-Ton Susanne Ferschl, gewerkschafts- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Gruppe Die Linke im Bundestag:

„Der Bundesregierung fehlt ganz offensichtlich der Überblick über einen ganzen Wirtschaftszweig, da- bei sind die schlechten Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit seit Jahren bekannt: Obwohl es sich faktisch um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer handelt, wird eine Vielzahl der Beschäftigten syste- matisch als selbstständig eingestuft. Dadurch fehlt es an sozialer Absicherung, Entlohnung nach Min- destlohn oder Arbeitnehmerschutzvorschriften, von betrieblicher Mitbestimmung ganz zu schweigen. Es ist beschämend, dass die Bundesregierung zwar im Koalitionsvertrag noch verbesserte Bedingungen für Plattformbeschäftigte versprochen, dann aber nicht einmal der entsprechenden EU-Richtlinie zuge- stimmt hat. Auch jetzt scheint es so, als wolle sie die Umsetzung dieser Richtlinie auf die lange Bank schieben - auf dem Rücken der Beschäftigten. Die Rechte von Plattformbeschäftigten müssen endlich gestärkt werden! Es ist Zeit, den Versprechungen Taten folgen zu lassen: Anerkennung des Arbeitneh- mer-Status, soziale Absicherung, faire Entlohnung und eine Regulierung des Preiswettbewerbs müssen zum Standard der Plattformökonomie werden.“

Ergebnisse im Einzelnen:
Frage 1: Wie viele Unternehmen nutzen Plattformarbeit (Nachfrageseite)?

• Der Bundesregierung liegen keine Daten vor.

Frage 2: Wie viele Unternehmen nutzen oder bieten Plattformarbeit an und wie viele Nutzer*innen sind registriert?
• Im Jahr 2021 waren 201 digitale Arbeitsplattformen aktiv                                                                                                                                 -->Die Bundesregierung verweist auf Daten der Europäischen Kommission: CEPS (2021): S. 32.1


• Auflistung aller in der Bundesrepublik Deutschland aktiven digitalen Arbeitsplattformen und die Zahl der auf diesen digitalen Arbeitsplattformen jeweils tätigen Personen liegt der Bundesregierung nicht vor

Frage 3: Prognose der Zahl der Plattformbeschäftigten für das Jahr 2025

  • Die Bundesregierung liefert keine Prognose für Deutschland

  • Die Bundesregierung stimmt Europäischen Kommission bei der Prognose zu, dass es im Jahr 2025 ca. 43 Millionen Plattformtätige geben wird.                                                                                                                                                                             -->Verweis auf Daten der Europäischen Kommission: PPMI (2021): S. 96.2

  • Laut den Daten der Europäischen Kommission, auf die sich die Bundesregierung in ihrer Antwort bezieht, arbeiten im Jahr 2021 prognostiziert mehr als 3,8 Millionen Beschäftigte in Deutschland über digitale Arbeitsplattformen (PPMI 2021: S. 98).                 -->Damit belegt Deutschland im EU-Ranking den dritten Platz. Nur in Italien (4,1 Mio.) und in Spanien (4,0 Mio.) ist die Zahl der Beschäftigten, welche über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, noch höher (PPMI 2021: S. 97-98)                                                  --> Über eine Million Beschäftigte (1.008.407) in Deutschland arbeiteten 2021 mehr als 20 Stunden die Woche über eine digitale Arbeitsplattform und bezogen durch diese Arbeit mindestens 50 Prozent ihres Einkommens (PPMI 2021: S. 83, 98).

Frage 4: Prognose der Zahl der Plattformbeschäftigten in 5, 10 bzw. 20 Jahren

  • Die Bundesregierung nimmt keine Prognose vor.

  • „Die Plattformökonomie ist ein dynamischer Markt, der in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist“ (Antwort der Bundesregierung: S. 3).

Frage 5: Entwicklung der Zahl an Plattformbeschäftigten

  • Der Bundesregierung liegen keine detaillierten Informationen zur Zahl der Plattformbeschäftigten vor.

  • Bundesregierung verweist auf Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB 2024) zu plattformbasierten Lieferdiensten, um die dynamische Entwicklung der Plattformarbeit aufzuzeigen.

  • Die Zahl der Plattformbeschäftigten bei den untersuchten Lieferdiensten hat sich von rund 1.000 im Jahr 2012 auf rund 38.000 im Jahr 2022 vervielfacht.
    --> WährendderCovid-19PandemieerreichtedieBeschäftigtenzahleinenvorläufigenHöhepunkt von bis zu rund 50.000 (IAB 2024).

Frage 6: Entwicklung der geringfügig Beschäftigten unter Plattformbeschäftigten

  • Die Bundesregierung verweist auf Daten des IAB (IAB 2024) zu plattformbasierten Lieferdiensten.

  • In den Jahren 2021 und 2022 waren fast die Hälfte der Plattformbeschäftigten (49 %) der untersuchten Lieferdienste geringfügig beschäftigt.
    --> Damit ist der Anteil der geringfügig Beschäftigten deutlich größer als bei vergleichbaren Beschäftigten in Helferberufen (38 %) (IAB 2024).

  • Die Daten des IAB, auf die sich die Bundesregierung in ihrer Antwort beruft, zeigen darüber hinaus,

    dass das Einkommen der Plattformbeschäftigten deutlich unter dem Einkommen von vergleichbaren Beschäftigten in Helferberufen liegt.
    --> Das monatliche Bruttoeinkommen von Vollzeit-Plattformbeschäftigten lag 2021 und 2022 bei knapp über 1.700 Euro und damit deutlich unterhalb des Einkommens von vergleichbaren Vollzeit-Beschäftigten in Helferberufen (2.536 Euro) (IAB 2024).

    Frage 7: Entwicklung der Solo-Selbstständigen unter Plattformbeschäftigten

  • Die Bundesregierung verweist auf Daten aus dem sozio-ökonomischen Panel Core 2020

  • 182.000 Selbständige (= 5,2 %) und 116.000 Solo-Selbstständige (= 6,1 %) haben im Erhebungsjahr eine Internetseite oder eine App benutzt haben, um darüber an bezahlte Arbeitsaufträge zu kommen
    --> „Die Angabe aus der Befragung lässt allerdings keine Rückschlüsse darauf zu, ob die Tätigkeit über digitale Arbeitsplattformen im Sinne der Definition der Plattform-Richtlinie erbracht wurde“ (Antwort der Bundesregierung: S. 4)

Frage 8: Entwicklung der Zahl der selbständig erwerbstätigen Arbeitslosengeld-II- bzw. Bürgergeldbezieher*innen und Anteil der Langzeitleistungsempfänger*innen

  • Im Jahresdurchschnitt 2023 gab es knapp über 64.000 erwerbstätige erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) mit Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (1,6 % der ELB), darunter waren ca. 45.000 Langzeitleistungsbezieher (LZB) (1,9 % der LZB).                                                                                                                                                                                                            -->Männer,Personenüber55JahrenundOstdeutschesindinbeidenGruppenüberrepräsentiert.                                                                -->Am größten ist der Anteil der selbstständig erwerbstätigen Bürgergeldbezieher*innen in Berlin: ELB: 3,1 %; LZB: 3,2 %.
  • Die absolute Zahl der erwerbstätigen ELB und LZB mit Einkommen aus selbstständiger Arbeit ist über die Jahre rückläufig, genau wie die Gesamtzahl der ELB und LZB.

  • Der Anteil der erwerbstätigen ELB und LZB mit Einkommen aus selbstständiger Arbeit ist über die

    Jahre Rückläufig. Er befindet sich jedoch konstant auf einem sehr niedrigen Niveau.

Frage 9: Durchschnittliche Dauer der Aktivität auf einer Plattform von Plattformbeschäftigten

  • Die Bundesregierung verweist auf Daten des IAB (IAB 2024) zu plattformbasierten Lieferdiensten.

  • Die Beschäftigungsverhältnisse der Plattformbeschäftigten von Lieferdienste sind häufig nur von kurzer Dauer.
    --> Die Wahrscheinlichkeit nach einem Jahr im Job zu verbleiben, ist bei Plattformbeschäftigten von Lieferdiensten (18 %) deutlich niedriger als bei vergleichbaren Beschäftigten in Helferberufen (35 %) (IAB 2024).

Frage 10: Durchschnittliche Dauer der Selbständigkeit bzw. der Solo-Selbstständigkeit

  • Der Bundesregierung liegen keine Informationen über die Dauer der Selbstständigkeit bzw. der Solo-Selbständigkeit vor.

  • Die Bundesregierung verweist auf Daten des Instituts für Mittelstandsforschung zur Überlebensquote von Unternehmen für die Jahre 2010 bis 2020.
    --> Betrachtet werden Unternehmen, die fünf Jahre vor dem Betrachtungszeitraum gegründet wurden.

  • Die Überlebensrate der betrachteten Unternehmen ist von 40,2 Prozent im Jahre 2010 auf 37,1 Prozent im Jahr 2020 leicht gefallen.
    --> Über die Jahre bestehen leichte Schwankungen, die Werte bewegen sich jedoch auf einem ähnlichen Niveau.

Frage 11: Als Plattformarbeit geleistete Arbeitsstunden seit 2010

  •  Der Bundesregierung liegen keine Information vor.

Frage 12: Nutzung von Plattformarbeit durch Bundesministerien

  • Kein Bundesministerium nutzt Plattformarbeit.

Frage 13: Nutzung von Plattformarbeit durch öffentliche Unternehmen, staatliche Einrichtungen, Behörden und Unternehmen mit einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland

  • Der Bundesregierung liegen keine Informationen vor.

Frage 14: Pläne zum Stellenabbau in Bundesministerien durch Digitalisierung, Automatisierung und digitales Outsourcing

  • „Inwieweit die von den Fragestellern genannten Prozesse zu Veränderungen beim Stellenbedarf der Bundesministerien führen, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden“ (Antwort der Bundesregierung: S. 6).

Frage 15: Durchführung der im Koalitionsvertrag festgelegten Prüfung bestehenden Rechts, mit Blick auf die Arbeitsbedingungen bei digitalen Plattformen

  • Bisher wurde das nationale Recht noch keiner Prüfung, mit Blick auf die Arbeitsbedingungen bei digitalen Plattformen, unterzogen.

  • Die Bundesregierung plant, diese Prüfung bei der Umsetzung der Plattform-Richtlinie in nationales Recht einzubeziehen.

Frage 16: Umsetzung der im Koalitionsvertrag festgelegten Verbesserung der Datengrundlage bezüglich digitaler Plattformen

  • Die Bundesregierung verweist auf die Umsetzung der EU-Plattform-Richtlinie.                                                                                      --> Die digitalen Arbeitsplattformen sollen künftig die Zahl und den Status der Plattformtätigen und den Umfang ihrer Tätigkeit offenlegen.                                                                                                                                                                                                         -->Dies wird laut Bundesregierung zur Verbesserung der Datenlage beitragen.

Frage 17: Umsetzung des im Koalitionsvertrag festgehaltenen Stakeholder-Dialogs

  • „Die Bundesregierung wird den im Koalitionsvertrag vereinbarten Stakeholderdialog im Rahmen der Umsetzung der Plattform-Richtlinie durchführen“ (Antwort der Bundesregierung: S. 7).

Frage 18: Gewerkschaftlicher Organisationsgrad von Plattformbeschäftigten

  • Der Bundesregierung liegen keine Informationen vor.

Frage 19: Planungen zur Verbesserung des Zugangsrechts von Gewerkschaften bezüglich Plattformarbeit

  • Die Bundesregierung verweist auf die EU-Plattform-Richtlinie.                                                                                                                 --> Mitgliedsstaaten werden dazu verpflichtet, „die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass digitale Arbeitsplattformen Personen, die Plattformarbeit leisten, die Möglichkeit bieten, u.a. ihre Vertreter zu kontaktieren oder von diesen kontaktiert zu werden“ (Antwort der Bundesregierung: S. 8).

  • Diese Regelung soll mit der Umsetzung der Plattform-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden.

Frage 20: Wann plant die Bundesregierung die Plattform-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen?

  • Die Bundesregierung hat bereits mit der Arbeit zur Umsetzung begonnen.

  • Da die Umsetzungsfrist noch nicht begonnen hat, werden keine weiteren Informationen geteilt.

 

1 CEPS (2021): Digital labour platforms in the EU: Mapping and business models – final report.
2 PPMI (2021): Study to support the impact assessment of an EU initiative to improve the working conditions in platform work – final report.